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Fleisch auf dem RostGrillen als letzte Bastion der Männer?

Lesezeit 5 Minuten

Wenn Männer am Grill stehen....

  1. Wie Grillen populär wurde.
  2. Hemmungsloser Fleischkonsum oder Veggie?

Professor Hirschfelder, kaum ist es ein bisschen sonnig, laufen wir raus und grillen. Ist das der Steinzeitmensch in uns?

Kaum. Grillen ist überhaupt nicht alt, sondern ziemlich jung. In der späteren Steinzeit waren wohl eher Kochgruben populär: Da gräbt man eine Grube, schichtet Nahrungsmittel hinein und gibt Steine dazu, die das Ganze zum Garen bringen. In der ganzen Menschheitsgeschichte haben die Menschen eher aufs Kochen gesetzt, weil dadurch am wenigsten Nährstoffe verloren gehen. Beim Grillen tropft das Fett weg.

Aber es schmeckt besser.

Diesen Geschmack konnten sich aber über lange Zeit die meisten Menschen nicht leisten. Im Mittelalter bildet sich im mitteleuropäischen Raum deshalb die Unterscheidung heraus, dass das Braten von Speisen – das ja eine Art Grillen ist – dem Adel und der Oberschicht vorbehalten bleibt. Gegrilltes und Gebratenes ist im Mittelalter und der Frühen Neuzeit ein Synonym für oberschichtliche Ernährung. Die Unterschicht kocht.

Warum?

Weil beim Grillen das Fett und damit Energie verloren geht. Und weil man ja nur frisches Fleisch grillen kann. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung schlachteten aber nur einmal im Jahr, im Herbst, und dann wurde das Fleisch konserviert. Zum Grillen blieb nicht viel übrig, von Ausnahmen etwa in der voradventlichen Zeit abgesehen. Auch Wurst ist ja eine Konservierungsmethode, die es seit der Antike gibt. Sie wurde aber nicht gegrillt.

Wie wurde Grillen dann populär?

Grillen kommt erst in den 1970ern plötzlich aufs Tapet. Auslöser ist die Technisierung des Haushalts: Tiefkühltruhe und Kühlschrank stehen plötzlich in jedem Haus. Um 1970 wird Kochen vom wirtschaftlich Notwendigen zur Freizeitangelegenheit. Und mit der Ausrichtung am Vorbild USA wird Grillen zum Massenphänomen. Je mehr wir uns von der Bauerngesellschaft entfernen, desto mehr werden wir zur Outdoor-Gesellschaft. Eine bäuerliche Gesellschaft grillt kaum.

Warum brät man das Fleisch öffentlich im Park und nicht zu Hause im eigenen Garten?

Das Grillen im Park ist eine neue Entwicklung, die erst in diesem Jahrhundert zu beobachten ist. Früher grillte man im Garten, beim Picknick oder auf dem Campingplatz. Wir haben etwa seit den 1990ern, verstärkt seit den 2000er Jahren, eine starke Digitalisierung und Globalisierung der Gesellschaft. Das hat dazu geführt, dass wir ein anderes Verhältnis zum öffentlichen Raum haben. Die Menschen gehen heute auf öffentliche Flächen, eignen sich diese Räume an. In meiner Studienzeit hätte in Bonn niemand im Hofgarten oder vor dem Poppelsdorfer Schloss gegrillt. Seit den 2000er Jahren aber werden diese Räume genutzt – vor allem von Jüngeren.

Neben den jungen Menschen sind Migranten die zweite Gruppe, die häufig im Park grillt. Warum?

Das hat unterschiedliche Gründe. Menschen etwa, die aus dem Bereich der früheren Sowjetunion kommen, knüpfen durchaus an eine starke Grilltradition in ihren Heimatländern an – die haben sie dann importiert. Andererseits ist das Grillen im Park auch ein Zeichen von Demokratisierung. Noch in den 1970ern hätten sich Studenten oder südeuropäische Arbeitsmigranten kaum getraut, in einem Park zu grillen. Heute verlassen die Menschen ihre Nischen. Das zeigt die neue Offenheit unserer Gesellschaft.

Welche Rolle hemmungsloser Fleischkonsum in unserer Gesellschaft spielt, lesen Sie hier...

Welche Rolle spielt das Fleisch?

Fleisch ist eine Form von Entgrenzung. Wir leben in einer stark regulierten Gesellschaft, aus der man nur schwer ausbrechen kann. In der alten BRD war es noch relativ normal, auch einmal verkatert zur Arbeit zu kommen – auch mehrmals die Woche. Das können Sie heute nicht mehr machen, weil unsere Gesellschaft viel stärker auf Effizienz ausgerichtet ist. Ein großer Teil der jüngeren Generation ist ständig in der Optimierungsspirale.

Und hemmungsloser Fleischkonsum ist eine Möglichkeit, aus dem Hamsterrad auszubrechen?

Genau. Zum Ausbrechen haben wir nur noch wenige Möglichkeiten, zum Beispiel das Hochzeitsbuffet oder eben das Grillen. Das sehen Sie schon an der Einkaufsliste, wenn Sie zum Grillen einladen: Man würde doch für jeden Gast nicht nur ein Bratwürstchen kaufen – obwohl das von der Energiezufuhr her durchaus ausreichen würde. Sondern man berechnet mindestens zwei Würstchen und ein Stück Fleisch für einen erwachsenen Mann – also im Grunde zwei Portionen. Grillen hebelt unsere Selbstbeschränkung auf.

Aber warum gerade Fleisch? Man kann ja auch Gemüse auf den Rost legen.

Beim Grillen holen wir auch das Fleischessen nach. Fleisch hat ja einen rapiden Ansehensverlust erlitten. Viele Menschen haben aber eine natürliche Affinität zum Fleisch. Wir sind genetisch konditioniert auf den Geschmack Umami – der beim gegrillten Fleisch mit seinen halbverkohlten Kohlenstoffverbindungsmolekülen besonders gut herauskommt. Vielen schmeckt gegrilltes Fleisch einfach.

Der typische Grillmeister ist männlich. Warum eigentlich?

Weil das Grillen auch eine Insel ist, auf der wir uns von den aktuellen Geschlechterrollen lösen können. Die sind ja auf völlige Gleichheit konditioniert. Beim Grillen dagegen kann der Mann noch Mann sein und sein stereotypes Rollenverhalten ausleben.

Viele Frauen werden jetzt widersprechen und sagen, sie stehen genauso genauso gern am Grill.

Lange war Grillen die letzte Bastion der Männer, aber auch hier zeigt sich, dass sich Kultur eben immer wandelt: Zunehmend stehen auch Frauen an der Glut, ohne dass sich die Platzhirsche gewehrt hätten.