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Rheinland für EntdeckerIndustriegeschichte am Wegesrand

Lesezeit 6 Minuten
Rabenlay Bonn-Oberkassel

Ausblick von der Rabenlay in Bonn-Oberkassel

Beißender Schwefelrauch lag über der Hochebene von Niederholtorf. Auf den kahlgeschlagenen Flächen qualmte die glühende Braunkohle. Tag und Nacht. Säure verunreinigte das Wasser in den Bächen. Wo heute Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten an den idyllischen Ennert-Wald grenzen, erstreckte sich bis vor 150 Jahren ein Industriegebiet.

Auf der sogenannten Ennert-Hardt war die größte Alaun-Produktion im damaligen Staat Preußen angesiedelt. Das Salz war nicht zum Würzen gedacht, sondern bildete den Grundstoff für die Papierherstellung, diente als Beize in Färbereien und wurde zum Blutstillen genutzt – und man gewann es mit einem ebenso aufwendigen wie schmutzigen Verfahren im Ennert im Siebengebirge.

Alte Fabrik Zeichnung

Eine der Fabriken auf einer alten Zeichnung

Die Relikte aus dieser Zeit sind für Spaziergänger erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Der „Geschichtsweg Braunkohle und Alaun“ auf der Ennert-Hardt mit acht Infotafeln am Wegesrand öffnet den Wanderern die Augen für die Industriegeschichte. Unter der Federführung des Denkmal- und Geschichtsvereins Bonn-Rechtsrheinisch haben verschiedene Bürgergruppen die fast vergessene Industriehistorie wieder sichtbar gemacht.

Wer den Wanderparkplatz kurz vor Niederholtorf in Richtung Holzlar verlässt, blickt auf einen kleinen Weiher mit von Wasserlinsen grün bewachsener Oberfläche. Hier hat sich die Natur ihr Terrain zurückerobert. „Das war einmal ein Stauteich, in dem Wasser für die Siedebecken gesammelt wurde. In den Siedebecken wiederum wurde das Alaunsalz aus der Asche der Braunkohle gekocht“, sagt Christoph Keller. Der Archäologe vom Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland hat sich mit der industriellen Vergangenheit des Ennerts ausführlich befasst.

Mulden am Wegesrand für die Braunkohleloren

Keller weiß, dass in dieser Gegend ein Waldweg nicht einfach ein Waldweg ist. „Hier fuhr früher eine kleine Lorenbahn, die die Braunkohle aus dem Abbau in Oberholtorf auf die Flächen neben der heutigen Pützchens Chaussee brachte“, sagt der Experte und zeigt auf die Strecke, die hinter dem Weiher den Hang hinabgeht. Was bedeuten die Mulden in regelmäßigen Abständen am Wegesrand? „Hier sind die Loren vom Hauptweg abgebogen“, sagt Keller.

Kontakt

Denkmal- und GeschichtsvereinBonn-Rechtsrheinisch / Haus Mehlem e.V.Denkmalverein BonnBürgermeister-Stroof-HausAdelheidisstraße 353225 BonnTelefon 0228/42214664 denkmalverein.bonn@t-online.dewww.s361209186.online.de/4.html

Ein paar Meter weiter geht es steil bergab. Mountainbiker nutzen die bewaldeten Hügel als Trainingsstrecke. Natürlich gewachsen sind hier nur die Bäume. „Der Untergrund besteht aus Abraum der Alaun-Produktion“, sagt Keller. Im 19. Jahrhundert haben die Arbeiter die Aschereste aufgeschüttet. Was bleibt, ist die rötliche Erde, durchzogen von Tonstücken, die für die Alaunproduktion notwendig sind. Ab und zu finden sich unter Laub und Ästen Mauerreste der sogenannten Siedebecken, in denen das Alaunsalz aus der Asche der Braunkohle gekocht wurde.

„Vieles aus dieser Zeit ist allerdings nicht erforscht“, sagt Keller. Wichtige Dokumente seien im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Archäologen und Heimatforscher müssen sich auf alte Zeichnungen der Alaunhütten verlassen. Als gesichert gilt immerhin: Das als „Forsthaus“ bekannte Gebäude der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung an Pützchens Chaussee diente einer der drei Fabriken in dieser Gegend als Verwaltungsgebäude. Diese Alaunhütte war im Jahr 1806 als erste von den Brüdern Leopold und Abraham Bleibtreu errichtet worden. Sie nutzten die Braunkohle aus Oberholtorf, die wegen ihres hohen Schwefelgehalts für die Alaunproduktion besonders nützlich war.

Arbeiten in Hitze, Gestankund giftigen Emissionen

Bis zu 500 Arbeiter waren nach Erkenntnissen des Denkmal- und Geschichtsvereins in den Holtorfer Fabriken beschäftigt. Sie litten unter „Hitze, Gestank und giftigen Emissionen“, heißt es in den Veröffentlichungen des Denkmal- und Geschichtsvereins. „Weite Flächen der Hardt werden zu jener Zeit wie eine Mondlandschaft gewirkt haben, von der Schlacke rot gefärbt und absolut vegetationslos“, ist da auch zu lesen.

Vor allem der „rote Berg“, eine Schlacke-Halde oberhalb von Holzlar, lässt erahnen, welche Abraummengen in der Alaunproduktion angefallen sein müssen. Die Bonner Heimatforscher gehen von 300 000 Tonnen in der 70 Jahre währenden Produktionszeit der Alaunwerke aus.Heute ist von den früheren Umweltschäden nichts mehr zu sehen. „Die Halden sind ganz normal bewachsen“, sagt auch Revierförster Bernd Sommerhäuser. Die künstlichen Hügel, Löcher und Hänge erschwerten den Waldarbeitern lediglich die Bearbeitung des Geländes.

