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„Niemand braucht Mineralwasser“

Lesezeit 6 Minuten

Die Öko-Test-Expertinnen Kerstin Scheidecker und Katja Tölle geben im Interview Tipps für wirklich nachhaltigen – und trotzdem günstigen – Konsum.

Frau Scheidecker und Frau Tölle, in Ihrem Buch „Gibt‘s das auch in grün?“ geben Sie Hilfestellungen, wie man Essen, Kosmetik oder Kleidung möglichst nachhaltig kaufen kann. In welchem Bereich können Verbraucherinnen und Verbraucher den größten Unterschied machen?

Scheidecker: Den größten Einfluss haben Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihrem Kaufverhalten bei den Lebensmitteln. In anderen Bereichen können wir auf viele Produkte einfach verzichten und damit den Konsum reduzieren. Essen müssen wir aber jeden Tag, und deshalb müssen wir auch Lebensmittel einkaufen. Deswegen liegt hier auch das größte Potential. Wichtig ist uns aber, dass man nicht alles sofort verändern muss. Sondern es geht darum, einfach mal anzufangen.

Und wo könnte man besonders gut starten?

Scheidecker: Zum Beispiel bei Erdbeeren. Bei Obst und Gemüse ist es relativ einfach am Regal im Supermarkt nach der Herkunft zu schauen. Wenn es schon im März oder April Erdbeeren zu kaufen gibt, stammen sie meist aus Ländern wie Marokko oder Spanien. In diesen Ländern wird Tiefenwasser abgepumpt, um die Felder zu bewässern. Wenn ich das weiß, hilft mir das vielleicht zu sagen: „Ach komm, ich warte noch ein paar Wochen, dann gibt es Erdbeeren auch hier bei uns auf dem Feld.“ Und dann habe ich mit meiner Nachfrage – oder in dem Fall Nicht-Nachfrage – eine Möglichkeit, den Markt in die richtige Richtung zu lenken.

Tölle: Außerdem schmecken diese Erdbeeren nach nichts, weil in Spanien harte Sorten angebaut werden, die sich für den langen Transport eignen. Das geht aber auf Kosten des Geschmacks. Was den Ausstoß von Treibhausgasen angeht, sind deutsche oder holländische Beeren im März sogar noch schädlicher als die importierten aus südlichen Ländern. Denn sie werden in Gewächshäusern angebaut, was extrem energieintensiv ist.

Bei Erdbeeren kann man sich also an die Regel halten: Nur deutsche Beeren ab Ende Mai kaufen. Bei anderen Lebensmitteln ist dagegen kaum zu erkennen, wie nachhaltig sie produziert wurden. Welche Produkte betrifft das?

Tölle: Bei verarbeiteten Produkten wie Konserven müssen die Hersteller nicht angeben, woher die Lebensmittel stammen – zumindest solange auf der Verpackung kein Bezug zu einem Land hergestellt wird, zum Beispiel durch den Namen oder in der Gestaltung. Ein Beispiel sind Tomatensoße und Tomatenmark. Wenn auf der Packung nichts anderes steht, kann es gut sein, dass der Inhalt aus China stammt. Denn das ist der weltweit größte Produzent von Tomaten. Wir wissen, dass im Anbau in der Provinz Xingjiang Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter tätig sind. Dazu kommen die ökologischen Kosten, wenn die Produkte um die ganze Welt geschifft werden.

Bei Bio-Lebensmitteln muss die Herkunft zwar immer angegeben werden, allerdings sehr ungenau. Es reicht zum Beispiel die Bezeichnung „Nicht-EU-Landwirtschaft“ – oder noch besser „EU- / Nicht-EU-Landwirtschaft“. Das kann dann alles sein. Als Kunde wird man daraus zwar nicht wirklich schlau. Aber die Kennzeichnung ist zumindest ein klarer Hinweis, dass das Produkt von weither kommt.

Fehlende Kennzeichnungen sind ein Problem. Es gibt aber auch Fälle, wo Kundinnen und Kunden Nachhaltigkeit vorgegaukelt wird: mit „Greenwashing“.

