Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

FamilieEltern zweiter Klasse: Wie Stiefeltern leiden

Lesezeit 9 Minuten

Glückliche Stiefmutter? Nicht nur Kindern können unter neuen Familienstrukturen leiden.

Nicht nur Kinder, auch Stiefeltern können leiden, wenn sich eine neue Familie zusammensetzt und fremde Menschen plötzlich den Alltag mitgestalten. Eifersucht, Konkurrenz und Zurückweisung können einen Keil in die neue Familie treiben. Besonders jetzt an den Feiertagen können Patchwork-Familien bei der Festplanung ins Straucheln kommen. Wo wird gefeiert? Und mit wem? Katharina Grünewald, Dipolm-Psychologin und Autorin von „Glückliche Stiefmutter" berät Patchwork-Familien und erzählt im Interview von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen.

Frau Grünewald, gerade in Patchwork-Familien haben Eltern oft mit dem schlechten Gewissen zu kämpfen, dass ihre Kinder nicht in der Ursprungsfamilie aufwachsen. Sie versuchen, die Kinder glücklich zu machen. Weniger sich selbst. Was hat es für einen Grund, dass Sie das Buch bewusst „Glückliche Stiefmutter“ genannt haben?

Ich stelle in meiner Praxis für Patchwork-Familien oft fest, dass die Stiefmütter oder der leibliche Vater am meisten leiden.

Die Kinder nicht so?

Wenn Kinder merken, dass die Erwachsenen ihre Schwierigkeiten im Griff haben, mildert das schon sehr die Anspannung der Kinder. Umgekehrt haben Kinder hypersensible Antennen für die Stimmung ihrer Eltern. Sie versuchen, sich um die Erwachsenen zu kümmern. Damit entfernen sie sich aber von ihrem eigenen Gefühl.

Machen Eltern es für ihre Kinder dann einfacher, wenn sie sich um sich selbst kümmern?

Kinder haben viel davon, wenn Erwachsene für sich sorgen. Erstens entlastet sie das von ihrer Fürsorgepflicht und zweitens lernen Kinder durch Nachahmung. Wenn Kinder mitbekommen, die Eltern haben Stress, kümmern sich aber selbst darum, lernen Kinder, dass sie sich auch um sich selbst kümmern und gegebenenfalls Hilfe einfordern können. Ich hatte schon einen Elfjährigen in der Praxis, der das Gespräch mit dem Hausarzt über die Trennungsproblematik gesucht hat. Das konnte er nur tun, weil er mitbekommen hat: Die Stiefmutter holt sich auch Hilfe in einer psychologischen Praxis.

Was sind die Schwierigkeiten, die Stiefmütter bei Ihnen schildern?

Oft ist das ein auslösender Moment: Ich komme mit den Kindern nicht klar. Dahinter kann stecken, dass die Stiefmütter darunter leiden, dass sie nicht an erster Stelle stehen. Eifersucht und Konkurrenz spielen häufig eine große Rolle.

Sie schreiben: Das Kind sitzt im Auto vorne, die Stiefmutter muss hinten rein. Oder Kind und Vater kuscheln beim Fernsehen. Sie sitzt daneben, fühlt sich ausgeschlossen. Was ist da los?

Die Stiefmutter fühlt vielleicht: Meine Güte, dieses gemeine Kind nimmt mir hier meinen Mann weg. Gleichzeitig verbietet sie sich aber auch solche Gedanken. Oft liegen die Schwierigkeiten auch in der Vergangenheit. Frauen fühlen sich unbewusst an ihre Kindheit erinnert. Da gab es ja schließlich auch einen Vater und eine Familie und man selbst musste sich positionieren. Das ist heute wieder so. Natürlich sind die Rollen anders, da vermischt sich aber einiges.

Auf der nächsten Seite geht es weiter...

Also mussten die Frauen früher schon um den Vater kämpfen?

Entweder das. Vielleicht hatten sie aber auch eine ganz enge Bindung zum Vater und verstehen nicht, warum sie plötzlich zurückstecken müssen. Es kann sein, dass die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammenkommt. In meiner Beratung versuche ich, das wieder zu trennen. Dann können die Stiefmütter die Kinder aus der Schuld entlassen und erkennen: Es ist ein Konflikt in mir, den ich lösen kann.

Man traut sich das ja kaum auszusprechen: Ich finde dieses Kind blöd. Haben die Stiefmütter oft ein schlechtes Gewissen?

