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„KultCrossing“-Gründerin SchulteWie man Schüler heute begeistert

Lesezeit 10 Minuten
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Gründete 2006 das „KultCrossing“-Projekt: Christa Schulte

Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger blickt die „KultCrossing“-Gründerin Christa Schulte auf elf Jahre Projektentwicklung zurück und verrät, was ihr für die Zukunft von Schule am Herzen liegt.

Frau Schulte, dieses Jahr feiert KultCrossing Jubiläum. Wenn Sie auf die Entwicklung von elf Jahren zurückblicken, an was denken Sie?

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Christa Schulte, hier mit Christian DuMont Schütte, ist ehrenamtliche Geschäftsführerin von KultCrossing, Gymnasiallehrerin und Studiendirektorin mit M.A. für Kulturelle Bildung an Schulen.

Dass wir in der Praxis in den elf Jahren zweifellos bereits vielfach bewiesen haben, welche Bedeutung und Wirkung kulturelle Bildung in Schulen entfalten kann. Das betrifft Projekte aller Sparten vom Theater und Tanz über Musik und Kunst bis hin zu den Medien. Und dass wir wissenschaftlich fundiert an die Entwicklung und Umsetzung kultureller Inhalte herangehen und notwendige Strukturen schaffen.

Zudem wird die Bildungsinitiative KultCrossing in diesem Jubiläumsjahr international: Im Oktober startet ein über die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen organisiertes Medienprojekt von New York aus und wird in vielen Schulen anderer US-Bundesstaaten fortgeführt. Es ist für Schüler konzipiert, die in den Vereinigten Staaten Deutsch lernen. Das ist das Wichtigste für KultCrossing: Dass man das Konzept international versteht und die Qualität erkennt.

Grund genug zum Feiern. Aber Sie feiern auch Ihren Studienabschluss. Sie sind die einzige Lehrerin im Regierungsbezirk Köln, die einen Master of Arts für kulturelle Bildung hat. Welche Vorteile versprechen Sie sich davon für Ihre Arbeit?

Ende 2016 habe ich das Studium an der Philipps-Universität im hessischen Marburg abgeschlossen – und währenddessen unsere Kult-Crossing-Arbeit nochmals durchleuchtet, wissenschaftlich fundiert und weiterentwickelt. Bisher bin ich die einzige Lehrkraft in Nordrhein-Westfalen mit dieser Qualifikation. Das gepaart mit der Praxiserfahrung verleiht unserem Engagement zusätzlich Gewicht. Die akademische Legitimation bestätigt die Relevanz unserer Arbeit. Es wird dadurch belegt, dass kulturelle Bildung grundsätzlich Eingang an Schulen finden muss, am besten über verpflichtende Richtlinien, in einem Schulprofil und konkret auch in der Schulentwicklung. Das ist eine Form der Zukunftsschule – davon bin ich überzeugt.

Kulturelle Bildung als wichtiges Werkzeug

Verstehe ich Sie richtig: Kulturelle Bildung zielt nicht nur auf eine positive Persönlichkeitsentwicklung von Heranwachsenden, sondern auch darauf, das schulische System zu verändern?

Die Bildung steht im Fokus, weil es zu viele Unzufriedenheiten gibt. In der Schulpolitik herrscht ein riesiger Reformstau in vielen wichtigen Bereichen. Die Schule der Zukunft muss sich nach innen und nach außen vernetzen. Dieser Prozess wird so wirken, dass eine völlig andere Idee von Schule, Schulkultur und letztlich auch von Unterricht entsteht. Kulturelle Bildung ist ein Werkzeug in diesem Prozess. Heißt: Wenn ich in eine Unterrichtsreihe kulturelle Bildung integriere – was recht einfach ist – kommt es zu einem fächerübergreifenden Lernen und Erleben. Das betrifft nicht nur Musik und Kunst, das geht bis in die Naturwissenschaften. Schauen Sie auf unser Beispiel Getanzte Mathematik.

Welche Wirkung haben Sie im Blick?

Ein solches Verständnis von kultureller Bildung führt zu vielfältiger Wirkung auf vielen verschiedenen Ebenen. Wenn Lehrkräfte entsprechend aus- und fortgebildet würden, und ihrerseits den Unterricht inhaltlich und methodisch veränderten, wäre das auch ein persönlicher Zugewinn. Man setzt mehr Kreativität ein und kann alles mit allem verbinden – interne Vernetzung ist das Stichwort – von Deutsch über Kunst bis zur Physik. Das bedeutet auf keinen Fall Verlust von Fachlichkeit, sondern neue fachliche Zugänge durch neue Verknüpfungen. Bestimmte Einblicke werden erst durch Synergie und didaktische Überkreuzungen erfahrbar.

