Biohof in der Eifel„Natürlich töte ich meine Kühe nicht gerne“
- Als ihr Vater erkrankte, übernahm Judith Lambrich den Hof und kümmert sich seit 2013 alleine um die 150 Tiere.
- Seit 2014 ist der Hof ein Biohof. Statt in engen Ställen leben die Rinder in Mutter-Kuh-Haltung auf der saftigen Wiese.
- Lambrich züchtet Kühe aus Überzeugung: „Ich verkaufe nicht jedem meine Tiere. Da bin ich vielleicht blöd, aber so ist es eben.“
- Ein Besuch auf dem Biohof
Die Hohe Acht bei Adenau ist mit 747 Metern der höchste Berg der Eifel. Umringt von saftigen Wiesen, dichten Wäldern und grünen Hügeln erhebt sich das Wahrzeichen des Brohltals. Ganz oben thront der Kaiser-Wilhelm-Turm, die Pilgerstätte der Wochenend-Wanderer. Von dort ergießt sich ein imposanter Panoramablick über die Vulkaneifel. Wind, Ruhe, sattes Grün – ein Moment wie eine Yogastunde.
Möglicherweise sind die Rinder von Judith Lambrich wegen der Aussicht so gelassen. Die Tiere stehen von Anfang Mai bis Mitte November auf der Weide mit Blick auf die Hohe Acht. „Wenn die draußen sind, geht’s denen einfach besser. Letztes Jahr hab ich die am 23. Dezember rein geholt. Die würden auch noch länger draußen bleiben.“ Judith Lambrich spricht mit leichtem Eifeler Dialekt. Mit gerötetem Gesicht, Jeans und Outdoor-Schuhen steht sie vor ihrem Hof. „Ich geh noch schnell die Schokolade holen.“ Die gelernte Pferdewirtin ist mit der Viehzucht aufgewachsen und seit zehn Jahren „voll im Betrieb“.
Züchtung in Mutter-Kuh-Haltung
Als ihr Vater erkrankte, übernahm sie den Hof und kümmert sich seit 2013 alleine um die 150 Tiere. Der Buchhof ist seit 2011 ein Bio-Betrieb, seit 2014 offiziell. Hier werden ausschließlich Piemonteser Rinder gezüchtet, in sogenannter Mutter-Kuh-Haltung. Das heißt, die Kuhmilch wird ausschließlich für die Aufzucht der Kälber verwendet und diese wachsen bei ihren Muttertieren auf. Die Kälber werden zwischen 18 und 30 Monat alt.
Lambrich kommt zurück mit jeweils einem Zehn-Kilo-Eimer am rechten und einem am linken Arm. „Wenn das Jahr gut läuft, muss ich nichts zufüttern. Die Pellets hier sind für meine Tiere wie ein Stückchen Schokolade. Man kann Piemonteser nicht treiben, man muss sie locken.“ Ähnlich wie ihre Piemonteser strahlt die junge Landwirtin Ruhe und Kraft aus.
Der Bulle wiegt eine Tonne
Auf einer Weide neben uns stehen etwa 20 cremeweiße Kühe. Von weitem sehen die Tiere aus wie aus Marmor geformt. Die prächtige Schultermuskulatur wirft Schatten auf das helle Fell und wirkt dadurch noch voluminöser. Völlig ruhig stehen und liegen sie auf der Weide, kauen vor sich hin, verscheuchen die Fliegen und gucken in die Landschaft. Dazwischen spielen und grasen die Kälber. Die ganz Jungen sind nicht nur an ihrer Größe, sondern an ihrer dunklen Fellfarbe zu erkennen. Piemonteser kommen bräunlich, karamellfarben zur Welt und werden nach ein paar Monaten cremeweiß.
Abseits der weiblichen Belegschaft steht Nepomuk, der Deckbulle. Mit seinen neun Jahren ist er relativ alt. „Die meisten schlachten ihre Deckbullen mit vier oder fünf Jahren. Nepomuk steht aber noch voll im Saft“, erklärt Lambrich. Das riesige Tier bringt eine knappe Tonne auf die Waage. Im Gegensatz zu den weiblichen Rindern, haben die Piemonteser Bullen schwarz-graue Schattierungen um Hals, Nase, Augen und Ohren. Die natürliche Verstärkung des Marmoreffekts. Auch wenn die Tiere völlig friedlich und ruhig auf der Weide stehen, flößt ihre Größe dem unbedarften Zuschauer Respekt ein. Bei einem Zusammenstoß zwischen Mensch und Kuh ist klar, wer hier den Kürzeren ziehen würde.
