Luxemburger MeisterköchinLéa Linsters Weg zu den Sternen

Erfolgreiche Köchin und Geschäftsfrau, die nicht so genannt werden will: Léa Linster wird im April 60.
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Köln – Frau Linster, Ihre Eltern führten in Luxemburg ein einfaches Lokal, nach der Übernahme haben Sie es in den 1980er Jahren in kurzer Zeit zum Sternerestaurant gemacht. . .
Warum essen Sie Ihre Quiche nicht?
Ich muss mich auf unser Gespräch konzentrieren – dabei kann ich leider nicht essen.
Ah pardon, ich kann mich beim Essen am besten konzentrieren. Kochen und Essen – das hat mich immer gerettet, wenn ich dachte: Jetzt geht gar nichts mehr. Auch mit den Menschen. Ich hatte ja oft Zoff mit meiner Mutter. Aber wenn sie gekocht hat, habe ich sie sehr geliebt für ihr wunderbares Essen, besonders ihr unvergleichliches Osso buco.
. . jetzt werden Sie bald 60 und arbeiten mit Ihrem Sohn dort gemeinsam. Gibt es da auch Zoff?
Louis ist viel strenger als ich, er will immer alles ganz korrekt machen. Wenn im Restaurant etwas fehlt, sorgt er sich fürchterlich. Ich bin dagegen sehr raffiniert: Egal welche Vorstellung Sie sich vom Essen machen – ich serviere Ihnen etwas und dann wollen Sie nur noch das haben.
Sie meinen, Sie haben die Kunst der kulinarischen Manipulation perfektioniert?
Mit Essen verführt man. Und vielleicht manipuliert man auch – aber positiv. Das lässt sich jeder gerne gefallen, oder? Und wenn etwas fehlt oder nicht gelungen ist, bringt es doch nichts zu verzweifeln. Dann muss man gut sein! Es geht beim Restaurantbesuch ja immer darum, die Vorstellung vom Besten zu befriedigen. Und was ich serviere, wird zu dieser Vorstellung. Und um auf Louis zurückzukommen: Er ist 24 und soll jetzt erstmal seinen Weg finden. Ich war in seinem Alter, als mein Vater starb und ich plötzlich für alles verantwortlich war. Ich spüre immer noch meinen Willen von damals, unbedingt meinen Weg gehen zu wollen. Deshalb möchte ich auch nicht, dass ich für ihn an erster Stelle stehe, sondern er.
Warum schreiben Sie genau jetzt über Ihr Leben – gibt es einen besonderen Anlass?
Na ja, wenn ich warte, bis ich 80 oder 100 bin, kann ich mich vielleicht nicht mehr so richtig erinnern – wer weiß. Das Buch erklärt ja viel von mir, es ist wie ein Rezept für mein Leben. Ich glaube, es zeigt meinen Optimismus, meine Liebe zum Leben und zum Kochen, aber auch harte Zeiten.
Wenn man sich so intensiv mit dem Lebensverlauf beschäftigt, kommt wahrscheinlich zwangsläufig mindestens ein Resümee zustande. Was sehen Sie, wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken?
Es war interessant, wie ich mich von A nach B durchgewurschtelt habe. Wenn ich jetzt zurückschaue, bin ich auch etwas erschreckt darüber, dass es gerade die schlimmen Sachen waren, die mich nach vorne gebracht haben. Ich erinnere mich ja nicht gerne daran, aber das ist wohl wahr. Es gab zum Beispiel einen Mann, mit dem ich gemeinsam eine fatale Investition machte. Er hätte mich damals ruinieren können. Von einem Tag auf den anderen brach ich die Beziehung ab. Seitdem fürchte ich Männer nicht mehr. Das hat mich gelassen gemacht.
Aus heutiger Sicht kann man Sie aber als erfolgreiche Unternehmerin bezeichnen mit zwei Restaurants und einem Café in Luxemburg und vielen TV-Engagements.
