MMA-Kämpferin aus KölnDie Frau mit den zwei Gesichtern

Hochkonzentriert und kampfbereit: Paulina Ioannidou beim Kampf vor 2000 Zuschauern in der Arena Oberhausen
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Wie jeder Kampfsport steht Mixed Martial Arts (MMA) Frauen und Männern offen. Wie bei jedem Kampfsport sind es dennoch mehr Männer, die sich in den Ring wagen. Frauen geraten deshalb automatisch in den Fokus – erst recht, wenn sie hübsch und strahlend sind wie Paulina Ioannidou: „Viele können sich bei mir nicht vorstellen, dass ich auf den Punkt aggressiv werden kann, weil ich immer viel lache und freundlich bin.“ Ehrgeizig, durchsetzungsfähig, klar. Aber aggressiv? „Nur meine Mutter weiß, dass ich schon immer zwei Gesichter hatte. Das ist ein Schalter, den ich problemlos umlegen kann. Du fokussierst dich, hast ein Ziel und es ist ein Kampf. Wie viel Wut du zulässt, ist deine Sache. Wut macht dich unkonzentriert“, sagt sie.
Mixed Martial Arts ist der englische Ausdruck für gemischte Kampfkünste. Angewendet werden Techniken aus Boxen, Kickboxen und Ringen (siehe Kasten). Gekämpft wird in einer Art Käfig. Das ist meist das Einzige, was viele Menschen über MMA wissen. Eigentlich handelt es sich um ein achteckiges Gestell (Oktagon) mit einem nachgiebigem Netz. Es soll die Sportler nicht einsperren, sondern davor schützen, während des Kampfes aus dem Ring zu fallen, denn MMA-Kämpfe beginnen im Stehen und enden als Gerangel auf dem Boden. Das Oktagon ist mitverantwortlich für viele Vorurteile, die die MMA umgeben. „Dieser Sport hat einen Ruf wie osteuropäischer Menschenhandel. Es gibt so viele Klischees und meist wird nur negativ berichtet“, ärgert sich Mike Cüppers. Und weiter: „Es ist im MMA ganz normal, dass einer am Boden liegt und der andere obenauf sitzt – es geht beim Bodenkampf eben auch darum, den Gegner unten zu halten.“ Es ist ein harter Sport. Schutz für den Körper gibt es so gut wie gar nicht. MMA kann schmerzen und ist am nächsten dran an einer realen Schlägerei. „Aber dass es um Unterdrückung und Blut geht, wie es viele Vorurteile besagen, stimmt nicht. Für MMA-Kämpfe gibt es unzählige Regeln“, sagt Cüppers.
Er selbst ist Boxer und Spezialist für Luta Livre (portugiesisch: freier Kampf), eine Mischung aus Ringen und Judo. Im „Combat Club Cologne“ (CCC) unterrichtet er mit Raphael Wohlgemuth und Max Schwindt MMA, Boxen, Kick-/Thaiboxen und Luta Livre. Das Studio in Nippes ist hell, freundlich und familiär und für Paulina Ioannidou das zweite Zuhause: „Hier verbringe ich neben Bett, Arbeit und der Uni die meiste Zeit, das ist meine Familie“, sagt die 24-Jährige. Etwa fünf Mal die Woche trainiert sie, arbeitet Vollzeit in einer Physiotherapie-Praxis am Ebertplatz und macht berufsbegleitend den Bachelor in Physiotherapie. Ihr Tag ist lang: „Man ist dann halt um elf Uhr abends zu Hause. Das geht alles, wenn man keine Beziehung, keine Kinder, kein Haustier hat“, sagt die gebürtige Athenerin, die mit vier Jahren nach Köln gekommen ist. Mit 18 begann sie mit dem Kickboxen, kam in Phuket mit dem härteren Thaiboxen und dem Bodenkampf des Brazilian Jiu Jitsu in Kontakt und wollte schließlich auch in Deutschland mehr Vollkontakt kämpfen. Über ehemalige Schulfreunde kam sie zum „Combat Club“. MMA ist für sie aufgrund der vielen verschiedenen Techniken im Stand und auf dem Boden wie Schach: „Du analysierst die Komponenten deines Gegners und schaust, aus welchem Sport er ursprünglich kommt. Ist er zum Beispiel Judoka, weiß ich, dass er auf dem Boden gut ist. Ich setze dann den Fokus auf den Standkampf.“
