Forschende beschäftigen sich mit Methoden, Sonnenstrahlen von der Erde abzulenken. Kann die künstliche Verdunklung das Klima retten?
Forschung zum KlimawandelSonnenschirme im Weltall – Eine Idee im Kampf gegen die Erderwärmung
Der spätere Oscargewinner Bong Joon-ho brachte 2014 mit „Snowpiercer“ einen mäßig erfolgreichen Film in die Kinos. Der südkoreanische Kultregisseur („Parasite“) versuchte in dem Science-Fiction-Film, einen Blick in die heutige Zeit zu werfen – verlockend war sie damals nicht.
Denn nachdem 79 Staaten durch das Versprühen eines Kältemittels in der oberen Erdatmosphäre die globale Erwärmung zu stoppen versucht haben, hat sich eine globale Eiszeit entwickelt. Nur 3000 Menschen haben überlebt und rattern im Snowpiercer, einem megalangen Zug, durch die weltweite Eisapokalypse.
Es ist das Ergebnis des menschlichen Glaubens, alles könne irgendwie so weitergehen: unendliches Wachstum, Naturverbrauch, die Erderwärmung. Alles lässt sich irgendwie technisch managen. Der Mensch als Tüftler und Lenker der Welt.
Die Ideen klingen abgefahren: Von gigantischen Sonnenreflektoren im All bis zu Impfungen der Stratosphäre mit Sulfaten
Tatsächlich scheint sich derzeit jedoch viel Resignation beim Kampf gegen den Klimawandel breitzumachen. Geplante Maßnahmen sollen wieder zurückgenommen werden, zuletzt in großem Stil in Großbritannien, aber auch – etwa bei der Gebäudedämmung – in Deutschland.
In Zeiten, in denen alles schwer scheint und Verzicht oder Anpassung für viele aus unterschiedlichen Gründen keine Option ist, werden gern technische Lösungen ventiliert. So wie in „Snowpiercer“.
Klingt utopisch? Ist es aber nicht. Erst im Februar hatte ein US-Forscherteam der Universität Utah in der Fachzeitschrift „Plos Climate“ Szenarien vorgestellt, durch eine künstliche Staubwolke zwischen Sonne und Erde die weitere Erwärmung des Planeten zu verlangsamen.
Die Studie ist ein klitzekleines Teil eines riesigen Wissenschaftspuzzles, das sich mit den technischen Möglichkeiten beschäftigt, Klimaschutzmaßnahmen wie den Umbau der weltweiten Wirtschaft und die Entkarbonisierung der Energieerzeugung zu flankieren. Beim sogenannten Geoengineering werden gegenwärtig zwei Ansätze gezielter Eingriffe ins Klima verfolgt.
Dabei geht es zum einen darum, Kohlendioxid aus der Luft zu entfernen, etwa durch gigantische Filter wie auf Island, und das Gas in Gestein zu binden. Auch Aufforstung oder das Düngen der Meere mit Eisen zählen dazu.
Umstrittener ist die zweite Idee: den Wärmehaushalt der Erde künstlich zu verändern, um die Erwärmung doch noch auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die Vorschläge dafür klingen abgefahren. Sie reichen von gigantischen Sonnenschirmen oder -reflektoren im All bis zur Impfung der Stratosphäre mit Sulfaten, um die Sonnenstrahlung zur Erde abzumildern.
Der „Snowpiercer“ lässt grüßen? Nun, bislang findet das Solar Radiation Management (SRM) vor allem in Köpfen und Rechnern als Modellierungen statt. Lediglich 2009 sollen russische Forschende mithilfe von Hubschraubern die Aerosolbildung in der unteren Troposphäre getestet haben.
Vulkanausbruch als Vorbild
Der sowjetische Klimaforscher Michail Budyko gilt als Vordenker. Er entwickelte 1974 als Erster das Konzept einer künstlichen Steuerung der Sonneneinstrahlung mit stratosphärischen Sulfataerosolen. 1991 ließ sich das US-Unternehmen Hughes Aircraft das US-Patent mit der Nummer 5003186 auf ein Verfahren ausstellen, das eine Stratosphäreninjektion mit Metalloxidpartikeln beschreibt.
So utopisch das klingt, Vorbild für entsprechende Ideen ist die Natur selbst. Als im Juni 1991 der Vulkan Pinatubo auf der größten und bevölkerungsreichsten philippinischen Insel Luzon ausbrach, waren die Eruption und die Folgen gewaltig. Hunderte Menschen starben, Zehntausende wurden obdachlos.
Asche und Gase wurden in die Stratosphäre geschossen – also etwa dreimal so hoch, wie Passagiermaschinen fliegen. Etwa acht Millionen Tonnen Schwefeldioxidgas spuckte der Pinatubo aus. In kurzer Zeit verteilten die Luftströmungen das Gas in der Stratosphäre über die gesamte Nordhalbkugel. Auf der Erde wurde es kühler.
Die Ursache ist das Zusammenspiel von Chemie und Physik. In der Atmosphäre macht die Luftfeuchtigkeit aus Schwefeldioxid Schwefelsäure. Die bildet Sulfatpartikel, die in der Luft schweben und teilweise die Sonnenstrahlung vorm Auftreffen auf der Erde reflektieren.
Dem Geoengineering hat der gut dokumentierte Vulkanausbruch Flügel verliehen und nicht zuletzt auch wirtschaftliche Interessen geweckt. