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Reisetrend Slow Travel„Es geht darum, der Taktung des Alltags zu entfliehen“

Lesezeit 4 Minuten
Im Herbst tritt in den Bergen oft eine Inversionswetterlage auf, bei der es im Tal neblig und kalt, in der Höhe jedoch sonnig und wärmer ist · ideal für Wanderer.

Entschleunigen statt hetzen: Die bewusste Wahnehmung der Umgebung kann dabei helfen, einen Ausgleich zum hektischen, komplexen Alltag herzustellen.

Weg vom Massentourismus: Slow Travel steht für echte Erlebnisse, Entspannung und Begegnungen. Branchenexperten erklären, wie das Touristen und Einheimische bereichern kann.

Die Herbstferien bieten für viele Menschen, insbesondere Familien mit schulpflichtigen Kindern, die Gelegenheit, „mal wieder rauszukommen“. Neben Fernreisen, City-Kurztrips und All-inclusive-Angeboten hat sich in den vergangenen Jahren ein Markt für einen entschleunigten, reduzierten, nachhaltigeren Reisestil etabliert: Slow Travel.

Abseits der Menschenmassen, hin zu authentischen Erlebnissen, die in Erinnerung bleiben. Nicht zuletzt durch die Proteste in überlaufenen Touristenorten wie Barcelona oder auf Mallorca zeigt sich: Ein Wandel scheint notwendig – könnte Slow Travel ein Teil der Lösung sein?

Slow Travel - Trendbegriff mit vielen Facetten

Slow Travel bedeutet mehr, als nur „langsamer“ zu reisen. Dr. Susanne Leder, Professorin für Tourismusmanagement an der FH Südwestfalen, betont, dass Slow Travel kein geschützter Begriff ist und oft als Marketingsslogan verwendet wird. Es sei „eher ein Hinweis, der sich an die Erwartungshaltung der Kunden richte, als ein Leistungsversprechen“, erklärt Leder. Slow Travel appelliert an die Reisenden, den Moment bewusst zu genießen, statt Orte nur „abzuhaken“.

Durch Posts von Influencern oder anderen Reisenden in den sozialen Medien entstehe häufig Druck, erläutert Leder weiter. Viele Menschen möchten das Gefühl haben, „dazuzugehören“, indem sie bekannte Orte besuchen und dokumentieren. Slow Travel hingegen grenzt sich davon ab und lädt Reisende dazu ein, eigene Wege zu gehen. Gleichzeitig soll die Wohnbevölkerung profitieren. Wie das gelingen kann, zeigen die Beispiele von Sascha Marx und Thomas Kötting.

Weniger Entertainment, mehr Erholung

Sascha Marx, war als Hotellier jahrelang in der Kölner Luxushotellerie tätig, unter anderem als Resident Manager im Excelsior Hotel Ernst. Seit 2021 hat er sich in Österreich der Slow Travel-Bewegung verschrieben, indem er auf den schonenden Umgang mit Ressourcen setzt. „Wir bauen nicht neu, sondern entwickeln bestehende Immobilien weiter“, erklärt Marx. Mithilfe regionaler Unternehmen sanierte er zunächst ein Feriendorf in Kärnten. In einer zweiten Anlage ließ er 25 Tiny Houses errichten - ganz ohne Flächenversiegelung. Beide Anlagen werden mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben und zur Reinigung verwendet Marx' Team laut eigener Aussage nur natürliche Produkte, um das Holz aus dem die Ferienhäuser hauptsächlich bestehen, nicht zu beschädigen.

Sascha Marx ist Geschäftsführer der Slow Travel Solutions GmbH

Sascha Marx ist Geschäftsführer der Slow Travel Solutions GmbH

Im Gegensatz zu machem Ferienressort, sind seine Anlagen eher funktional ausgestattet. Animationsprogramm? Nicht nötig. „Die Hauptattraktion für die Kinder ist eine Bobbycar-Strecke und ein Wasser-Sand-Spielplatz – kein riesiges Entertainment, sondern einfach Natur und Familie“, beschreibt Marx. Das Angebot werde vor allem von Großstädtern wahrgenommen, die sich sonst meist in einem rasanten, komplexen Umfeld bewegen: „Es geht ganz klar darum, der Taktung des Alltags zu entfliehen. Das klappt super bei uns“, sagt Marx.

