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Meeresbiologe„Bergbau in der Tiefsee zerstört Flächen, die größer sind als Europa“

Lesezeit 7 Minuten
Der Tiefseeroboter ROV KIEL 6000 entnimmt während einer MiningImpact-Expedition mit einem Greifarm eine mit einem Schwamm bewachsene Manganknolle zur späteren Analyse im Labor.

Der Tiefseeroboter ROV KIEL 6000 entnimmt während einer Mining-Impact-Expedition mit einem Greifarm eine mit einem Schwamm bewachsene Manganknolle zur späteren Analyse im Labor.

Manganknollen enthalten wichtige Rohstoffe. Ihr Abbau zerstört aber große Flächen der Tiefsee. Meeresbiologe Matthias Haeckel erklärt die Folgen.

Die heutigen Schätze der Tiefsee sind Manganknollen. Sie könnten Deutschlands Rohstoffquelle der Zukunft sein, zum Beispiel für Batterien von E-Autos werden sie benötigt. Doch ihr Abbau vom Meeresboden zerstört ein Ökosystem, über das noch viel zu wenig bekannt ist. Der Inselstaat Nauru möchte demnächst mit dem Tiefseebergbau anfangen und setzt die internationale Meeresbodenbehörde (ISA) unter Druck, Regularien zu bestimmen.

Rika Kulschewski

Rika Kulschewski

Freie Mitarbeiterin. In Bielefeld aufgewachsen, hat sie erst Station im Ruhrgebiet fürs Journalistik-Studium an der TU Dortmund gemacht. Längere Zwischenstopps in Neuseeland, Finnland und Tschechien, ...

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Meeresbiologe Matthias Haeckel kann das nicht nachvollziehen. Er arbeitet am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und leitet ein Forschungsprojekt zur Erkundung der Clarion-Clipperton-Zone im Zentralpazifik, wo Manganknollen liegen. Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger erklärt Haeckel, was Manganknollen sind, wie sie abgebaut werden und was das für Folgen hat.

Herr Dr. Haeckel, was sind Manganknollen?

Matthias Haeckel: Manganknollen liegen auf dem Meeresboden in der Tiefsee. Sie sind faust- bis blumenkohlgroße mineralische Körper, bestehend aus Mangan- und Eisenoxiden. Zudem sind darin weitere Metalle, wie Kupfer, Nickel, Kobalt, Lithium, Molybdän und seltene Erden, gebunden.

Matthias Haeckel bei einer Exhibition.

Matthias Haeckel ist Meeresbiologe beim GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel im Bereich Marine Biogeochemie FE Marine Geosysteme.

Und warum sind sie so gefragt?

Das Interesse gibt es schon seit den 70er Jahren, weil die Konzentration an Kupfer, Kobalt und Nickel etwa drei Prozent der Knollen im Pazifik ausmacht. Die drei Metalle brauchen wir vermehrt für die Energiewende – für Solaranlagen, Windturbinen und Batterien für Elektrofahrzeuge.

Und wofür wird Mangan selbst benötigt?

Mangan wird für die Herstellung von Spezialstählen genutzt, aber dafür brauchen wir keine so großen Mengen. Eine Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hat ausgerechnet, dass eine Abbauoperation im deutschen Gebiet, den Bedarf an Mangan hierzulande zu 110 Prozent erfüllt. Das heißt, es sind nur drei Prozent der Knolle wirklich interessant. Der Rest ist quasi Abfall.

Drei Manganknollen liegen auf einem Tisch

Manganknollen sind faust- bis blumenkohlgroße Konkretionen. Der rote Punkt markiert die Oberseite der Knolle.

Wie werden die Manganknollen abgebaut?

Für den Abbau der Manganknollen wurden zwei Technologien bereits in den 70ern bis 90ern entwickelt und haben sich seitdem nicht grundlegend verändert. Bei der ersten Technologie geht man mit einer Art Walzen-System über den Meeresboden, um die Knollen einzusammeln. Getestet wurde diese Technologie bislang aber nicht.