Judith Lambrich betritt die Weide nur mit einer „Armverlängerung“, einem Stock. Der dient ausschließlich der Selbstverteidigung für den äußersten Notfall. „Die Tiere greifen niemals an, die sind super friedlich. Allerdings folgen Piemonteser einer sehr strengen Hierarchie. Wenn die Leitkuh zum Futter will und da steht eine andere im Weg, dann wird die platt gemacht. Wenn ich da versehentlich zwischen stehe, hab ich Pech. So eine Kuh hat auch ihre 600 Kilo.“
Bitte nicht streicheln
Judith Lambrich klettert durch den Zaun auf die Weide, stellt einen Eimer ab und dreht sich grinsend um: „Bereit? Ich ruf die jetzt.“ Sie gibt einen hohen, jo-delartigen Laut von sich: „Brrrrrrr Kaaaaa! Brrrrr Kaaaa!“ Schlagartig ist die Stille vorbei. Die Kühe antworten umgehend: Lautes Muhen ertönt von allen Seiten. Nach und nach rappeln sich alle hoch und stürmen unter dröhnendem Getrampel auf die schmale Frau mit den Eimern zu. Lambrich streut schnell das Kraftfutter auf den Boden und macht, dass sie Land gewinnt. „Die sind nicht immer nur brave Kühe.“ Wie zum Beweis stolziert Leitkuh Franzi durch das staubige Getümmel und schubst eine offenbar unaufmerksame Kuh unliebsam beiseite. Die zuckt zusammen, blökt erschrocken auf und macht der Chefin torkelnd Platz.
Der Fotograf beobachtet skeptisch das wüste Gerangel, formuliert ein Stoßgebet und folgt Judith Lambrich zum Heuhaufen. „Das sind keine Kuschelkühe. Die werden nicht gerne vom Menschen angefasst. Sie kennen das ja auch nicht“, erklärt die Landwirtin lachend. „Milchkühe werden zweimal täglich vom Bauern gemolken. Das ist also nichts Ungewöhnliches für sie. Meine Tiere aber nicht. Wir lassen die sogar alleine kalben. Wir gehen nur dazwischen, wenn das Tier Hilfe braucht. Und dann müssen wir uns doppelt und dreifach absichern.“
Antike Rinderrasse aus den Voralpen
Piemonteser sind eine antike Rinderrasse aus dem Voralpengebirge. Die schweren Tiere sind besonders beliebt für die Fleischproduktion, da sie einen geringen Knochenanteil haben und wenig Fett ansetzen. Wie bei allen ursprünglichen Tierrassen, vom Huhn bis zum Faultier, weisen auch die Piemonteser spezifische Charaktereigenschaften auf. „Die sind sehr eigen. Piemonteser sind ruhige, gelassene Tiere, aber untereinander nicht zimperlich. Und dennoch sind sie sehr sozial: Sie pflegen sich gegenseitig, lecken sich die Augen und Ohren und haben ein ganz starkes Herdenverhalten.“
Eine weitere typische Piemonteser-Eigenschaft ist der Mutterinstinkt. Die Muttertiere lassen ihre Kälber nicht aus den Augen und verteidigen diese vehement. Judith Lambrich ist, wie jeder andere Viehzüchter, verpflichtet, ihre Tiere mit Ohrmarken zu kennzeichnen. Die Kunststoffmarken müssen innerhalb der ersten Woche nach der Geburt eines Kalbes angebracht werden, und dienen der Rückverfolgbarkeit sämtlicher Daten über das Tier. „Das ist jedes Mal ein Kampf der Giganten. Das Muttertier flippt aus, das Kalb ist völlig verängstigt und mir ist auch nicht wohl dabei“, sagt Judith Lambrich. „Die EU sieht eine Marke vor, die deutsche Gesetzgebung zwei. Wenn ich nur eine Marke setze, können die mir die Mutter-Kuh-Prämie kürzen. Die Politiker wissen überhaupt nicht was sie da von uns verlangen. Das hat sich wieder der Mann am Schreibtisch ausgedacht.“
Die größten Verlierer in der Rechnung sind die Erzeuger und die Tiere
Der Buchhof von Judith Lambrich würde, wie so viele landwirtschaftliche Betriebe, ohne staatliche Subventionen nicht überleben. Schuld daran tragen Politik, Industrie und Verbraucher gleichermaßen. „Wir Landwirte können nicht unsere Preise machen. Wir kriegen gesagt, was wir für unser Produkt bekommen und sind nicht in der Position zu sagen: Wir bräuchten aber das. Sowas schafft man nur, wenn man eine Nische findet.“ Die Fleischpreise werden von den Handelskonzernen bestimmt. Diese geben den Preisdruck an die Schlachtunternehmen weiter. Die größten Verlierer in der Rechnung sind die Erzeuger und die Tiere.
