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FilmpremiereMythos „Star Wars": Ein Film eint Generationen

Lesezeit 11 Minuten

Man kann sich ihm nicht entziehen: der Mythos „Star Wars" zieht sich durch alle Generationen.

„Denk an Episode 1“, mahnt die Stimme der Vernunft. Sie gehört meiner Frau. „Denk an Episode 1. Denk daran, wie aufgeregt du das ganze Jahr davor warst“, sagt sie, „wie du es kaum abwarten konntest. Und dann denk daran, wie du dich nach der Vorstellung gefühlt hast“. Verraten und verkauft, könnte ich jetzt schreiben. Maßlos enttäuscht. Aber das wäre gelogen. Seltsam und verwirrt, das trifft es eher. Tatsächlich bin ich zwei Tage später gleich noch einmal ins Kino gerannt, durchaus hoffnungsfroh. Vielleicht hatte ich ja beim ersten Mal irgendetwas Wichtiges übersehen. Die Ernüchterung sickerte erst nach und nach ein: Der Film war furchtbar, nicht zu retten. Der Zauber dahin. George Lucas, der Gott meiner Kindheit, der Mann, der Lichtschwerter, asthmatische Sith-Lords und fiepende Mülleimer erfunden hatte, fehlbar.

Ein Gefühl, dass Millionen teilen

Meine Kindheit, Star Wars. Das war praktisch dasselbe, deckungsgleich. Ein Bauernjunge, der aus der ödesten Gegend der Welt ins ganz große, galaktische Abenteuer geworfen wird? Da musste ich nicht lange meine Gefühle erforschen, um zu wissen: Jemand hat diesen Film nur für dich gemacht. Ein Gefühl, dass ich mit Millionen anderer Kinder teilte. Nichts besonderes. Lauter von der Macht Auserwählte saßen gebannt auf Klappsitzen in den Kinos der westlichen Welt. Anderseits, das war ja das Besondere. Plötzlich waren wir wer, und das schon als Achtjährige: Die Generation Star Wars. Oder „Krieg der Sterne“, wie es damals in Deutschland hieß. Spider-Man hieß ja auch noch „Die Spinne“. Wir waren Jedi-Ritter und Weltraum-Cowboys. Hielten die Lichtschwerter gezückt. Zumindest im Geiste, zu kaufen gab es die in den Jahren 1977/78 noch nicht.Mein großväterliches „Wir hatten ja damals nichts“ geht so: Als ich zum Star-Wars-Fan wurde, gab es noch nicht einmal Actionfiguren. Ich besaß ein Klebebild-Album von Panini (komplett) und ein Brettspiel von Parker namens „Flucht vom Todesstern“, in dem man sich ohne größere Vorkommnisse vom Müllschlucker an den imperialen Sturmtruppen vorbei zum Rasenden Falken würfeln musste. Dagegen war „Mensch, ärgere dich nicht“ Thai-Boxen mit Handgranaten. Gespielt habe ich es trotzdem, jeden verdammten Tag.

Meine Kindheit, das war Star Wars

Heute können Sie AT-AT-Verkleidungen für Ihren Hund kaufen, R2-D2-Salzstreuer und Kühlschränke mit dem in Carbonit eingefrorenen Han Solo im Halb-Relief. AT-ATs sind übrigens gehende Panzer, die aussehen wie Dinosaurier in Ritterrüstungen, falls Sie das noch nicht wussten. Die stapften drei Jahre nach dem Schock des ersten Films durch dessen Fortsetzung „Das Imperium schlägt zurück“. Ich war elf. Wir schrieben Deutsch-Klausur, Fantasie-Aufsatz. Ich schrieb über Star Wars, mein Lieblingsmärchen. Das gab ein Ungenügend. Dabei war doch fast jede denkbare Fantasie in Star Wars schon enthalten. Luftkämpfe, Liebeshändel, Göttersagen. Nur mit Hyperraum-Antrieb.