Es muss jedem klar sein, dass das Bergbau ist. Das ist nicht anders als an Land, es gibt viel Zerstörung. Und wir reden bei den Manganknollen eben von riesigen Flächen.
Matthias Haeckel, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Was hingegen getestet wurde ist, einfach gesagt, eine Art Staubsauger. Mit großen Pumpen wird am Meeresboden Wasser angesaugt und dann mit einem Hochdruck-Wasserstrahl über die Knollen gestrichen. Dadurch entsteht ein Unterdruck, durch den die Knollen angesaugt werden. Mit dem Wasserstrom werden sie ins Gerät gespült.

Und wo liegt das Problem?

2021 haben wir als unabhängiges wissenschaftliches Projekt einen Test dieser Technologie begleitet und wir haben gesehen, dass die gesamte obere belebte Schicht des Meeresbodens abgetragen wird. Das sind in etwa die oberen fünf bis zehn Zentimeter. Darunter gibt es noch ein paar Bakterien, aber alle höheren Organismen, von Würmern bis zu den Seegurken und Schwämmen werden mit abgetragen. Das Sediment und die Lebewesen werden nach einem Trenn-Schritt hinter dem Knollenkollektor als Wolke wieder herausgetragen.

Seegurke in einem Manganknollenfeld.

Seegurke in einem Manganknollenfeld.

Vor Weihnachten waren wir wieder da und es sieht nicht so aus, als ob die Organismen diesen Prozess überlebt hätten. Die Sediment-Wolke, die dabei entsteht, lagert sich wieder ab – sowohl im abgebauten Gebiet als auch auf dem Meeresboden außerhalb. Durch Strömung am Meeresboden verdriftet die aufgewirbelte Sedimentwolke. So könnte das zu einer gestörten Fläche führen, die zwei bis fünfmal größer ist als das reine Abbaugebiet.

Es ist also alles tot, was dort zurückgelassen wird?

Genau. Es muss jedem klar sein, dass das Bergbau ist. Das ist nicht anders als an Land, es gibt viel Zerstörung. Und wir reden bei den Manganknollen eben von riesigen Flächen, pro Abbauoperation jedes Jahr eine Fläche so groß wie München. Das gesamte Manganknollengebiet in der Clarion-Clipperton-Zone hat eine Fläche so groß wie Europa.

Biodiversität in der Tiefsee ist sehr hoch

Kann man schon absehen, was für Folgen das für das gesamte Ökosystem hat?

Nein, denn wir wissen gar nicht, was das gesamte Ökosystem ist. Wir wissen nicht, auf welcher räumlichen Skala wir von einem Ökosystem reden oder wie viel Fläche bestimmte Populationen dort einnehmen. Wir wissen auch nicht, was da unten alles lebt. Auf jeder Fahrt finden wir wieder mehr als 100 neue Arten, die Biodiversität ist also sehr hoch.

Was wir wissen, ist, dass bestimmte Arten über diese gesamte Clarion-Clipperton-Zone, das heißt über 3000 Kilometer hinweg, miteinander verwandt sind, also ein Gen-Austausch stattfindet. Einige Arten sind quer über den Pazifik miteinander verwandt. Die Frage ist daher, ob einzelne Populationen überlebensfähig sind, wenn wir in der Mitte sehr große Flächen zerstören. Wenn der Gen-Austausch unter Umständen unterbrochen wird, folgen Konsequenzen, die wir bisher nicht absehen können.

Und was können Sie absehen?

Die Abbauflächen und ein gewisser Raum drumherum wäre zerstört. Die Erholung der Fauna und Mikroorganismen im weichen Sediment braucht viele Jahrhunderte bis Jahrtausende. Auch auf den Knollen selbst leben ganz spezielle Arten, die wir im weichen Tiefseeboden so nicht finden. Und da es sich um einen fossilen Rohstoff handelt, der mehrere Millionen Jahre braucht, um zu wachsen, ist das eine permanente Schädigung.

Erholung der Tiefseebergbau-Gebiete kann Jahrtausende dauern

Warum ist so wenig über die Tiefsee bekannt?