Auf jeden Fall. Oft habe ich das Gefühl, sie sind selbst erschrocken über die Heftigkeit ihrer Gedanken. Für eine Eskalation mit Türenknallen und „sich den Tag nicht mehr blicken lassen“ reicht da schon, dass Vater und Kind in Eintracht auf dem Sofa sitzen.

Kommt daher der Begriff „böse Stiefmutter“?

Stiefmütter wirken auf den ersten Blick vielleicht gemein. So wie das im Märchen beschrieben wird. Das hängt aber damit zusammen, dass sie das Kind nicht nur bemuttern, sondern auch ihren eigenen kindlichen Bedürfnissen folgen. Das fördert aber auch die Selbständigkeit der Kinder.

Ist das den dazugehörigen Vätern zu vermitteln? Oder führt das zu Konflikten zwischen den Paaren?

Oft ist es wie ein Aha-Effekt. Männer sagen oft erstmal: Stell dich nicht so an, morgen ist das Kind wieder weg, dann haben wir doch alle Zeit der Welt. Sie sehen zunächst nicht das Kind in der Frau, dem es ganz wichtig ist, dass es jetzt in diesem Moment gesehen wird. Wenn sie diese Zusammenhänge erkennen, wird ihnen klar, dass sie mit Vernunfts-Appellen nichts erreichen können.

Sie sprechen in Ihrem Buch von hilfreichen Deals. Einerseits: Ich akzeptiere, dass deine Tochter jetzt mehr Aufmerksamkeit braucht als ich. Andererseits: Dafür bekomme ich nächstes Wochenende Zeit für uns als Paar.

Das hilft auf jeden Fall. Im Moment der Zurückweisung fühlen sich die Stiefmütter ja verletzt und unglücklich, wie Kinder auch. Mit denen würde man ebenso einen Deal machen. Du kannst jetzt nicht auf meinen Schoß, weil ich deine Schwester füttere. Beides geht nicht. Aber danach bist du dran. Auf das Paar bezogen: Heute Abend ist der Kuschelabend mit meiner Tochter. Aber morgen Abend kommt der Babysitter, dann gehen wir essen. Das macht es oft einfacher für die Stiefmutter, in ihre erwachsene Rolle zurückzukehren. Weil sie verstanden wird, weil sie gesehen wird.

Auf der nächsten Seite geht es weiter...

Ist das bei Stiefvätern auch so? Schon leibliche Väter entwickeln ja oft Eifersucht, wenn ein Kind geboren wird.

Es kommen auch Stiefväter, die ähnliche Probleme haben. Es sind aber weniger. Und der Leidensdruck scheint nicht so groß zu sein.

Warum?

Ich erkläre mir das mit dem Männerbild. Männer haben noch einen größeren Spielraum. Sie sind immer noch anerkannt, wenn sie Kinder und Familie der Frau überlassen, dafür aber für das Einkommen sorgen. Die heutigen Mütter stehen unter einem enormen Druck, alles unter einen Hut zu bekommen. Auch wenn eine Frau Karriere macht, hat sie an sich selbst den Anspruch, gleichzeitig auch die Familie managen zu können.

Vielleicht liegt es auch daran, dass Stiefväter weniger mit den Kindern zu tun haben als Stiefmütter?

Zumindest können sie es oft leichter rechtfertigen. Wenn das mit dem Kind nicht läuft, bleiben sie halt zwei Stunden länger im Büro.

Und wenn die Stiefmütter sagen würden: Okay, dann bleib ich halt auch zwei Stunden länger im Büro anstatt mich da reinzusteigern.

Wäre das auf jeden Fall gut. Wenn er mit seiner Tochter kuschelt, geben sich Frauen oft nicht die Erlaubnis: Dann gehe ich eben mit meiner Freundin aus. Stiefmütter tendieren eher dazu zu sagen: Ich muss das jetzt aushalten. Eher gehen sie in die Küche und bereiten das Essen für morgen vor. Manövrieren sich damit aber immer mehr in die Aschenputtelrolle. Besser wäre in der Tat zu sagen: Damit geht es mir nicht gut. Deshalb mache ich jetzt mein Ding. Allerdings wird Vätern dieser pragmatische Selbstbezug auch eher zugestanden als den Müttern.

Spielt die leibliche Mutter des Kindes häufig eine große Rolle oder liegt der Konflikt hauptsächlich in der Stiefmütter selbst begründet?