Vor Kurzem ist die Kölnerin vor 2000 Zuschauern bei „We love MMA“ in der Arena Oberhausen in den Ring gestiegen. Fünf Wochen vorher begannen die Vorbereitungen: Jeden Abend drei Stunden Training, dazu hoch intensive Muskelübungen in der Mittagspause. Abnehmen musste sie diesmal nicht, um die richtige Gewichtsklasse zu erreichen. Eine Woche vor dem Kampf nimmt sie sich frei, um sich ganz auf das Zusammentreffen konzentrieren zu können und abzuschalten. In der Nacht vor der Veranstaltung schläft sie besser als sonst und wacht beinahe zu spät auf. Aufgeregt ist sie nicht. „Mein Motto ist: Gehe niemals mit Zweifel in einen Kampf. Sobald du zweifelst, wirst du automatisch schlechter.“ Mit ihrer Trainingspartnerin und Freundin Katharina, den Trainern und Jungs vom Studio, die auch antreten werden, fährt sie tiefenentspannt nach Oberhausen. Bis am Abend die Kämpfe beginnen, heißt es warten: Wiegen, ausruhen, herumstreunern, Kaffee trinken. Kurz trifft sie auf ihre spätere Gegnerin Fran Vanderstukken aus Belgien, die zugleich weich und wie ein Junge aussieht. „Wir haben beide nicht mit der Wimper gezuckt“, sagt Ioannidou.
Die Stimmung vor dem Kampf in der Kabine ist locker. Die Gruppe scherzt herum, isst Kekse, Weingummi und Nüsse. Eine halbe Stunde vor jedem Kampf steht das Aufwärmtraining an: Schattenboxen, Pratzenschlagen und Angriffskombinationen üben. Paulina muss als letzte raus. Die Jungs haben ihre Kämpfe alle gewonnen. Kein einfacher Vorlauf. Ihr Trainer Mike Cüppers ist nervös, zeigt das – ganz Kampfsportler – aber nicht und kümmert sich fürsorglich um seine Sportler. Seine größte Angst ist es, dass sich einer verletzt. Bevor das passiert, würde er das Handtuch in den Ring werfen. Paulina ist ganz ruhig und freut sich, vor allem auf ihr Einlauflied, „Monster“, von Kanye West. „Das ist hart, schnell und klingt, als würde ein Löwe aus dem Käfig gelassen. Ich freue mich sehr auf den Einmarsch“, sagt sie.
Überhaupt hat sie sich den Ablauf schon ganz genau vorgestellt. Beim Einlaufen will sie nicht zu sehr aufdrehen, nicht zu hibbelig werden, um weder Konzentration noch Kraft zu verschwenden. Dabei wird sie einen Blick in Richtung ihrer Tanten werfen, die mit einem Fernglas im Publikum sitzen. Ihre Mutter ist nicht gekommen. Sie erträgt es nicht, ihre Tochter kämpfen zu sehen. Ioannidou selbst hat keine Angst: „Ich bin aus Thailand Härteres gewohnt, da gab es Ellbogenschläge direkt auf den Kopf, ich bin trotzdem nie K.o. gegangen.“ Ihr Ziel ist ein technisches K.o. oder Submission, das bedeutet, dass die Gegnerin aufgibt und abklopft. Danach, so stellt sie es sich vor, kommen ihre Verwandten, Sportkollegen und Trainer an den Ring, um zu jubeln.
Leider wird es ganz anders kommen. Nach nur 43 Sekunden ist der Kampf vorbei. Paulina Ioannidou wird durch einen Schlag am Auge getroffen und sieht nichts mehr, Fran Vanderstrukken siegt durch Technisches K.o. Die Belgierin hat niemanden, der zum Jubeln an den Ring kommt, Ioannidou dagegen geht umringt von den anderen Kölner Kämpfern zurück hinter die Kulissen. Der Traum ist trotzdem geplatzt.
„Passiert. Weitermachen“, wird sie danach sagen. Und spätestens im Juli wieder antreten.