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Serie über MeditationAuf der Suche nach der inneren Ruhe

Lesezeit 7 Minuten

Mal keine Kopfhörer in den Ohren: Allein die Abschirmung gegen neue Reize erklärt einige heilsame Effekte der Meditation.

Herr Ott, die Meditation umgibt so etwas wie ein Heiligenschein. Überall kann man zurzeit lesen, wie gut das Sich-Versenken gegen Stress, Schmerzen und sogar bei schweren Krankheiten wirkt. Mal ehrlich: Was soll ein Krebskranker mit Meditation?

Ulrich Ott: Die am besten belegte Wirkung der Meditation ist die Entspannung. Zum anderen wirkt sie nachweislich positiv auf unser Immunsystem. Und sie kann Patienten helfen, deren Körperwahrnehmung gestört ist. Krebskranke lehnen ihren Körper oft als defekt und Quelle von Schmerz geradezu ab. Wenn diese Menschen durch Meditationstechniken lernen, ihren Körper wieder zu spüren und sich darin wohlzufühlen, kann das ihre ganze innere Haltung verändern. Da ist Meditation ein Weg, zu sich zu kommen.

Meditation liegt im Trend. In einer Serie stellen wir verschiedene Versenkungs-Techniken vor und porträtieren Menschen, die damit ihre innere Ruhe suchen.

Eigentlich ja paradox: Bei der Sitzmeditation etwa macht man ja nichts anderes, als still auf einem Kissen zu sitzen. Wie soll sich darüber das Verhältnis zum eigenen Körper verändern?

Ott: Der Körper spielt – entgegen dem äußeren Augenschein – beim Meditieren eine große Rolle. Beim sogenannten Body-Scan etwa, der in der Achtsamkeitsmeditation praktiziert wird, spüren Sie vom großen Zeh bis zum Scheitel systematisch in Ihren Körper hinein. Bei Formen wie der Zen-Meditation achten Sie auf Ihre Atmung und dringen so tiefer in die Körperwahrnehmung ein. Ziel aller Meditationsformen ist es, nicht mehr so verkopft zu sein, wie viele es im Alltag erleben.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Meditation und Achtsamkeit?

Ott: Meditation ist ein Oberbegriff für viele verschiedene Techniken, Achtsamkeitsmeditation ist eine davon. Daneben gibt es andere Formen, bei denen es zum Beispiel um Versenkung oder die Entwicklung von Mitgefühl geht.

Es ist ja inzwischen belegt, dass sich durch Meditation die Hirnstruktur von Menschen verändert. Aber tut sie das nicht immer, wenn wir etwas lernen?

Ott: Das finde ich auch erstaunlich: Dass die Leute immer so fasziniert davon sind, dass Meditation etwas im Hirn verändert. Die wirkliche Sensation wäre doch, wenn sich durch die Übung nichts verändern würde. Es ist ja wirklich egal, was Sie lernen – eine Sprache, ein Musikinstrument oder Jonglieren: Tun Sie’s, und Sie werden sehen, dass in den Hirnstrukturen, die Sie dafür brauchen, eine zusätzliche Vernetzung stattfindet, ein Wachstum an grauer Substanz.

In welchen Hirnregionen wachsen beim Meditieren graue Zellen?

Ott: Im Hirnstamm zum Beispiel, wo die Basisregulation des Herz-Kreislauf-Systems stattfindet. Und im sogenannten Insulären Kortex, in dem unser Gehirn eine Art Landkarte der Empfindungen aus dem Inneren des Körpers angelegt hat.

Warum genau da?

Ott: Das hängt damit zusammen, dass Meditierende durch ihr Training ihre Wahrnehmung etwa der Atmung verfeinern und sich parallel dazu die Netzwerke im Gehirn, die diese Informationen beinhalten, ausdifferenzieren. Aber das Wachstum selbst ist nicht so spektakulär. Interessanter wird es, wenn man die Gehirne von Meditierenden über eine lange Zeitspanne mit denen von Nicht-Meditierenden vergleicht.

Was erkennt man da?

Ott: Da sieht man, dass es auch bei gesunden Nicht-Meditierenden durch den Alterungsprozess zu einer natürlichen Ausdünnung der Hirnrinde kommt. Es bleiben sozusagen nur die Neuronen übrig, die oft verwendet und miteinander vernetzt werden. Mit allen anderen geht es mit der Zeit rapide bergab. Auch die sogenannte weiße Substanz zeigt einen altersbedingten Abbau, also die Integrität der Faserverbindungen zwischen den Hirnregionen nimmt ab. Bei Menschen, die regelmäßig meditieren, findet diese Ausdünnung dagegen deutlich langsamer statt. Neuere Studien legen nahe, dass Meditation den Alterungsprozess des Gehirns zumindest verzögern kann.

Die stärkeren Vernetzungen im Gehirn sind also ein Zeichen für größere geistige Frische?

Ott: Ja, das kann man so interpretieren. Nicht umsonst wirken alte Menschen ja oft wie fertig programmiert, festgefahren in ihrem Verhalten. Für jede Situation liegt quasi schon ein Muster bereit. Und gerade diese Berechenbarkeit wird durch Meditation versucht aufzulösen: Jede Situation ist neu und erfordert ein angemessenes Verhalten. Diese Offenheit, eine Situation ganzheitlicher wahrzunehmen und flexibler zu reagieren, äußert sich auch darin, dass das Gehirn mehr Freiheitsgrade hat.