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Projekt „Tapetenwechsel“: Bei dieser Unterrichtsreihe von KultCrossing stehen die vielfältigen Formen von Tapete im Vordergrund. Schüler lernen Design- und Herstellungsprozesse kennen und erhalten die Möglichkeit, Räume selbst zu gestalten.

Wir wissen um die Begeisterung der Schüler und wir sehen, was das auslöst: Die Leistungen werden grundsätzlich besser, wenn man beim Lernen Motivation erzeugen kann. Das geschieht kaum über Druck, sondern über die Möglichkeit, sich auch ohne sofortige Benotung ausprobieren zu können. Sein Talent zu finden. Aber dazu braucht man Zeit. Bildung braucht eben Zeit! Dazu muss man auch mal die Möglichkeit haben, zu scheitern, auszuprobieren, was nicht geht. Die Forschung zur Wirkung der kulturellen Bildung steht am Anfang, bisher fehlt eine wissenschaftliche Untermauerung noch. Wir evaluieren unsere Projekte allerdings schon von Beginn an und haben also auch die positiven Aussagen der Schüler als Belege.

Welche Möglichkeiten haben Schulen bei den aktuell vorgegebenen Strukturen?

Man kann Projekte bereits umsetzen, auch den Vernetzungsgedanken. Vernetzung der Schule nach außen heißt, die Schule mit der Kulturszene zu verbinden. In Köln ist das relativ leicht, weil es ein riesiges Angebot an Kulturstätten und Angeboten für Bildung und Bildungspartner gibt. In einer ländlichen Gegend kann sich Schule zum Kulturzentrum entfalten und die sie umgebende Lebenswelt und ihre Akteure einbinden. Schule soll sich dabei über die Räumlichkeiten hinaus öffnen mit dem Effekt, dass so die Schüler auf die immer vielfältiger werdenden Anforderungen der Lebenswirklichkeit vorbereitet werden. Das ist meine Vision. Dafür bedarf es neben der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte allerdings auch einer Schulleiterqualifizierung, die darauf abzielt.

Die Rolle des Schulleiters hat sich verändert

Sie haben die Rolle eines Schulleiters untersucht– und kritisieren die Ausbildung für das Amt des Schulleiters.

Es gibt kaum Untersuchungen zur Rolle des Schulleiters. Was wir wissen ist, dass sich die Rolle durch Aufgabenhäufung sehr verändert hat. Zugleich spricht man in Managementbegriffen von dem Amt. Ökonomisierungsbestrebungen halten Einzug in die Schule. Ich habe selbst eine Schulleiterqualifizierung gemacht. Diese Erfahrung kann ich abgleichen: Welche Werkzeuge braucht die Leitung, welche Struktur? Und vor allem: Welche Haltung sollte der Mensch haben, der eine Schule leitet? Welche Wertschätzung bringt er dem Kollegium und dem einzelnen Kollegen entgegen? Das ist wichtig für Kommunikation, Menschenführung, für Initiativen und Kreativität. Hier braucht man besondere Kompetenzen und Persönlichkeiten.

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Projekt „KultWear“: In dieser Unterrichtsreihe machen Schüler Mode für Schüler - ein neues Gewand zum Thema Schulkleidung. Modedesigner, Bekleidungs- und Marketingexperten sind mit an Bord, das Ziel: Identifikation der Schülerschaft mit der eigenen Schule.

Man erwartet eine moderne Führungskraft mit Verwaltungswissen. Für die Leitung einer Schule muss man aber auch auf das Beziehungsgefüge in der Schule vorbereitet und in der Beziehungsgestaltung geschult werden. Das fehlt.

Warum ist Ihnen das so wichtig?

Ein motivierter Lehrer wird immer besser sein. Wenn er einbringen darf, was seiner Überzeugung nach Schülern gut tut, wird er sich weit über sein Unterrichtsdeputat hinaus engagieren. Dafür braucht der Kollege Unterstützung vom Leiter seiner Schule. Und es muss auch nicht immer Neues sein: Warum soll der Biologielehrer in seinen Unterricht nicht einen Schrebergarten einbeziehen, in dem die Schüler Natur und Kultur kennenlernen? Da schule ich Teamfähigkeit, differenziertes Denken und Handeln und ich öffne Schule für Ideen. Vermittle Werte. Und es löst etwas Positives in der Beziehungsgestaltung zwischen Schüler und Lehrer aus. Schule muss da Spielräume geben können. Haltung ist hier gefragt. Und wir müssen auf den Level des 21. Jahrhunderts kommen.