Forsthaus Pützchens Chaussee

Das „Forsthaus“ im Wald an Pützchens Chaussee war einmal dasVerwaltungsgebäude einer der Fabriken.

Die Natur hatte immerhin sehr lange Zeit, die Spuren der Alaunindustrie im Ennert mit der Kraft ihrer Jahre zu verwischen. Mehr als hundert Jahre. Von 1857 an dann verdrängte eine neue Methode die aufwendige Alaunproduktion aus Braunkohle. Wissenschaftler fanden heraus: Das Salz fiel als Abfallprodukt bei der Herstellung von Soda aus grönländischem Kryolith an, das ist ein selten vorkommendes Mineral, aus dem Aluminium hergestellt werden kann. Für die Alaunproduktion bedeutete die neue Entdeckung das Ende des Industriestandortes Holtorf. Teile des Fabrikgeländes wurden noch einige Jahre als Standort für Ziegeleien genutzt, danach breitete der Ennert-Wald seine Wurzeln und Blätter auf den Abraumhalden aus.

Ein Waldspaziergang in die Vergangenheit

„Die Geschichte der Alaunproduktion ist über Jahrzehnte hinweg völlig in Vergessenheit geraten“, sagt Heimatforscher Carl Jakob Bachem. Der Vorsitzende des Denkmal- und Geschichtsvereins Bonn-Rechtsrheinisch hat gemeinsam mit anderen Bürgerinnen und Bürgern und Vereinen die industrielle Vergangenheit der Region für den Wanderweg mit Schautafeln aufgearbeitet. „Denkmäler sind sichtbare Zeugen der Geschichte. Geschichte ist wichtig für unser Leben, um uns selbst zu finden und die eigene Identität zu gestalten“, sagt Bachem. Und so kann der Waldspaziergang im Ennert zu einer wissenschaftlich spannenden Reise in die Vergangenheit werden.

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Weitere Tipps rund um den Ausflug

Anreise: Der Geschichtsweg verläuft von Holzlar über Nieder- und Oberholtorf fast bis nach Vinxel. Der Einstieg kann daher frei gewählt werden. Gute Parkmöglichkeiten bestehen an Pützchens Chaussee kurz vor Niederholtorf.

Für Kinder: Etwa zwei Kilometer von Niederholtorf entfernt liegt das Fußballgolf-Feld des Vinxeler Heiderhofs (Heiderhof 1, 53639 Königswinter). Kinder – und Erwachsene – können hier auf 18 Rasenspielbahnen durch Hindernisse kicken. Das sechs Hektar große Areal liegt auf einer sonnigen Ebene und ist von der letzten Station des Alaun-Geschichtsweges in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Zuschauer können es sich bei Eis und Getränken am Spielfeldrand gemütlich machen. Zwei bis drei Stunden sollten Familien mindestens einplanen, um den Parcours mit allen Spielbahnen zu absolvieren.

Einkehr: Idyllisch am Waldrand gelegen, nur wenige Schritte vom Alaun-Geschichtsweg entfernt, liegt die Hausbrauerei Ennert-Bräu (An den Hecken 1, 53229 Bonn). Hier gibt es neben selbst gebrautem Bier gutbürgerliches, eher deftiges Essen von Schnitzel bis Burger.Etwas weiter vom Geschichtsweg entfernt, aber dafür im historisch passenden Ambiente der Alaun-Abbauzeit gehalten, liegt die Kommende Ramersdorf, ein im 19. Jahrhundert wieder aufgebautes Schloss. Das im Haus ansässige Restaurant I Medici bietet gehobene italienische Küche (Oberkasseler Straße 10, 53227 Bonn).

Kultur: Schon deutlich vor der großen Zeit der Alaungewinnung hatte die Gegend rund um Niederholtorf eine größere kulturgeschichtliche Bedeutung. Im Ortsteil Oberholtorf (Stieldorfer Straße, 53229 Bonn) wurden die Überreste einer Saalkirche gefunden, deren Anfänge aus dem 7. Jahrhundert stammen sollen. Archäologen fanden im ehemaligen Chor des Gotteshauses, das später als Wohnhaus diente, mehrere Kindergräber aus dem 11. oder 12. Jahrhundert. Die Grundrisse der alten Kirche haben die Oberholtorfer mit Steinplatten auf der kleinen Erhebung am Dorfrand abgebildet.

Für Sportliche: Für Abkühlung nach dem Spaziergang durch das frühere Industriegebiet sorgt ein Besuch im Ennertbad (Holtorfer Straße 40, 53229 Bonn). Es gibt Sportbecken, Sprungbecken und Nichtschwimmerbecken. An Wochenenden öffnet es erst ab elf Uhr.

Für Wanderer: Einen spektakulären Ausblick über das Rheintal bis in die Ausläufer der Eifel bietet die Aussichtsplattform an der Oberkasseler Rabenlay. Vom Geschichtsweg ist sie in 20 Minuten zu erreichen. Neun Meter ragt die Plattform über den Steilhang, Infotafeln geben Auskunft über Geologie sowie Vor- und Frühgeschichte der Region. Unterhalb der Plattform wurde das steinzeitliche Oberkasseler Doppelgrab entdeckt. Die Rabenlay ist sowohl von Oberholtorf als auch von Niederholtorf in Richtung Rhein zu erreichen.