Der Schock des ersten Films

Eben dieses geheime Versprechen gab George Lucas seinen längst erwachsenen Jüngern, als er rund 20 Jahre nach seinem ersten Star-Wars-Film eine neue Trilogie ankündigte: Zum Preis einer Kinokarte könnten wir Marcel Prousts „unermessliches Gebäude der Erinnerung“ betreten. Würden mit weit aufgerissenen Augen in einen wunderbaren Hyperraum starren. In ein Wurmloch, welches uns in jenen Zustand vor dem Sündenfall des Erwachsenwerdens zurückbeförderte, in dem wir zum allerersten Mal gesehen hatten, wie das riesige Dreieck eines imperialen Sternenzerstörers die Leinwand auf ganzer Breite durchmaß. Stattdessen: Eine verquere Mixtur aus politischem Traktat, Spielzeug-Werbung und irritierend rassistischem Humor. Der Aufschrei der Betrogenen hallt bis heute nach und konzentriert sich auf die computergenerierte Figur Jar Jar Binks, wahrscheinlich der meistgehasste Charakter der Filmgeschichte. Aber hatte uns Lucas überhaupt irgendetwas versprochen? Oder waren nur wir, die Generation Star Wars, auf der Suche nach unserer verlorenen Zeit? Und das Zielpublikum längst ein anderes?

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Märchen für alle

Und jetzt? Geht der Kreislauf aus überstiegenen Erwartungen und unweigerlicher Enttäuschung in eine neue Runde. Selbst J.J. Abrams, der Regisseur des neuen, siebten Star-Wars-Films, hat zugegeben, unmöglich alle Hoffnungen, die sich auf die Rückkehr der Sternenkrieger richten, erfüllen zu können. Doch das „Erwachen der Macht“ wiegt die Vernunft in den Schlaf. Da mag mich meine Frau noch so klug vor dem Kater nach der ersten Vorstellung warnen.Etwas hat sich indes geändert. Jetzt leben drei Star-Wars-Fans unter unserem Dach. Es war nicht allzu schwer, meine Kinder mit dem Weltraum-Virus anzustecken. Es hat ja auch bei Millionen anderer Kinder geklappt. Immer wieder. Es blieb nicht bei einer Generation. Heute gibt es glühende Star-Wars-Fans, die keinen der Filme je im Kino gesehen haben. Die den ersten für den vierten Film halten. Die womöglich gar keinen Film gesehen haben, sondern nur eine der Animationsserien kennen, oder eines der Computerspiele. Die Sammelkarten tauschen. Oder die Helden und Schurken der Saga auf ihren T-Shirts tragen.Früher musste man vorm Kino Schlange stehen, die Alterskontrolle überstehen, um Einlass zur weit, weit entfernten Galaxie zu erhalten. Heute gibt es tausend mögliche Eingänge zum Märchenreich, magische Portale für jede Größe. Als die Walt Disney Company vor drei Jahren die Produktionsfirma Lucasfilm und damit die Rechte an Star Wars für die ungeheuerliche Summe von vier Milliarden Dollar erwarb, war das ein Schnäppchen. Experten schätzten den Wert des Franchises schon damals auf mehr als 30 Milliarden Dollar.

Was als Erweckungserlebnis began, wurde zum Mainstream-Moloch

Es ist, zumal dieser Tage, unmöglich, ihm zu entkommen. Was als Erweckungserlebnis für Jungs begann, die im Sportunterricht stets als letzte in die Mannschaft gewählt wurden, ist zum Mainstream-Moloch mutiert. Der Vorsatz, seine Kinder Star-Wars-frei aufwachsen zu lassen, dürfte ungefähr so erfolgversprechend sein wie der völlige Verzicht auf Süßigkeiten. Als die anglikanische Kirche einen Spot vor den weihnachtlichen Vorstellungen von „Das Erwachen der Macht“ schalten wollte, verweigerten die drei größten britischen Kinoketten ihr den Werbeplatz. Der Spot zeigt Menschen, die das „Vaterunser“ beten. Das, fürchteten die Kinobetreiber, könnte dem breit aufgestellten Star-Wars-Publikum als allzu christlich aufstoßen. Niemals würde sich ein Disney-Boss so schroff äußern wie John Lennon, der behauptet hatte, dass die Beatles größer als Jesus wären. Doch wenn der Heiland noch einmal an Popularität aufholen will, sollten die Verkünder seines Wortes wohl besser Lichtschwerter tragen.