Wird ein Tier vom Bauern zum Schlachthof gebracht, erhält er dort den sogenannten Erzeugerpreis je Kilogramm Schlachtgewicht. Dieser variiert nach Muskelfleischanteil sowie speziellen Herkunfts- und Qualitätsmerkmalen wie etwa biologischer Erzeugung. Zwischen 2015 und 2017 schwankte der durchschnittliche Erzeugerpreis für konventionelles Schweinefleisch zwischen 1,30 und 1,80 Euro. Im Durchschnitt erhält ein Bauer für ein geschlachtetes Schwein von 120 Kilogramm also 150 Euro. 150 Euro für Futter, Pflege und unzählige Arbeitsstunden. Rindfleisch erzielt zwar etwas höhere Preise, von Gewinn kann hier aber auch keine Rede sein. Der Handel drückt die Preise seiner Lieferanten. Ausschlaggebend für den Handel sind Nachfrage und Zahlungsbereitschaft der Konsumenten, des preisbewussten deutschen Verbrauchers. So lange Menschen immer noch Billigfleisch aus Massentierhaltung und industriellen Schlachthöfen konsumieren, so lange wird sich an diesem System auch nichts ändern.
Judith Lambrich versucht diese Abwärtsspirale mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu durchbrechen. Sie vermarktet ihr Rindfleisch selbst und arbeitet mit einem Metzger ihres Vertrauens im zehn Kilometer entfernten Niederzissen zusammen. „Ich sehe es nicht ein, ein Bio-Produkt konventionell zu vermarkten. Ich verkaufe auch nicht jedem meine Tiere. Da bin ich vielleicht blöd, aber so ist es eben.“ Die Rinderzüchterin achtet darauf, wem sie ihre lebendigen Tiere aber auch die geschlachteten verkauft. Eine große Supermarktkette würde zwar gerne ihr Bio-Fleisch ins Sortiment aufnehmen, schreibt ihr aber den 60 Kilometer entfernten Schlachthof vor, obwohl dieser Transport nicht den Bio-Richtlinien entspräche. Der Grund dafür ist simpel: Das Versicherungsroulette. Die Verantwortung für den Lebendtransport zum Schlachthof läge bei Judith Lambrich. Nicht nur im Fall der charakterstarken Piemonteser ist jeder gefahrene Kilometer ein Kilometer zu viel. Der Transport ist für die meisten Tiere eine Tortur und mit Angst und Stress verbunden. Lambrich möchte das ihren, ohnehin menschen-scheuen, Rindern ersparen.
