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„Ich mag Fleisch“Unser Autor versucht Vegetarier zu werden – und scheitert permanent

Lesezeit 9 Minuten
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Für einen notorischen Nicht-Koch wie unseren Autor essenziell: Fastfood. 

  1. Unser Autor versucht dem Klima zuliebe Vegetarier zu werden – und scheitert permanent.
  2. Dass in unserer Gesellschaft jeder selbst über seinen Fleischkonsum entscheiden darf, findet er unverantwortlich.
  3. Darum hat er eine ganz konkrete Forderunng an den Staat.

Köln – Mein Bauch und mein Kopf können sich nicht mehr leiden, seit einem halben Jahr streiten sie schon fortwährend. Der eine knurrt, der andere rattert. Es ist eine durchaus lautstarke Auseinandersetzung. Ihre vorläufige Eskalation erreichte sie an einer Currywurst-Bude. Ich stand da, vor ein paar Tagen nach der Arbeit und aß. Mein Bauch war befriedigt. Meinen Kopf machte das sauer.

„Du bist Sklave deines eigenen Selbstzwecks“, schimpfte mein Kopf.„Musste jetzt sein“, murmelte es aus meinem Magen.Und ich dachte: Dieses Mal hast du es immerhin acht Tage durchgehalten.Jeden Morgen aufs Neue nehme ich es mir vor, ich möchte doch ein besserer Mensch werden. Für mich. Für unseren Planeten. Ich möchte Vegetarier sein.

Es gelingt mir nicht. Meine eigene Sozialisation reißt anscheinend gerade meinen Körper entzwei. Gewissen und Genuss, das geht für mich nicht mehr zusammen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch zu stark. Seit ich denken kann, esse ich Tiere. Gekocht, gebraten, frittiert, zu Wurst gepresst, in Plastik verschweißt, zerhackt, in Scheiben geschnitten, ausgenommen, in perfekte Fertig-Schnitzel-Form gestanzt.

Mein erstes Lieblingsgericht war der Blumenkohl-Hackfleisch-Auflauf meines Vaters, dann Penne Carbonara, irgendwann einfach nur noch Döner. Fleisch, das glaubte ich mein Leben lang, muss man essen, um zu wachsen. Damit man gesund bleibt, damit man keinen Mangel bekommt. Welchen weiß ich nicht mehr so recht. Eisen? Vitamin B12? Egal. Es würde mangeln, bestimmt, an irgendetwas.

Ich kann nicht mehr verdrängen

Seit einem halben Jahr aber nun scheitere ich bei dem Versuch, kein Fleisch mehr zu essen. Das, was ich gern erreichen würde, nenne ich Öko-Veganismus. Meine Anstrengungen gelten nicht der Rettung der armen Tiere – was sicher der noblere Weg wäre. Ich aber will das, um die Treibhausgasemissionen unseres Planeten herunterzufahren. Und vielleicht ist das auch schon das Problem. Ich bin so klein, die Erde so groß. Hat das wirklich einen Sinn?

Ich bewundere Menschen, die sich aus ethischen Gründen dafür entscheiden, kein Fleisch mehr zu konsumieren, einfach so, von heute auf morgen. Ich hatte dazu nie die nötigen Gewissensbisse. Ich mag Fleisch. Es schmeckt mir gut. Klar, ich weiß, dass es grausam und widerlich ist, wie Tiere in Deutschland gehalten werden.

Ich habe Reportagen darüber gelesen, wie Schweine auf weniger als einem Quadratmeter ohne Sonnenlicht leben, bis sie fett genug für die Kühltheke sind. Wie sie anschließend in Fließbandsekunden geschlachtet werden, von Menschen aus Osteuropa, die im niedersächsischen Speckgürtel-Nirvana im Wald leben müssen, weil sie fürs Töten zu wenig Geld bekommen, um davon eine Wohnung zu bezahlen.

Ich weiß das alles. Aber ich sehe es nicht, wenn ich mir im Supermarkt die Salami anschaue. Ich kann sie kaufen, ohne dabei an das Tier zu denken, aus dem sie herausgemetzelt wurde. Ich habe noch nie gesehen, wie ein Tier geschlachtet wird. Und damit bin ich zu einem perfekten Opfer der deutschen Industrie pubertiert: Ich kann trotz aller Aufklärung verdrängen, für den Geschmack. Ich kann mir einreden, das Tier sei ja nun eh schon tot und das eine Mahl, das macht doch jetzt wirklich keinen Unterschied. Damit ist jetzt Schluss – soll zumindest Schluss sein.

