Bauernhöfe im BergischenMilchtankstellen als Retter in der Not
Die Kühe haben wirklich den besten Ausblick. Käuend und aus dem Maul triefend stehen sie im saftigen Gras, hinter ihnen ein üppiger Blumengarten und Obstbaumwiesen, vor ihnen ein Kölner Bilderbuch-Panorama, das sich an diesem Spätsommermorgen in lichtem Blau präsentiert.
Milchkühe in Odenthal
Wüssten die Schwarz-Bunten auf der luftigen Odenthaler Anhöhe, welch Ausblick ihnen da mit Dom, LVR-Turm, Groß-St. Martin, Mülheimer Brücke, Colonius und den dampfenden Türmen von Eschweiler am Horizont geboten wird, würden sie vermutlich noch mehr Milch geben.
Milchdumpingpreise
Aber mehr Milch – es wäre Segen und Fluch zugleich. Peter Büchel, der Landwirt, dem die Herde mit 54 Milchkühen und einem Limousin-Bullen gehört, lebt täglich in diesem Zwiespalt. Denn mehr Milch heißt: „Noch mehr Milch auf den schon vollkommen gesättigten Markt zu bringen – und in Folge einen noch geringeren Milchpreis dafür zu bekommen.“ Es sei ein echtes Dilemma, erklärt er, denn er erhält von seiner Molkerei, dem Deutschen Milchkontor, gerade mal noch 22,15 Cent pro Liter.
Milchtankstelle als Retter in der Not
„Wir müssten wenigstens 40 Cent bekommen, damit sich unsere Arbeit rentiert“, sagt der 52-Jährige. Aber er bekommt von seinem Abnehmer den mittlerweile schlechtesten ausbezahlten Milchpreis überhaupt in Deutschland. Bevor er die Milchtankstelle auf seinem Hof einrichtete, hatte er Existenzsorgen, wollte aufgeben, die Kühe verkaufen. Aber das konnte auch nicht die Lösung sein. Er führt den Hof in siebter Generation.
Europaweites Überangebot
Ein Wechsel zu einer Molkerei mit besseren Konditionen steht gerade auch nicht an. „Wir haben außerdem eine Kündigungsfrist von zwei Jahren.“ Außerdem seien ja nicht ausschließlich die Molkereien am Konflikt schuld – nur mit dem Bauernverband, Politik und Handel ließe sich das Problem mit dem europaweiten Überangebot in den Griff bekommen. Dass im Zuge der Milchpreis-Berichterstattung immerzu auf die Discounter geschimpft wird, die den Liter im Kühlregal für 46 Cent anbieten, findet Büchel falsch. „Es geht nur gemeinsam.“
Rohmilch
Rohmilch ist unbehandelte Milch vom Nutztier. Sie muss sofort auf 3 bis 6 Grad heruntergekühlt werden. Die Bauern haben strenge Auflagen, die Milchtankstelle darf nur in der Parzelle aufgestellt werden, wo die Tiere gemolken werden. Soll sie außerhalb des Hofs sein, muss die Milch pasteurisiert werden.
Milchwirtschaft in der Region
Büchel, der moderne Bauer. Er geht mit Handy am Ohr über die Weide, die Sonne brennt am späten Vormittag auf seinen kahlrasierten Schädel, und als das Telefonat beendet ist, wiederholt er mantraartig „Komm her“. Langsam setzt sich die lahme Herde in Bewegung. Zweimal am Tag treibt er sie zum Melken in den Stall und dann wieder zurück auf die Weide. „Glückliche Kühe, die den ganzen Tag draußen verbringen, das ist schon viel Arbeit. “ Nur weil er nur einen Auszubildenden bezahlen muss und sonst von seinem Vater und seiner Frau Karin unterstützt wird, kann er sich die Milchwirtschaft überhaupt noch leisten.
Milchzapfen liegt im Trend
Vor gut einem Jahr kam dann aber die Wende. War es Wut? War es Ohnmacht? Oder doch das Wissen, dass in der oberbergischen Nachbarschaft eine Milchtankstelle schon seit fünf Jahren prima existiert? Eine eben solche Anlage zum Milch selber zapfen sollte Familie Büchel Entlastung in die finanziell angespannte Situation bringen. Und wie sich ziemlich rasch herausstellte, hatte Büchel den richtigen Riecher. Milchzapfen liegt im Trend, Rohmilchtrinken auch. Bei Hensing, dem Generalvertrieb der Milchtankstellen, werden jede Woche zehn neue Zapfanlagen verkauft. In Süddeutschland, wo besonders viel Milchwirtschaft betrieben wird, sei die Verbreitung besonders groß. Aber auch in Nordrhein-Westfalen steige die Nachfrage wöchentlich, sagt die Vertriebsinnendienstlerin bei Hensing, Elenor Gehling.
Milchtankstellen in der Umgebung
Also trat Büchel mit Hensing in Kontakt, kaufte die Anlage des Herstellers Risto, und 2500 Glas- und PET-Flaschen dazu. Auf seinem Hof baute er einen kleinen, separaten Raum aus. Gekachelt, sauber, mit Tür, verschließbar bei Regen, Wind und Schnee, aber 24 Stunden am Tag geöffnet für Jedermann. Heute freuen sie sich täglich über ein großes Einzugsgebiet bis in die rechtsrheinischen Kölner Stadtteile und wenig Konkurrenz. Die nächste Milchtankstelle liegt zehn Kilometer entfernt.