Schon gut, war ein Scherz. Man muss das Patchwork-Dogma von der Macht nicht ernster nehmen als etwa die Religionsparodie des Fliegenden Spaghettimonsters. Dessen antifundamentalistisches Gebot „Reinheit ist was für Trinkwasser, nicht für Menschen“ sollte man sich in Holz brennen. Das berühmte „Tue es oder tue es nicht. Es gibt kein Versuchen“ dagegen – so ermahnt der kleine, grüne Jedi-Meister Yoda seinem Schüler Luke – mag zwar fantastisch klingen. Gehört aber eher ins Motivations-Seminar als in die Kirche. Das könnten wir jetzt mit dem „Jedi Orden Köln“ ausdiskutieren, der kleinen örtlichen Zweigstelle der weltweit aktiven Jediisten. Fiele es nur nicht so schwer, eine Religionsgemeinschaft ernst zu nehmen, in deren Internet-Forum ständig Lego-Werbung aufpoppt. Die Lego-Star-Wars-Sets sind die erfolgreichsten Produkte des Steinchen-Herstellers. Und die größte Lego-Skulptur mit mehr als fünf Millionen Steinen das 1:1-Modell eines X-Flüglers. Star Wars bleibt ein Kinderspiel. Egal wie viele Steine man verbaut: Es ist nichts für Erwachsene. Hier finden wir keinen Weg zurück in unsere Kindheit. Stattdessen sucht uns unsere Kindheit heim. Als außer Kontrolle geratenes, Geld scheißendes Monster. Was tun? Wegrennen, verstecken? An Episode 1 denken und sich ernsthaften Dingen zuwenden?

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Ende der Filmkunst

Einer älteren Generation von Filmkritikern, darunter Giganten wie Pauline Kael und David Thomson, galt Star Wars als der Blockbuster, der das Ende des amerikanischen Films als eigenständiges Kunstwerk eingeläutet hatte. Vor dem Doppelschlag von Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ und George Lucas’ Weltraummärchen gab es „McCabe & Mrs. Miller“, „Chinatown“ und „Der Pate“ – doppelbödige, komplex erzählende Filme für Erwachsene. Danach nur noch endlose Wiederholungen formelhafter Fantasygeschichten für ein infantilisiertes Publikum. Da ist durchaus was Wahres dran. Allerdings ist George Lucas deswegen noch lange nicht persönlich für jede „Transformers“-Fortsetzung verantwortlich. Nebenbei, Lucas sollte ursprünglich die Regie bei „Apocalypse Now“, dem dunklen Meisterwerk seines Mentors Francis Ford Coppola, übernehmen.

Rückkehr mit Macht

Vor gut einem Jahr hatte ich meiner Frau nach einem Star-Wars-Marathon mit den Kindern großspurig erklärt, dass ich durch sei mit der Original-Trilogie. Dass ich nur noch die Fehler sähe, die Albernheiten. Höchste Zeit, loszulassen. Dann kam der 90-sekündige Teaser zu J.J. Abrams’ „Das Erwachen der Macht“ – die tunesische Wüste, John Boyega in Sturmtruppen-Rüstung, ein lustig rollender Ball namens BB-8, eine neue Heldin auf einem Speeder-Bike, X-Flügler, die knapp über einen Fluss sausend Wellen schlagen, ein Bösewicht, dessen rotes Lichtschwert auch an den Seiten glüht: die dunkle Seite der Macht. Und die Millennium Falcon, die übermütige Flugübungen zur altbekannten Fanfare von John Williams aufführt, die helle Seite der Macht. Das Schiff der Hoffnung. „Gerade als ich dabei war, auszusteigen“, um es mit Al Pacinos Paten zu sagen, „ziehen sie mich wieder rein“. Mit einem großen Unterschied: Diesmal waren wir zu dritt. Analysierten jedes neue Bild, das in kluger Sparsamkeit veröffentlicht wurde. Lasen zusammen die neuen Comic-Serien, die bei Marvel erschienen und deren beste Darth Vader zum Helden hat. Spielten mit den alten Actionfiguren und mit BB-8, dem tennisballgroßen Roboter, den ich für zu viel Geld gekauft hatte. Hörten die alten Soundtrack-Schallplatten. Sammelten Sammelbildchen. Vergossen Tränen der Rührung, als ein grau gewordener Han Solo zu seinem haarigen Copiloten sagte: „Chewie, wir sind zu Hause.“

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Wie man sich freischaufelt und in Sterne eintaucht