Meine Currywurst schadet dem Klima

Seit gut zwei Jahren ist da tatsächlich eine neue Hemmung in mir. Erst in Form eines niederschwelligen Zweifels, seit ein paar Monaten zu einem lauten Gedanken gewachsen. Ein penetranter „Nein, so geht das nicht weiter“-Moment, der immer wieder aufkommt. Egal wie oft ich ihn beiseite schiebe, den Klimawandel.

Jaja, ich weiß, das Thema nervt. Gut so. Keine Sorge, hier folgt jetzt kein Greta-Thunberg-Zitatgewitter. Nur so viel, damit meine Ambition und gleichwohl meine Beunruhigung verständlich werden: Eine brandaktuelle Studie der ETH Zürich sagt für das Jahr 2050 einen Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen in den Städten Europas um 3,5 Grad im Sommer, im Winter um 4,7 Grad voraus.

Das Klima in Paris wird den Bedingungen entsprechen, die heute im australischen Canberra herrschen. Und das ist noch eine vergleichsweise optimistische Schätzung. Großstädte sind Ballungsräume. Schon in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Hitzetoten in Deutschland gestiegen. Pflanzen trocknen aus. Menschen werden in wenigen Jahren aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil die unbewohnbar heiß wird. Und das, ja leider, hat etwas mit mir und meiner Currywurst zu tun.

Für die Klimaveränderung ist der Mensch hauptverantwortlich, das ist wissenschaftlich gesichert.

Rund 97 Prozent der Klimawissenschaftler stimmen dem zu und es ist absurd, dass ich das 2019 noch einmal schriftlich unterstreichen muss. Dass Konzentration von Treibhausgas als genauso wissenschaftlich erwiesen gilt, wie Treibhausgase die Atmosphäre erwärmen. Je mehr CO2 in der Atmosphäre, desto weniger Wärmestrahlung der Erde kann zurück ins All reflektiert werden.

Die Bäume fehlen

Seit Beginn der Industrialisierung hat die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre deutlich zugenommen. Genauer gesagt: Niemals zuvor war sie in den vergangen 800 000 Jahren so hoch. Und mehr als die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen wird durch Massentierhaltung verursacht. Allein in Deutschland kommen laut Umweltbundesamt immerhin 7,3 Prozent der Treibhaus-Emissionen aus der Landwirtschaft.

Auch in Deutschland wird an Vieh vor allem Soja und Mais verfüttert. Weltweit werden über 70 Prozent des Ackerlands dafür beansprucht, Futter für Nutztiere zu erzeugen. Dort fehlen Bäume, die CO2 binden. Hinzu kommt ein weiteres Treibhausgas, Methan, das überwiegend in den Mägen von Wiederkäuern wie Kühen und durch den Einsatz von Gülle entsteht.

Der Klimawandel ist nicht bloß etwas, wovon uns Öko-Miesepeter erzählen, damit die Menschheit weniger Spaß am Leben hat. Vegetarier zu sein, das war jahrelang eine moralische Frage. Jetzt ist es eine existenzielle. Nicht nur für die Tiere, die wir essen. Für uns. Klar, das ist egoistisch. Die armen Tiere, die interessieren den Bauch nicht. Aber dass die eigenen Kinder es einmal sehr schlecht haben könnten, darüber zerbrechen wir uns den Kopf.

Dabei wäre es eigentlich Aufgabe der Politik, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen Probleme zu lesen und gesellschaftliche Lösungsansätze zu formulieren. Dafür ist sie da, entstanden aus der Uneinigkeit, muss sie verschiedene Interessen zusammenbringen. Und hier haben wir anscheinend zwei sehr verschiedene Interessen, die nicht nur zwischen meinem Bauch und meinem Kopf, sondern zwischen ganzen Schichten, Milieus, Generationen, politischen Gesinnungen, Ideologien klaffen: Bequem so weiterleben bei maximaler Lebensqualität wie bisher versus unseren Planeten für zukünftige Generationen in einem bewohnbaren Zustand hinterlassen.

Wir leben unverantwortlich

Im Moment wird diese Entscheidung jedem Mitglied der Gesellschaft selbst überlassen. Wer weniger Fleisch essen will, tut das eben. Wer nicht, der nicht. Kommt mir unverantwortlich vor. Ich bin 23 Jahre alt, gerade in den letzten Zügen meines Studiums, und soll jetzt mit meinem Konsum über die globale Zukunft von Milliarden noch ungeborenen Menschen entscheiden? Und Sie auch? Wir werden doch schon allein der Gewohnheit wegen fast alle den unverantwortlicheren Weg wählen. Es gibt kein deutsches Traditionsgericht ohne Fleisch.

