Kabarettist Wilfried Schmickler im Interview„Empört euch!“
Herr Schmickler, den Wutbürger gibt es seit den Demos gegen Stuttgart 21 – was halten Sie von dieser Wortschöpfung?Nichts! In Stuttgart wurden Menschen, die friedlich und mit großem Ernst gegen ein größenwahnsinniges Steuer-Milliarden-Grab protestiert haben, diffamiert als blinde Wüteriche, die von niedrigen Instinkten geleitet schäumend und schnaubend in einem kollektiven Anfall den Verstand verlieren. Der Stempel Wutbürger für die Gegner von Stuttgart 21 ist wie die Wut selbst: er verzerrt.
Kann man zwischen positiv und negativ motivierten Wutbürgern unterscheiden? Oder: Gibt es gute und schlechte Wut?Wenn die wirklichen Wutbürger einmal losgelassen werden, kann man irgendwann überhaupt nichts mehr unterscheiden. Und schon gar nicht gut und böse. Siehe Pegida. Dann werden sie plötzlich zu Tollwut-Bürgern, die Galgen schwenkend und Hass predigend den Boden bereiten für Mord-, Brandanschläge und Menschen-Treibjagden.
Stimmt es, dass Sie in jungen Jahren – also zu jener Zeit als Messdiener – tatsächlich ein braver Junge waren, der gerne gehorcht hat?Wer gehorcht schon gerne? Aber wenn im Falle des Nicht-Gehorchens ewige Qualen in den brodelnden Schmortöpfen von Hölle und Fegefeuer drohen, bleibt nur eins: Sich nicht erwischen lassen. Gar nicht so einfach, wenn der da oben alles sieht.
Was regt Sie eigentlich nicht auf – was andere aber regelmäßig in Rage bringt?Ich rege mich nicht über Fußball-Ergebnisse auf, schlechte Fernseh-Programme und Schlangen vor Spar- und anderen Kassen. Dasselbe gilt für flötenspielende Straßenmusiker, dogmatische Veganer und nichtrauchende Fahrradfahrer mit Helm.
Ist die Kabarettbühne ein geeignetes Forum, um endlich mal Dampf abzulassen?Ist sie nicht. Schließlich haben die Leute im Publikum Eintritt bezahlt, und da wäre es doch mehr als dreist, sie zu missbrauchen als Inhalatoren der eigenen Gefühls-Dämpfe. Außerdem ist das Ablassen von was auch immer nichts, was in die Öffentlichkeit gehört.
Was kann Sie milde stimmen?Eine Ballade von Köster-Hocker, ein Sonnenuntergang bei Bitterbollen und Bier im Stenen Toku in Domburg, eine Zigarette mit Richard Rogler nach einem gemeinsamen Mitternachtsspitzen-Abend. Und natürlich: meine Frau.
Was bringt Sie persönlich auf die Palme?Neid. Geiz. Intoleranz. Gier. Hass. Lüge. Kurzum: all die Eigenschaften, die den typischen Tollwut-Bürger ausmachen. Ach ja: und hungrige Löwen in der Wüste.
Gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen Empörung und Wut? Und: Wenn ja, worin genau besteht er?Wut schäumt – Empörung artikuliert sich. Wut macht blind – Empörung öffnet die Augen. Wut ändert nichts – Empörung ist die Voraussetzung für Veränderung. In diesem Sinne und mit den Worten von Stéphane Hessel: „Indignez-vous!“ – „Empört euch!“