Lieber zu Hause schlachten
Die Landwirtin begleitet ihre Tiere von der Geburt bis zum Tod. „Demnächst macht mein Metzger zu und er hat keinen Nachfolger. Ich brauche dringend eine Alternative. Es wäre mir eigentlich am liebsten, wenn die Tiere hier auf dem Hof geschlachtet würden, ganz ohne Transport. Da gibt es allerdings unglaublich viele Auflagen. Das ist alles nicht so einfach.“ Früher waren Hausschlachtungen weit verbreitet. Im Jahr 2000 wurden noch über 11 600 Rinder auf traditionelle Weise geschlachtet, 2017 waren es nur noch knapp 27 000. Der Beruf des Schlachters war ein angesehenes Handwerk – von der Betäubung über die Schlachtung bis zum Zerlegen. Heute werden in Deutschland pro Minuten sieben Rinder, 110 Schweine und 1 300 Vögel geschlachtet. Was früher im Ortskern geschah und fester Bestandteil des alltäglichen Lebens war, wurde in dünn besiedelte, ländliche Regionen fernab der Öffentlichkeit verbannt. Fleischkonsum und -erwerb wurden fein säuberlich von Tierhaltung, Schlachtung und Fleischverarbeitung getrennt. Dem Verbraucher zuliebe. Denn kaum jemand möchte genau wissen, wie aus dem Schwein der Schinken, das Nackensteak oder die Bratwurst wurde. Hauptsache, es ist günstig. Zu den kranken Folgen dieser an Realitätsverweigerung grenzenden Geisteshaltung gehören auch die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in industriellen Schlachthöfen. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung haben Menschen, die im Schlachthof arbeiten, ein erhöhtes Risiko an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Alkoholismus zu erkranken. Diese Zustände sind schockierender als jede Hausschlachtung.
Zurück auf dem Hof empfängt uns der vierjährige Neffe von Judith Lambrich. Es ist kurz vor Mittag und riecht nach Fleischbrühe. „Na, wie war’s im Kindergarten?“, begrüßt Lambrich den Jungen. Ihre Mutter steht derweil in der Küche und verarbeitet Fleisch von den eigenen Rindern. „Klar essen wir unsere eigenen Tiere. Dafür wurde ich schon häufig als herzlos beschimpft. Wie ich das denn nur könnte, aber das ist ja schließlich eine Grundsatzfrage. Natürlich töte ich meine Tiere nicht gerne und ich möchte, dass sie ein schönes Leben haben, aber ich bin Landwirtin. Ich erzeuge Lebensmittel.“ Der kleine Junge mit den roten Haaren guckt seine Tante mit großen Augen an. „Weißt du was es zu Mittag gibt?“ „Eintopf, glaub ich.“ „Weißt du was wir da essen?“ „Da ist Emil drin.“ Er reißt die Augen noch ein bisschen weiter auf. „Darf ich den Leuten die anderen Kühe zeigen?“ Die Leute sind der Fotograf und die Reporterin. Die anderen Kühe, sind die männlichen Kälber die hinterm Hof neben dem Stall grasen. Die Junge rennt los.
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Judith Lambrich schlachtet ein Tier erst, wenn es komplett verkauft ist. Kunden können sich bei ihr auf eine Liste setzen lassen und werden kurz vor dem Schlachtdatum benachrichtigt. Ein Kilo Fleisch kostet im Durchschnitt zehn Euro. Zehn Kilogramm sind die Mindestabnahme. Im Fleischpaket sind Bratenstücke, Rouladen, Filet, Beinscheiben und Hackfleisch. Von allem ein bisschen. „Wenn Fleischtag ist, lass ich das die Kunden gerne selber machen. Die sollen sich ruhig mal mit dem Fleisch beschäftigen. Der Verbraucher muss anfangen umzudenken. Von »Was esse ich heute?« zu »Was esse ich morgen?«“, sagt die Landwirtin. Die Sonderwünsche ihrer Kundschaft, wie eine größere Menge eines bestimmten Teilstück, versucht Lambrich ebenfalls zu erfüllen. „Da verzichtet dann die Familie.“ Judith Lambrich kämpft für ihre Idee vom bewussten, nachhaltigem Fleischkonsum. Jeden Tag.
„Ich liebe meinen Job, es gibt nichts schöneres auf der Welt, aber ich wünsche mir mehr Wertschätzung. Wir Bauern sind nicht mehr Teil der Gesellschaft. Wir stinken die Straßen voll, müssen von Subventionen leben und fahren riesige, teure Traktoren. Es wird immer schlimmer. Die Menschheit ist extrem Ich-bezogen.“ Der größte Wunsch der Landwirtin ist, ohne die EU-Zuschüsse auszukommen. Mehr Unabhängigkeit für mehr Selbstbestimmtheit. „Das ist leider unrealistisch.“ Aber Wünsche darf man ja noch haben.
Der Buchhof
Judith Lambrich56746 Engeln/ Kempenich,☎ 02655/3136,Fax: 02655/ 961751