Die Tiefsee ist enorm groß und eines der ältesten Ökosysteme des Planeten. Das heißt, dort konnten sich viele Spezialisten entwickeln, da die meisten Tiefseeflächen über die letzten 10-15 Millionen Jahre unbeeinflusst waren. Jeder hat sich seine Nische gesucht. Kollegen schätzen, dass kleine Korallen, die auf den Knollen wachsen, 200 Jahre alt sind. Deswegen wird auch eine Erholung des Ökosystems so lange dauern. Wir reden hier nicht von Jahrzehnten, sondern von Jahrhunderten bis Jahrtausenden.

Sollte man dann überhaupt Manganknollen abbauen?

Wir sehen schon beim Landbergbau große Auswirkungen auf das Ökosystem und uns Menschen. Das Einzige, was wir im Augenblick wirklich sagen können, ist, dass es beim Tiefseebergbau über viel längere Zeiträume Schädigungen gibt. Wir reden über eine Erholung, die 10-20.000 Jahre dauern wird. Zum Vergleich: Bis vor 30.000 Jahren haben die Neandertaler noch in Europa gelebt.

Für eine Übergangstechnologie so große Flächen so langfristig zu zerstören, halte ich nicht für adäquat und verantwortungsvoll.
Matthias Haeckel, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Was wir einfach vermeiden sollten, ist eben die übliche Praxis wie bei anderen Aktivitäten auch: Wir produzieren diese Schäden und dann stellen wir in 20-30 Jahren fest, dass die Auswirkungen viel größer sind, als wir abgeschätzt haben. Dann können wir unser Handeln aber nicht mehr zurückdrehen.

Spricht etwas für den Tiefseebergbau, außer eventuelle ökonomische Vorteile?

So groß sind die ökonomischen Vorteile gar nicht. Die Kosten des Abbaus liegen in einer ähnlichen Spannbreite wie an Land. Allerdings muss das Mangan mitverkauft werden. Bei Kobalt, Kupfer und Nickel würden die Preise momentan nicht ausreichen, um die Kosten zu decken. Die Firmen spekulieren darauf, dass sich die Metallpreise, vor allem für diese drei Metalle, mindestens verdreifachen werden. Ob das so passiert, kann niemand sicher vorhersagen. Das hat auch in den letzten 50 Jahren nicht funktioniert.

Manganknollen auf dem Meeresboden der Clarion-Clipperton-Zone.

Manganknollen auf dem Meeresboden der Clarion-Clipperton-Zone.

Die Argumente für den Abbau sind meist: weniger soziale Probleme, es müssen keine Menschen umgesiedelt werden. In den 90er Jahren ist von der UN-Konvention der Meere ratifiziert worden, dass die Ressourcen am Meeresboden das Erbe der Menschheit sind. Das heißt, es gehört uns allen. Es bedeutet auch, dass eigentlich die Gewinne aus der Nutzung dieser Rohstoffe gerecht verteilt werden müssten. Aber dieser Teil der Regularien ist bisher nur sehr rudimentär vorhanden.

Ist es Ihrer Einschätzung nach vertretbar, mit dem Tiefseebergbau zu beginnen?

Die Vertretbarkeit ist eine gesellschaftliche Frage. Der Diskurs muss von den Mitgliedsländern im Rat der ISA geführt werden. Das fehlt mir. Es fängt zwar langsam an, aber es muss noch viel mehr Bewusstsein in der Gesellschaft geschaffen werden, damit wir eine ausgewogene Entscheidung treffen können.

Ich glaube nicht, dass im Augenblick die nötigen Rahmenbedingungen für den Abbau gegeben sind. Gerard Barron, der Chef von The Metals Company, möchte die Manganknollen als Übergangtechnologie nutzen, weil er meint, dass wir die Metalle jetzt schnell für die Energiewende brauchen. Aber für eine Übergangstechnologie so große Flächen so langfristig zu zerstören, halte ich nicht für adäquat und verantwortungsvoll. Vielmehr müssten wir mehr Energie in die Entwicklung von Kreislaufwirtschaft und Recycling stecken. Das ist eben genau der Diskurs, den wir als Gesellschaft jetzt führen müssen.