Tölle: Eine der größten Lügen der Industrie in Sachen Greenwashing ist die Behauptung, dass bestimmte Produkte klimaneutral seien. Es gibt einfach keine klimaneutralen Produkte, weil alles Treibhausgase verursacht. Daran ändert sich auch nichts, wenn Hersteller Klimazertifikate kaufen und den CO2-Ausstoß ihrer Produkte mit Geld ausgleichen.

Scheidecker: Oder nehmen wir die Milchverpackungen, auf denen Kühe mit Hörnern auf grünen Weiden abgebildet sind und auf denen „Weidemilch“ steht. Das ist kein geschützter Begriff. Es ist also möglich, dass die Milch von Kühen stammt, die noch nie eine Weide gesehen haben. Den Kunden wird suggeriert, das ist Milch von glücklichen Kühen. Die Wahrheit ist aber: Den allermeisten werden die Hörner ausgebrannt, was für die Tiere extrem schmerzhaft ist. Nur demeter-Kühe dürfen ihre Hörner behalten.

Gibt es in dieser undurchsichtigen Situation überhaupt irgendwelche Grundregeln, an die man sich beim Einkaufen halten kann?

Scheidecker: Regional, saisonal und wenn möglich bio - dieses Mantra ist immer noch gültig. Optimal wäre es, beim Hofladen um die Ecke oder auf dem Bauernmarkt einzukaufen, aber diese Möglichkeit haben natürlich nicht alle. Bei Obst und Gemüse auf die Saison zu achten ist ein guter Tipp, wenn man sich nachhaltiger verhalten möchte. Ein Saisonkalender kann bei der Orientierung helfen.

Wer Biolebensmittel kauft, unterstützt damit eine andere Wirtschaftsweise. Wir wissen zwar aus unseren Tests, dass auch konventionelle Produkte eine tolle Qualität haben können. Viele konventionelle Landwirte gehen auch gut mit ihren Tieren um. Aber grundsätzlich unterstützt man mit Bioprodukten eine Landwirtschaft, die auf synthetische Pestizide verzichtet und weniger Gift in die Umwelt bringt.

Leider sind Bio-Lebensmittel teurer als konventionelle: Klimafreundliche Hafermilch kostet mehr als die eher klimaschädliche Kuhmilch und vegane Ersatzprodukte mehr als Fleisch. Dazu kommt, dass die Lebensmittelpreise in den letzten Jahren insgesamt stark gestiegen sind. Können es sich nur Wohlhabende leisten, nachhaltig zu konsumieren?

Scheidecker: Es ist absurd, dass Lebensmittel, die die Umwelt weniger belasten, mehr kosten. Aber die Verantwortung dafür liegt nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Deswegen sagen wir auch nicht strikt, alle dürfen jetzt nur noch Bio kaufen. Wer sich das leisten kann, fein – und wenn nicht, dann ist das so. Dann kann man viele andere Dinge tun, zum Beispiel darauf achten, keine Lebensmittel zu verschwenden und nur das zu kaufen, was wirklich gebraucht wird. In anderen Bereichen kann ich mich zurücklehnen und einfach die günstigsten Produkte kaufen. Ich brauche keinen Putzschrank mit 20 Spezialmitteln und auch keine teure Anti-Falten-Creme, weil die sowieso nicht wirkt. Das kann man also alles getrost im Warenregal stehenlassen.

Tölle: Das gilt auch für einige Lebensmittel. Niemand braucht zum Beispiel Mineralwasser. Wir können einfach Leitungswasser trinken, das ist viel besser für die Umwelt und viel günstiger. Wir haben das letztes Jahr mal ausgerechnet für einen Test: Für den Preis von einem Liter des teuersten Mineralwassers kann man ein ganzes Jahr lang jeden Tag einen Liter Leitungswasser trinken. Auch wer sich pflanzlich ernährt, selbst kocht und dabei auf die teuren Fleischersatzprodukte verzichtet, kann viel Geld sparen.

Was kann ich als einzelner Mensch noch tun, außer möglichst nachhaltig einzukaufen?

Scheidecker: In unserem Buch ermutigen wir dazu: Nerven Sie! Man kann sich zum Beispiel direkt an die Produzenten wenden. Im Kapitalismus ist der Kunde König, und deshalb bringt es auch etwas, den Herstellern mitzuteilen, wenn man mit etwas unzufrieden ist. Auch so kann man sich für bessere Produkte und für mehr Nachhaltigkeit engagieren.