„Es beginnt mit der inneren Haltung“

Thomas Kötting, Mitbegründer des Rösrather Reiseanbieters France Naturelle hat sich mit seinem Team auf authentische Frankreich-Reisen spezialisiert. Er ist überzeugt: „Das Wichtigste ist, mit den Menschen in Kontakt zu kommen.“ Bei France Naturelle wohnen Reisende nicht in Hotels, sondern bei Einheimischen in sogenannten „Chambre d'hôtes“ – hier teilen sie den Alltag mit ihren Gastgebern. Diese Art des Reisens schafft nicht nur unvergessliche Erlebnisse, sondern führe oft zu tiefen Freundschaften, erklärt Kötting. Er und sein Team „coachen“ ihre Kunden aktiv dabei, sich weniger Druck im Urlaub zu machen und sich öfter auf die Magie der ungeplanten Momente einzulassen.

Thomas Kötting ist Geschäftsführer des Reiseanbieters France Naturelle aus Rösrath

Thomas Kötting, Geschäftsführer von France Naturelle aus Rösrath, ermutigt seine Kunden dazu, im Urlaub weniger, aber bedeutsamere Erlebnisse zu sammeln

„Der Tourist zerstört häufig das, was er sucht, indem er es findet. Slow Travel beginnt mit der inneren Haltung,“ erklärt Kötting. Ein Beispiel aus seinen Erfahrungen verdeutlicht dies: Zwei Paare hatten eine Führung durch ein Schloss im Burgund gebucht, die wegen eines Unwetters kurzfristig abgesagt wurde. Ihre Gastgeber mussten die Weintraubenernte vor dem starken Regen retten. Während das eine Paar verärgert war und sich bei Köttings Team beschwerte, entschied das andere, sich spontan der Weinlese anzuschließen – und erlebte einen unvergesslichen Abend. „Das war für sie das schönste Erlebnis der ganzen Reise“, erinnert sich Kötting.

Ist Slow Travel wirklich nachhaltiger?

Wer langsamer und weniger weit reist, belastet dadurch häufig auch weniger stark die Umwelt. Allerdings fließen auch andere Faktoren als Reiseziel und Fortbewegungsmittel in die ökologische Bilanz einer Reise ein. Beispielsweise, welchen Strom die Unterkunft bezieht und woher die von ihr angebotenen Lebensmittel stammen. Um sicherzugehen, dass ein Reiseanbieter wirklich ökologische Nachhaltigkeitsstandards einhält, empfiehlt Prof. Dr. Leder, auf Zertifikate wie die von TourCert, GreenSign oder GreenKey zu achten.

Dr. Susanne Leder lehrt an der FH Südwestfalen als Professorin für Tourismusmanagement und Marketing.

Dr. Susanne Leder lehrt an der FH Südwestfalen als Professorin für Tourismusmanagement und Marketing.

Sie betont, dass auch hochfrequentierte Tourismusregionen selbst Einfluss auf den verantwortungsvollen Umgang mit vorhandenen Ressourcen nehmen können. Beispielsweise, indem sie Hotellerie-Neubauten limitieren, Besucherströme bewusster lenken oder die Einbindung regionaler Dienstleister fördern. Am Ende sei es Aufgabe der Touristik „die Wertschöpfung in ein ausgewogenes Verhältnis mit dem Wohl der Wohnbevölkerung vor Ort zu bringen“, sagt Leder. Auf Mallorca gebe es bereits derartige Konzepte. Bei ernsthafter Umsetzung könne dies zu mehr Akzeptanz und Verständigung führen, so die Wissenschaftlerin.