Nach nur einem Jahr zum Erfolg
Für die Anlage hat er gut 15000 Euro bezahlt, für den Um- und Ausbau auf seinem Hof noch mal rund 8000 Euro. Aber nach gerade mal einem Jahr hat sich die Investition schon amortisiert: „Am Wochenende geht es hier zu wie auf der Kölner Hohe Straße“, sagt Karin Büchel, die beim Melken nicht mithelfen will, aber peinlichst darauf achtet, dass die Milchtankstelle blitzblank ist. Heute hat die gelernte Montessori-Erzieherin frei und hilft mit auf der Weide. Gatter öffnen, Gatter schließen. „Wir sind hier mitten im Naherholungsgebiet. Es kommen viele Spaziergänger und Ausflügler vorbei“, sagt die Frau des Landwirts. Wenn Matschwetter ist, „putze ich auch zweimal am Tag“, erinnert sie sich ans lausige Frühjahr.
150 Liter in knapp zwei Tagen
Seit sich an den Wochenenden auch noch ein Crêpe-Verkäufer auf der Oberborsbacher Anhöhe aufstellt, reicht der Milchtank mit 150 Litern nicht für die zwei Tage. Es hat sich herumgesprochen, dass sich bei „Büchels Blick“ nicht nur dem Vieh der perfekte Ausblick bietet.
Rohmilch im Trend
Aber heute tut sich in den ersten beiden Stunden nichts. Eine Rentnergruppe beäugt zwar das Edelstahlgehäuse, aber keiner der Wanderer wirft Geld in den Kasten. Bis Mona Laqué kommt. Sie bezahlt einen Euro, öffnet die Tür, stellt ihre Glasflasche unter den Zapfhahn und füllt einen Liter Milch ab. Die selbstständige Sportwissenschaftlerin beschäftigt sich mit allen Ernährungsthemen – Rohmilch gehört dazu. „Ich bin überglücklich, dass es hier welche gibt, ich lege großen Wert auf die Omega-3-Fettsäuren, die in der Rohmilch besser erhalten sind als in pasteurisierter.“ Dafür fährt sie immerhin fünf Kilometer mit dem Auto alle zwei Tage. Früher fuhr sie viel weiter – für Ziegenrohmilch nach Lindlar. Ihr Sohn verträgt ausschließlich Rohmilch. Mit Kuh-Rohmilch kommt er gut klar.
Der Umweltaspekt steht bei ihr nicht im Vordergrund, mehr die Gesundheit. Aber sicherlich werde sich diese Art der Milchbeschaffung weiter durchsetzen, meint Laqué.
Drei Milchtankstellen in der Region:
Familie BüchelOberborsbacher Straße 6351519 Odenthal☎ 02202/97266
Gut LerbachOberlerbach 551465 Bergisch Gladbachwww.gutlerbach.de
Familie LukasGroßschwamborn 1251491 Overath☎ 0160/91626662
Milchtankstellen bald im Supermarkt?
Auch bei Hensing heißt es, dass es im Berliner Raum sogar schon Anfragen gibt, in Supermärkten Milchtankstellen aufzustellen. Dann ist die Milch zwar pasteurisiert, aber immerhin direkt vom Bauern und der Tetra-Pack-Müll wäre Geschichte. In Zeiten, wo in Großstädten verpackungsfreie Supermärkte eröffnen, hat vermutlich auch Milch aus dem Automaten gute Erfolgschancen. Büchel verkauft natürlich die Flaschen mit dem Hensing-Logo. Aber kein Mensch ist gezwungen, die Flaschen mit schwarzen Kuhflecken zu nehmen. Sie kosten drei Euro.
Milchtankstellen in der Umgebung
Familie Büchel
Oberborsbacher Straße 63
51519 Odenthal
☎ 02202/97266
Gut Lerbach
Oberlerbach 5
51465 Bergisch Gladbach
www.gutlerbach.de
Familie Lukas
Großschwamborn 12
51491 Overath
☎ 0160/91626662
Zum Vergleich: Im Supermarkt kostet eine Glasflasche Milch um 1,30 Euro – gefüllt. Mona Laqué bringt jedenfalls ihre eigene Glasflasche mit. „Mit Spülmittel, Bürste und heißem Wasser gereinigt. Das genügt.“ Büchel steht nun ausnahmsweise neben der Kundschaft in seiner Milchhütte. Während Laqué füllt, erklärt der Bauer, dass die Reinigung seiner Anlage durchaus aufwendiger ist. „Rohmilch ist sehr empfindlich. Sie wird sofort nach dem Melken auf drei bis sechs Grad gekühlt, damit keine Keime aktiv werden.“ Alle zwei Tage, bevor er den Tank neu befüllt, putzt er die Anlage, abwechselnd mit saurem und alkalischen Spülmittel, einmal im Jahr tauscht er die Schläuche.
Viel Aufwand mit Erfolg
„Es ist natürlich ein großer Aufwand“, sagt er . Aber schon nach kurzer Zeit hat er gemerkt, wie gut die Milchtankstelle angenommen wird. Seit von der Hauptstraße auch noch ein Schild zu seinem Hof weist, hat sich die Lage bei Büchels deutlich entspannt. „Dann hat auch noch meine Tochter gesagt, dass sie den Hof übernehmen will, womit das Thema Aufgeben vom Tisch war.“ Er krallt die Hände in die Träger seiner Latzhose, lächelt und verabschiedet sich. Jetzt muss er nach den Kälbchen schauen. Der Bauer knattert auf dem Motorrad davon zur kleinen Wiese.
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