Meditation unterscheidet sich von Gehirnjogging und anderen Techniken, seine geistige Frische zu fördern, dadurch, dass man den Geist nicht mit Neuem füttert. Woher dann die Wirkung?

Ott: Durch die Unterbrechung. Wir stopfen uns im Alltag immer voll mit Informationen, die wir in ihrer Masse gar nicht vollständig verarbeiten können. Allein die Abschirmung gegen neue Reize hat heilsame Effekte.

Wie unterscheidet sich das abgeschirmte Bewusstsein in der Meditation vom Alltagsbewusstsein?

Ott: Im Alltagsbewusstsein schwimmen wir meist nur an der Oberfläche. Wir sind im Macher-Modus, müssen auf Reize reagieren, und nutzen dafür Skripte, Verhaltensprogramme, die uns quasi automatisch handeln lassen in diesem Arrangement von Arbeit, Einkaufen, E-Mails und Fahrten von Kindern zu Sportveranstaltungen – diesem täglichen Wahnsinn, den der Achtsamkeits-Therapeut Jon Kabat-Zinn treffend das „Leben in der totalen Katastrophe“ nennt.

Und in der Meditation stoppen wir den Autopiloten für eine Zeit lang?

Ott: Meditation gibt uns die Möglichkeit, aus der rasenden Fahrt unseres Lebens kurz auszusteigen und den ganzen Verkehr von der Seite aus zu beobachten. Oft merken Menschen erst, wenn sie anfangen zu meditieren, wie viele Erinnerungen und Zukunftspläne ihnen ständig im Kopf herumgeistern.

Was lässt sich mit dieser Erkenntnis dann anstellen?

Ott: Es geht zunächst einmal nur darum, das innere Chaos zu beobachten und sich davon nicht mehr so stark forttragen zu lassen. Dieses ständige Tagträumen und Abdriften zu erkennen – und immer wieder zu unterbinden. Ziel ist, wirklich in die Gegenwart zu kommen. Meditation gibt einem die Chance, Dinge, die in einem gearbeitet haben, aufzulösen und Einsichten zu gewinnen.

Klingt zu schön, um wahr zu sein. Wie lassen sich denn Probleme, die mir im Kopf herumgeistern, auflösen, indem ich sie nur beobachte?

Ott: Indem Sie lernen, in Gelassenheit zu beobachten, wie Ihre inneren Bilder entstehen und auch wieder vergehen. Es ist, als würde man von der inneren Bühne, wo immer unheimlich viel Action ist, in den Zuschauerraum hinabsteigen und plötzlich das ganze Bild sehen. Da relativiert sich vieles.

Wie lange brauchen Anfänger?

Wie lange brauchen Anfänger, bis sie die klärende Wirkung von Meditation in sich spüren?

Ott: Das ist unterschiedlich und auch Veranlagungssache. Die sogenannte Absorptionsfähigkeit etwa – die Fähigkeit, sich in etwas zu versenken – ist nachweislich zirka zu 40 Prozent genetisch bedingt. Viele Anfänger sind erst mal erschrocken. Ich sehe das in den Kursen mit meinen Psychologie-Studenten: Wenn die zum ersten Mal die Psyche in ihrem eigenen Geiste studieren, sind sie entsetzt, wie wenig sie in der Lage sind, ihr Bewusstsein zu kontrollieren.

In der Regel beginnt Meditieren also mit Hindernissen.

Ott: Das ist die erste Stufe. Man bemüht sich doch so, die Entspannung zu spüren – aber sie kommt nicht, eben weil man so angespannt wartet. Erst wenn man dieses Paradox reflektiert hat, kann man die Entspannung erleben. Mit etwas Übung gelingt es einem dann, immer früher zu bemerken, wenn man gedanklich abdriftet – und sich immer wieder zurückzuholen.

Den Gedankenfluss zu zähmen, aber nicht zwanghaft zu stoppen, ist also das Ziel?

Ott: Genau: Sie lassen den Geist quasi in den offenen Raum der Gewahrsamkeit galoppieren. Wenn Sie das Pferd nicht jagen, bleibt es irgendwann automatisch stehen.

Lässt sich dieser Fortschritt auch hirnphysiologisch zeigen?

Ott: Sehr gut sogar: Es gibt im Hirn das sogenannte Default-Mode-Netzwerk, das mit dem Tagträumen assoziiert ist. Und es gibt ein exekutives Kontrollnetzwerk, das dabei hilft, sich auf eine Sache zu fokussieren. Es lässt sich gut beobachten, wie es bei einer Achtsamkeitsmeditation den ständigen Wechsel zwischen Fokussiertsein und Abdriften gibt – und wie die Phasen, in denen die Neuronen des Kontrollnetzwerks feuern, mit der Übung immer länger werden.

Es ist oft zu lesen, dass man täglich praktizieren muss, um Erfolge an sich zu bemerken. Stimmt das?

Ott: Das wird oft gesagt, ich finde aber, Disziplin haben wir schon genug. Ich hatte schon Probanden, die haben jeden Tag zwei Stunden meditiert. Das ist für die Forschung natürlich super, aber bei manchen hatte ich das Gefühl: Da ist die Meditationspraxis schon fast etwas zwanghaft.

Da werden sich jetzt einige auf den Schlips getreten fühlen.

Ott: Ja, aber ich finde, Meditation sollte mit Humor und Leichtigkeit einhergehen. Es geht um innere Weite, nicht um Heiligkeit.

Das Gespräch führte Michael Aust