Es hat mich immer gestört, wenn mich jemand eine gute Geschäftsfrau nennt. Da bin ich fast sauer. Eher bin ich doch eine Künstlerin. Oder einfach eine Köchin. Aber Geschäftsfrau – das heißt für mich: alles machen für ein gutes Geschäft. Das ist herzlos und ich möchte alles mit dem Herzen machen. Wäre ich eine gute Geschäftsfrau, würde ich etwas ganz anderes machen und nicht nur Salzkörnchen für Salzkörnchen voranschreiten.
Es verdrießt Sie, dass Sie nie den zweiten Michelin-Stern bekommen haben.
Es hat mich verdrossen! Es hat! Heute sehe ich das anders, denn wenn ich ihn bekommen hätte, wären viele andere positive Dinge nicht passiert. Sicher wäre ich nicht ins Fernsehen gekommen. Das war zu der Zeit sehr gefährlich. Wenn man anderweitig umtriebig war, hat man den zweiten Stern schnell wieder verloren. So hatte ich nicht so viel zu verlieren – und habe viel gewonnen.
Ist der Michelin-Stern für Sie immer noch wichtig?
Ja, absolut, ich merke das an meinem Sohn, der ist ganz erpicht darauf.
Früher wurden fast nur klassisch ausgerichtete Küchen mit Sternen ausgezeichnet, das ist wesentlich diverser geworden. Wie haben Sie sich verändert über die Jahre – sie halten den Stern seit 1987?
Ich bin eine Köchin, die die klassische französische Küche beherrscht, aber ich bin keine klassische Köchin. Ich koche sehr fein. Mit Glamour auf dem Teller. Um sich zu erneuern, muss sich nicht immer alles ändern. Wir machen Details neu, ganz dezent. Aber eins steht auch fest: Die Gerichte, für die du berühmt bist, musst du immer machen. Ich kann doch nicht sagen, ihr müsst meine Madeleines kosten, aber backe sie dann nicht mehr, weil sie mich langweilen. Wenn aber der Gast sagen würde, sie schmecken langweilig, überlebten sie im Restaurant nicht eine Stunde.
In den vergangenen zehn Jahren fand in der Spitzengastronomie die Revolution der Avantgarde statt. Hat Sie der Molekular-Trend kalt gelassen?
Was mich an Molekular interessiert hat, war, dass Ferran Adrià die Produkte anders betrachtet hat, als man es gewohnt war. In den 1980ern kam zwar die Nouvelle Cuisine auf, aber man musste immer noch Respekt zeigen für die klassische Kunst und eben auch den klassischen Umgang mit den Produkten. Ich bin nicht der große Provokateur. Adrià brachte inspirierende Perspektiven. Wenn ich jetzt eine Karotte auf neue Art behandle und sie schmeckt wunderbar– dann bin ich zufrieden. Diese Courage habe ich davon übernommen. Aber wenn Sie mich fragen, ob mir die molekulare Küche gefällt: Sie gefällt mir nicht.
1989 haben Sie als erste und bisher einzige Frau den wichtigen Kochwettbewerb Bocuse d’Or gewonnen. Noch heute kann man in Ihrem Restaurant das Menü Bocuse d’Or bestellen mit dem Klassiker Lamm in der Kartoffelkruste. War die Auszeichnung der wichtigste Moment Ihrer Karriere?
Ja, diesen Preis habe ich mir als Frau genommen, als es eigentlich unmöglich schien. Bevor die anderen gemerkt haben, dass ich ein Mädchen bin, hatte ich ihn! Der zählt in der professionellen Welt extrem viel und ich genieße das heute noch. Mir persönlich war das nie so wichtig, ob ich etwas erreiche, weil oder obwohl ich eine Frau bin, aber anderen wohl schon. Eine französische Sterne-Köchin hat mal zu mir gesagt, um in der Gastronomie erfolgreich zu sein, musst du sein wie ein Mann. Was für eine Idee, oder? Ich möchte überhaupt nicht so sein wie die Männer, auch wenn ich die Männer mag.
Der französische Spitzenkoch und Erfinder der Nouvelle Cuisine Paul Bocuse war wichtig für Sie. Warum?
