Die Ideen der Biodynamie gibt es seit 100 Jahren. Auch viele Top-Betriebe der Weinbranche arbeiten nach den Methoden. Sommelière Romana Echensperger erklärt sie.
Mehr als vergrabene KuhhörnerWas machen biodynamische Weinbauern seit 100 Jahren anders?
Die biodynamische Landwirtschaft feiert dieses Jahr 100-jähriges Jubiläum. In den Zwischenkriegsjahren hielt der verehrte wie ebenso verhasste Anthroposoph Rudolf Steiner Vorträge zur Landwirtschaft. Daraus entstand die biologisch-dynamische Bewegung und der Bio-Verband Demeter. Vielen Lesern wird Herr Steiner über Waldorf-Schulen oder Dokumentationen ein Begriff sein. Dort bringen Kritiker oft ihre Verachtung für seine Ideen zum Ausdruck.
Bei der Biodynamie werden die Scheinwerfer auf die immergleichen Themen ausgerichtet, wie etwa das Vergraben von Kuhhörnern, aus denen homöopathisch wirkende Pflanzenstärkungsmittel gewonnen werden. Freilich gehört zur Biodynamie mehr als nur Mondphasen und Kuhhörner. Aber das ist eben eine willkommene Angriffsfläche für den Vorwurf: alles Hokuspokus von bestenfalls wissenschaftsfeindlichen Querdenkern.
In der Weinbranche arbeiten heute viele Top-Betriebe weltweit biodynamisch
In der Weinbranche arbeiten heute viele Top-Betriebe weltweit nach den auf Ganzheitlichkeit ausgelegten Ideen. Sind das also alles Verrückte? Natürlich nicht. Die Kritiker sollten sich deshalb fragen, was Menschen, die an den besten Universitäten studiert haben, an 100 Jahre alten und angeblich bescheuerten Ideen finden. Eine Antwort gibt die Agrarhistorie. Wer der Biodynamie Unwissenschaftlichkeit vorwirft, muss schnell zugeben, dass Teile der Agrarwissenschaft auch nicht sonderlich wissenschaftlich waren.
So schreibt der Agrarhistoriker Frank Uekötter: „Der Siegeszug der Agrikulturchemie im 20. Jahrhundert war zu erheblichen Teilen der Überlegenheit von einfachen, aber wissenschaftlich heiklen Behauptungen gegenüber komplizierten und realitätsnäheren Thesen zu verdanken.“ Erstaunlich auch, wie wenig man über das hochkomplexe Bodenleben weiß, obwohl man massiv mit Pflug, Kunstdüngung und Herbiziden dieses beeinflusst. Zudem sind manche Praktiker im Umgang mit der Natur den Verdacht nicht losgeworden, dass es doch mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als mit den bekannten wissenschaftlichen Methoden beweisen kann.
Die Biodynamie versucht darauf Antworten zu geben. Dazu gehört beispielsweise ein Perspektivwechsel. So wird nicht nur gefragt, wie Krankheiten kuriert werden können, sondern wie Gesundheit entsteht. Dass man für widerstandsfähige Pflanzen gesunde Böden und Biodiversität braucht, ist heute längst allgemeingültig. Eine gute Kompostwirtschaft, wie sie für die Biodynamie zentral ist, hilft dabei und ersetzt im Weinberg die Kunstdüngung. Der damit einhergehende Humusaufbau macht die Böden resilienter gegen Klimaextreme.
Die Biodynamie ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss und wer die Spritzmittel-App durch einen Anthroposophie-Guru tauschen will, soll es besser bleiben lassen. Der Erfolg vieler Betriebe sollte aber eine Einladung sein, offen zu schauen, was gut funktioniert und warum. Dass dieses Wirtschaften mitsamt Kuhhorn-Präparat Einfluss auf den Weingeschmack hat, ist übrigens auch bei Weinpäpsten wie Jancis Robinson angekommen. Sie schreibt: „Es klingt lächerlich … Die Sache ist die, obwohl die Wissenschaft es nicht erklären kann ... glaube ich oft, dass ich bei biodynamischem Wein mehr „Leben“ schmecken kann.“
Wer sich selbst ein Bild machen will, kann diesen fantastischen Rotwein von Gérard Bertrand verkosten. Betrand ist ein großer Weinunternehmer aus dem Languedoc, der sein gutes Dutzend Weingüter auf diese Wirtschaftsweise umgestellt hat und damit sehr erfolgreich ist. Er ist überzeugt, mit der Biodynamie authentischere und charakterstarke Weine zu erzeugen. Geschmack ist natürlich subjektiv, aber vielleicht kann dieser erstaunlich feine „Cigalus rouge“ ganz frei nach Goethe ein Mittler zwischen Subjekt und Objekt sein.
Weinempfehlung: 2021 L’Indomptable de Cigalus rouge, Gérard Betrand, Languedoc, 24,90 Euro, www.tesdorpf.de