Die neue Schulministerin will die Digitalisierung an Schulen vorantreiben. Das scheint ja recht zeitgemäß.

Das ist immens wichtig, um Inhalte besser transportieren zu können. Die Inhalte müssen aber auch neu erarbeitet, die Richtlinien neu aufgestellt werden. Persönlichkeitsbildung muss im Fokus stehen – da ist kulturelle Bildung ein ganz wichtiger Faktor, weil sie Fächer miteinander verbindet und dem Schüler so größeres Orientierungswissen gibt. Auch im Umgang mit neuen Medien, wenn man diese kritisch nutzt und Schüler digital kulturelle Arbeiten erschaffen wie Radiobeiträge oder Filme.

Schon in der Lehrerausbildung fehlt es an Offenheit

Sie sprechen von der Aufgabenhäufung des Schulleiters. Ist es denn überhaupt noch möglich, bei all dem, was Schule leisten soll und muss, die Leitung großer Schulen einer einzigen Person zu übertragen?

Meiner Einschätzung nach müsste es eine Doppelspitze geben: für die Verwaltung und für die Konzepte. Andere Strukturansätze zur Entlastung sind schon da. Unter der Schulleitung gibt es eine Schulleiterrunde mit Koordinatoren oder Abteilungsleitern, in der jeder bestimmte Aufgaben übernimmt. Das funktioniert allerdings nur bei einer echten Übertragung von Verantwortung an die Abteilungsleiter oder die Koordinatoren der Fachbereiche. Als Führungskraft muss man die eigenständigen Abteilungen und Fachbereiche respektieren, Selbstbestimmung ermöglichen. Und Freiheit geben.

Die Wirkung kultureller Bildung lässt sich nicht auf die Schnelle erklären. Können Sie es an einem konkreten Projekt-Beispiel tun?

Bei der Konzeption von Unterrichtsprojekten überlegen wir zunächst, was mit der Lebenswirklichkeit unserer Schüler zu tun hat, was sie nachhaltig beeindruckt. Daraus entstand unsere Unterrichtsreihe „KultWear – Mode von Schülern für Schüler“ am Gymnasium Kreuzgasse in Köln. Das Projekt bringt ganz unterschiedliche Disziplinen zusammen. Die Schüler mussten drei Musterelemente im Schulgebäude finden und drei Farben definieren, die in einer Kleiderkollektion wieder auftauchen sollten. Die denkmalgeschützte Fassade des Schulgebäudes wurde als Thema gewählt, sie erinnert an ein Rautenmuster. Das musste sich im Design, im Stoff, im Futter widerspiegeln.

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Mit „FuSch – Funk und Schule“ wurde eine Unterrichtsreihe initiiert, die viel praxisnahes Know-how über das Medium Radio vermittelt. Schülerinnen und Schüler werden von Branchenprofis begleitet und gewinnen ganz konkrete Einblicke in die verschiedenen Berufsbilder, die das Medium Funk bietet.

Dabei erlebten die Schüler eine völlig neue Freiheit, die Begeisterung weckte. Sie mussten sich über ein umfassendes Projekt auseinandersetzen, Ideen sammeln, diese in die Praxis umsetzen, Stoffqualitäten wählen, Farben bewerten, Produktion und Preise kalkulieren, die Vermarktung bedenken. Ein realistisches Projekt, in dem eine Vielzahl von Fächern zusammenwirkt. Und in dem sich jemand, dem das sonst ein Gräuel ist, plötzlich gerne mit Mathematik beschäftigt, um ein Beispiel zu nennen. Einblicke in die Berufswelt erfolgen nebenbei. Das ist Lernrealität in einen anderen Kontext gekleidet. Unterricht in einer Ko-Konstruktion zwischen Lehrern und Schülern führt zu verblüffenden Ergebnissen. Ich hätte als Ergebnis bei KultWear jedenfalls nicht solche tollen Kleidungsstücke erwartet.

Wieso steht ein solcher Projektunterricht den aktuellen Strukturen so stark entgegen?