Selbst Käsespätzle habe ich öfter mit Hack als ohne gegessen. Natürlich fällt es mir jetzt schwer, auf Fleisch zu verzichten, vor allem, wenn mich der Verzehr nicht grundsätzlich ekelt. Ich habe von klein auf gelernt, dass Genuss nur mit geht.

Wahrscheinlich teilt die Mehrheit im Land dieses Schicksal mit mir. Es wäre naiv zu glauben, dass unsere Gesellschaft nun ihre über Jahrhunderte gewachsenen und in der konsumgerichteten Produktion nahezu perfektionierten Gewohnheiten einfach so von selbst ablegt. Wir tun ja auch weiterhin andere selbstzerstörerische Dinge, deren Irrsinn wir uns schon länger bewusst sind. Etwa mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn rasen oder regelmäßig Schnaps in uns reinschütten, um auf Partys ein bisschen lustiger zu werden.

Nur gefährden wir damit in erster Linie uns selbst und nicht die ganze Erdbevölkerung. Also doch am besten Fleisch verbieten? So wie es diese militanten Grünen doch insgeheim immer wollten? Jein. Wir leben in einer Demokratie, in der auch in Zeiten von Klimanotstand Fleischkonsum nicht einfach so unter Strafe gestellt werden kann. Ein freiheitlicher Staat überlässt die Verantwortung über die eigene Gesundheit jedem Bürger selbst. Und Fleisch ist ja auch nicht per se schlecht für den menschlichen Körper – in Maßen. 60 Kilo isst der Durchschnitts-Bundesbürger pro Jahr, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal die Hälfte.

Allerdings ist eine der zentralen Aufgaben des modernen Staates auch, sich für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen seiner Bevölkerung einzusetzen. Und da wäre der Eingriff in unseren Fleischkonsum ein sehr effektiver Schritt. Was also tun mit willensstarken aber auch willensschwachen Fleischessern, die obendrein laut Marktforschung immer weniger selbst kochen – also wahrscheinlich noch seltener bewusst auf die Herkunft ihres Fleisches achten?

Zwingen, na klar! Ich verstehe nicht einmal, warum der Staat das nicht schon tut. Indirekt, versteht sich. Wie bei Zigaretten, deren Konsumenten schlecht, weil teuer, für unser Gesundheitssystem sind. Beim Billigfleisch ist die Lage noch dramatischer, es geht hier nicht um Geld, es geht ums Überleben. Eine Fleischsteuer erscheint mir deswegen nicht nur sinnvoll, sie erscheint mir notwendig.

Eine angehobene Mehrwertsteuer ist kaum sinnvoll

Dabei ersetze ich für die Fachleute gern das Wort „Steuer“ durch „Abgabe“, denn Steuern lassen sich in Deutschland nicht zweckgebunden erheben. Würde man den Mehrwertsteuersatz auf Produkte aus der Massentierhaltung anheben – von den ermäßigten sieben Prozent auf vollwertige 19 –, wäre das ein tolles Signal. Mehr aber auch nicht. Der Zugewinn – vom Umweltbundesamt vor zwei Jahren auf 5,2 Milliarden Euro geschätzt – würde regulär in den Bundeshaushalt fließen.

Davon könnten dann mehr Schulen saniert oder Polizisten eingestellt werden. Aber nein, wir brauchen eine variable Fleischabgabe, die höher ausfällt, je schlechter die Haltungsbedingungen der Tiere im Stall sind.

Diese Idee stammt vom Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, und hätte, weitergedacht, zwei großartige Vorteile: Landwirte, die bereits artgerecht halten, werden in diesem System nicht bestraft. Sie könnten sogar durch die Mehreinnahmen des Bundes mit höheren Subventionen belohnt werden. Bio würde billiger. Das Fleisch aus Massentierhaltung gleichzeitig teurer.

Im Idealfall wäre der preisliche Unterschied zwischen biologisch und konventionell nur noch marginal. Was wiederum dazu führen würde, dass individuell und insgesamt weniger und dafür besseres Fleisch konsumiert würde. Die Einkaufskosten, das muss das Ziel sein, sollten innerhalb von ein paar Jahren so kippen, dass es sich auch für Großbetriebe, Restaurants, Imbisse, Catering-Firmen und Kantinen lohnen würde, Fleisch aus CO2-freundlicherer Haltung zu beziehen.

Wir müssen gar nicht dahin kommen, dass niemand mehr Fleisch isst. Wir müssen erreichen, dass ich und jeder andere auch eine Currywurst bestellen kann, ohne unmittelbar in Gewissenskonflikte zu geraten. Sagt mein Kopf. Auf den versuche ich in Zukunft wieder vermehrt zu hören.

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