Auch wenn man eine reflektierte und großmütige Stiefmutter ist: Wenn die leibliche Mutter psychisch krank ist oder der Beziehung Steine in den Weg legt, dann kommt sie an ihre Grenzen. Oft ist es aber auch ein Pingpong-Spiel. Auch die leiblichen Mütter fühlen sich ja oft nicht gesehen. Allerdings ist das die Baustelle der Ex-Partner. Stiefmütter machen häufig den Fehler, sich einzumischen.

Wie verhalte ich mich richtig?

Das Trennungsprinzip nutzen. Sich nicht vom Partner trennen, sondern die Baustellen voneinander trennen.

Auf der nächsten Seite geht es weiter...

Gibt es auch Familien, die zusammen zu ihnen kommen? Leibliche Mutter, Stiefmutter, Vater?

Vereinzelt. Das klappt natürlich nur, wenn alle ein großes Interesse daran haben, es für die Kinder gut zu machen. Und alle bestrebt sind, ihren Teil beizutragen. Wir erstellen einen Fahrplan, wer wann mit wem was zu regeln hat. Die wichtigste Entscheidung aber ist: Wir wollen nicht taktieren, sondern gemeinsam eine Lösung finden.

Wenn nicht alle so einsichtig sind?

Auch dann hilft diese Entscheidung. Ich muss nicht jeden Ball, der mir um die Ohren fliegt, zurückspielen. Das ist wie beim Tennis. Wenn einer nicht mehr mitmacht, ist der Schlagabtausch beendet.

Oft entstehen Konflikte auch, weil zwei Familien zusammenkommen, die nicht miteinander aufgewachsen sind. Es gibt unterschiedliche Regeln. Einer räumt nie auf. Die anderen müssen immer den Tisch decken. Wie viel Einheitlichkeit braucht eine Familie?

Ein Beispiel aus meiner Praxis. Ein Paar, beide haben zwei Kinder im Alter zwischen zehn und 13. Jetzt ziehen alle zusammen in ein Haus. Es gibt große Unterschiede in den Familienselbstverständlichkeiten, zum Beispiel beim Essenstempo. Da geht es darum, die anderen erst mal kennenzulernen. Diese Familie hat unterschiedliche Tage eingeführt. Montags müssen alle die Regeln der Familie A einhalten, dienstags die der Familie B. Im Experimentierzeitraum beobachtet jeder sich und die anderen, dann wird ausgewertet: Wie wollen wir es nun machen? Wie sollen unsere Regeln sein? Essen wir vor dem Fernseher? Bleiben wir sitzen, bis alle fertig sind?

Sind Kinder nicht verwirrt, wenn es unterschiedliche Regeln bei Mutter und Vater gibt?

Für Kinder ist das am wenigsten anstrengend. Die lernen jeden Tag verschiedene Spiele. Sie können mühelos zwischen Volleyball und Fußball switchen. Wichtig ist nur: Die Kinder müssen ganz klar wissen, wo welche Regeln gelten.

Ganz schwierig wird es an Feiertagen. Trennungsfamilien wollen den Kindern wenigstens an diesen Tagen eine heile Familie geben.

Kein Kind möchte das, wenn es nicht ernst gemeint ist. Wir zwingen uns in das Weihnachtskorsett hinein und sind froh, wenn wir wieder in unser wirkliches Leben fliehen können. Für ein Kind ist das ernüchternd und traurig, weil es erkennt: Es war nur eine Mogelpackung. Ich empfehle, sich zu überlegen: Was kann ich ohne Mogeln machen? Wenn ich ein gutes Gefühl habe, mit meinem Expartner drei Stunden zu feiern, dann ist das okay. Aber wenn ich die Luft anhalten muss und verkrampft anwesend sein soll, dann weiß ich nicht, wer davon etwas haben sollte.

Ist es überhaupt eine gute Idee, eine neue Familie zu gründen, wenn schon eine gescheitert ist?

Warum nicht? Ich gehe davon aus, dass man sich durch Beziehungen selbst entwickelt. Wenn man als Kind aufwächst ohne ein Bild einer funktionierenden Liebesbeziehung, dann ist das auch traurig. Es kann doch eine Bereicherung sein, wenn ich mitbekomme: Mein Vater hat eine neue Freundin. Was zwischen den beiden passiert, erlebt das Kind als eine weitere Möglichkeit, eine Paarbeziehung zu führen. Dadurch weitet sich der Blick des Kindes und es kann überlegen: Wie soll später meine eigene Liebesbeziehung aussehen?