Wegen der mangelnden Offenheit. Bereits in der Lehrerausbildung legen Sie den jungen Lehrkräften einen konkreten Unterrichtsplan vor mit Zielen und Arbeitsergebnissen. Sicher, ich kann einen guten Unterricht genau so lenken. Aber möchte ich das? Freier zu arbeiten bedeutet auch, aus der Stundentaktung mal herauszugehen, um Projekte zu ermöglichen. Denken wir mal ganz frech: Man kann Fächer für eine Zeit auflösen und in Projekten planen, in denen sich die einzelnen Fächer selbstverständlich wiederfinden. So würden Projekte auch zu einer Art Fortbildung für die Lehrenden, was spannend ist.

Man betrachtet im Museum einen alten Meister und beginnt zu überlegen: Welche Geschichte kann ich dazu schreiben? Was machen andere Farben, eine andere Technik aus dem Bild? Welche Musik passt dazu? Was passiert, wenn ich es in unsere Zeit transferiere? Was macht ein Motiv zeitgemäß? Wie bewegt mich das Bild, kann ich es in Tanz umsetzen? Wenn einmal der KultCrossing-Groschen gefallen ist, wer das einmal erlebt hat, fängt ganz neu an zu denken und lernt auch anders.

Schule braucht kreative Querdenker

Gibt es für Sie Vorbilder?

Durchaus. Aus Kölner Perspektive hält man KultCrossing vielleicht für einen glücklichen Einzelfall. Aber das Bundesland Hessen hat schon 20 „Kulturschulen“ eingerichtet. Dort hat man viel früher das Potenzial erkannt. Und deswegen hat Hessen auch einen Weiterbildungsmaster entwickelt, bei dem nicht nur Lehrer sondern auch Künstler zugelassen sind.

Sie sind Studiendirektorin für kulturelle Bildung. Woran hapert es Ihrer Einschätzung nach an hiesigen Schulen?

Ich stelle fest, dass Querdenken und Experimentieren erforderlich sind, weil eingefahrene Strukturen verlassen werden müssen. Nur dann hat kulturelle Bildung mehr als eine Feigenblattfunktion. Wer aber in einem hierarchischen System quer zur Linie arbeitet, riskiert mehr, als störender Querkopf missverstanden, denn als kreativer Querdenker angesehen zu werden. Da liegt das Problem. Dass ein Kulturwandel an Schulen notwendig ist, steht außer Frage. Dass dies mit einer Haltungsänderung aller Akteure, insbesondere der Schulleitung einhergehen muss, was sich am Geist der Schule und am Schulklima als Indikatoren belegen lässt, ebenso.

Was also sehen Sie für die Zukunft?

Ich sehe, dass kulturelle Bildung einen neuen Stellenwert erfährt, weil sie auch als Empfehlung in der Kultusministerkonferenz angekommen ist. Das sehe ich gerne! Aber es ist immer noch im Bereich einer Empfehlung, nicht einer verpflichtenden Umsetzung. Das sehe ich nicht so gerne. Jedes Bundesland macht es anders. Ich finde gut, dass das Thema mittlerweile auf einer universitären Ebene diskutiert und erforscht wird. Man hat erkannt, dass Lehrer dazu ausgebildet sein müssen, um den Facettenreichtum dieser Form der Schulentwicklung zu erfahren und in die Praxis umzusetzen.

Ihr Wunsch für die nächsten elf Jahre?

Von KultCrossing-Mitgründer Christian DuMont Schütte habe ich gelernt, weit in die Zukunft zu blicken. Mein größter Wunsch ist es, kulturelle Bildung in Nordrhein-Westfalen systematisch in Schulen bringen zu können. Es gibt ganz viele tolle Einzelmaßnahmen, aber wir wissen, es muss grundlegend sein. Beispiel Singpause in Düsseldorf: Da gehen Musiker zweimal die Woche für 20 Minuten in den Unterricht, „stören“ dort und singen mit den Schülern. Dieses Singen – was macht das mit den Kindern? Mit der Gruppe?

Das Projekt zielt genau in die Richtung, die KultCrossing meint: Gemeinsam etwas produzieren, sich aufeinander verlassen, etwas schaffen, auf das man stolz ist – alles Effekte, die vielleicht kaum zu bewerten sind. Aber Schüler, die KultCrossing-Projekte gemacht haben, haben auch überdurchschnittliche Noten erzielt. Diese Erfahrungen motivieren sehr. Ich bin jetzt besonders motiviert, weil die Einführung von G9 die Möglichkeit eröffnet, kulturelle Bildung als Querschnittsdisziplin fest in Schule zu etablieren.