Ein späterer Trailer versprach vollmundig: „Jede Generation hat eine Geschichte“. Oder ist es die immer gleiche Geschichte, die von der Reise des Helden, die von Generation zu Generation weitergegeben wird? Sich fortpflanzt und neue Blüten blühen lässt? Erzählt Star Wars nicht einen umgekehrten Schöpfungsmythos, wenn Luke Skywalker und seine Rebellenfreunde in ihren unverkennbar phallischen Jägern auf die gewaltige Kugel des Todessterns zurasen, wie kleine Spermien auf eine riesige Eizelle? Wenn schließlich Luke allein zum Abschuss kommt und sich auf diese Weise – wie wir erst im nächsten Film erfahren – selbst einen Vater schafft? (Klar, das kann man auch andersherum betrachten, dann wäre es eine gewöhnliche, freudianische Ödipus-Geschichte, mit Lukes vom Vater abgeschlagener Hand als symbolischer Kastration. Nur fehlt in dieser Konstellation die Mutter, die unser Held heiraten will.) Natürlich sind die Star-Wars-Filme reine Wunscherfüllung, ein Spielzeugparadies, in dem die Lichtgeschwindigkeit keine absolute Grenze ist, sich die Gesetze der Physik nach Lust und Laune biegen lassen. Aber das ist nur die Glasur des Kuchens. Was uns George Lucas wirklich erzählt hat, ist, wie man sich selbst erfindet und verwirklicht. Wie man sich aus einer Sandwüste freischaufelt und ins Meer der Sterne eintaucht.

Der Sinn für Abenteuer

Diese Geschichte wird niemals alt, sie wird immer wieder erzählt werden, neu geboren werden. Das Kind ist der Vater des Mannes. Ich musste es gar nicht wiederfinden, es hatte mich gezeugt. Und Star Wars hatte ein wenig Geburtshilfe geleistet. Ich weiß, was meine Kinder in Star Wars suchen. Weil es das ist, was wir alle suchen. Was meine Kinder in Star Wars finden werden, das weiß ich nicht. Die dunkle oder die helle Seite der Macht? Das ist doch gar nicht so wichtig. Wie gesagt, Reinheit ist etwas für Trinkwasser. Aber hoffentlich finden sie einen Sinn fürs Abenteuer. Für den Han-Solo-mäßigen Spaß daran, Gelegenheiten zu ergreifen, einen wilden Ritt durchs Asteroidenfeld zu wagen. Wie es mit Star Wars weitergeht, steht fest. Da gibt es einen Businessplan. Auf Episode VII folgt Episode VIII und immer so weiter. In den Jahren dazwischen muss man nicht mehr warten. Die werden mit eigenen Filmen aus der weit, weit entfernten Galaxis gefüllt. Der erste, „Rogue One“, ist beinahe abgedreht. Es soll ein Gaunerfilm werden, über die Rebelleneinheit, die damals die Pläne des Todessterns geklaut hat. Das Star-Wars-Universum hat sich in sein eigenes Meta-Genre verwandelt, ein Behältnis, das beinahe beliebig gefüllt werden kann.

Gemeinsame Geschichte

Lawrence Kasdan hat zusammen mit Abrams das Drehbuch von „Das Erwachen der Macht“ geschrieben. Wie auch schon die Drehbücher zu „Das Imperium schlägt zurück“ und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ (und „Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes“). Kasdan ist der alte Jedi-Meister unter Hollywoods Autoren, dem sollte man vertrauen. Selbstverständlich hat er auch mir nichts über die Handlung verraten. Aber er hat mir im Interview versichert, mehrmals und mit mehr Nachdruck, als die Marketingabteilung vorgeschrieben hat, wie gut der Neustart der Serie gelungen sei. Ich solle mich auf einen heißen Höllenritt einstellen, sagte Kasdan, der gerne Western-Metaphern benutzt. Also habe ich mich entschlossen, Kasdan zu glauben, eine neue Hoffnung zu schöpfen. Und wenn am Ende dem Ganzen doch die Seele fehlt, nicht unwahrscheinlich bei einem kühl kalkulierten Milliardenunternehmen? Bliebe mir trotzdem mehr als die Erinnerung an bessere Kinozeiten. Bleibt eine ganze Galaxis, die ich mit meinen Kindern und mit Millionen anderer Menschen bewohne. Bleibt die Macht, die wir alle teilen, Generationen von Star-Wars-Fans, weil das der Sinn der Macht ist. Das kann uns keiner nehmen: Wir haben eine gemeinsame Geschichte.