Er hat mir diese Größe gezeigt. Wissen Sie, ich hatte ja schon einen Stern; gehobene Gastronomie ist geprägt von Eifersucht, Wettkampf, Konkurrenzdenken – all das. Und in Bocuse habe ich jemanden kennengelernt, der sein Wissen weitergeben wollte. Es liegt ihm etwas daran, dass die gute französische Küche weitergeht und gleichzeitig auch bestehen bleibt. Er war großzügig, freigiebig mit seinem Wissen, er hat auch die anderen machen lassen – das hat mir so gut an ihm gefallen. Bei ihm habe ich gelernt: Es geht nicht nur darum, wie gut du kochst, sondern auch darum, dass du teilst und dich mitteilst. Außerdem war Bocuse richtig liebevoll. Ich habe immer noch ein Faible für hoch positionierte Männer, die so eine liebevolle Art haben.
Wie sind Sie als Chef?
Bei mir arbeiten sehr gute Köche. Ich gebe ihnen immer die Gelegenheit, sich zu verwirklichen. Ich möchte keine Leute, die nur das machen, was ich will. Sondern ich möchte, dass sie auch etwas wollen und das umsetzen. Das sind dann Menschen, die meinen Kreationen keinen Schaden zufügen. Aber ich gebe auch zu: Früher habe ich in der Küche geschrien – immer wenn ich Angst hatte, dass ich nicht dort ankomme, wo ich hinwollte. Das Schlimme beim Brüllen ist aber, dass man sich am Ende als die Blödeste fühlt. Das nimmt dir zu viel Kraft. Diese Zeiten sind vorbei.
Heute sind Sie eine populäre Spitzenköchin und haben viele Prominente zu Gast. Haben Sie Lieblings-VIPs?
Ich freue mich immer ganz wild, wenn ein internationaler Superstar in unser Kuhdorf kommt. Der Schauspieler Michael Caine, die Rapper Snoop Dog oder Mac Miller zum Beispiel. Der nennt mich seine luxemburgische Mama und es müssen für ihn immer besonders viele Madeleines gebacken werden. Wir machen große Veranstaltungen für alle möglichen wichtigen Leute. Aber ich denke da gar nicht so oft dran. Kochen lenkt ja von allem ab.
Auch von kritischer Begutachtung durch die Umgebung, als sie allein erziehende berufstätige Mutter mit Karrierewillen waren – wie Sie das im Buch beschreiben?
Ich habe das interessant gefunden, und gedacht, man nimmt sich doch nicht die Zeit, detaillierte Urteile zu fällen, deshalb leben viele Menschen von Vorurteilen. Das hat sich wahrscheinlich auch auf mich bezogen. Natürlich musste ich viel arbeiten. Ich hatte nie lange Zeit, um mich darüber aufzuregen. In der Küche warteten ja schon andere Probleme. Da hat mein Beruf für mich schon fast therapeutischen Wert.
Bedauern Sie heute, nicht mehr Zeit für Familie gehabt zu haben?
Ich habe meinem Sohn niemals gesagt, ich habe keine Zeit für dich. Das war eine Abmachung mit mir: Diesen Satz werde ich nie sagen! Aber selbstverständlich hätte ich gerne mehr Zeit mit Louis gehabt. Was soll ich sagen: Wahrscheinlich habe ich alles falsch gemacht und am Schluss stellt sich raus, dass das genau das Richtige war.
Sie widmen ein ganzes Buchkapitel Ihren Freunden. Was bedeutet Ihnen Freundschaft?
Freunde sind die, die spontan gute Energie bringen. Ich glaube gar nicht, dass die die besten Freunde sind, mit denen man die besten Gespräche führt. Das ist so stark von außen beeinflusst, von momentanen Stimmungen und Ereignissen. Freundschaften hat man über Chemie – das Reden ist wie schöne Deko. Aber das zusammen Fühlen – das ist die Freundschaft. Ich habe aber auch nie Angst, Freunde zu verlieren. Ich bin wie Casanova, der hat ja immer die Frauen geliebt, die gerade da waren. Und ich liebe immer die Freunde, die gerade da sind.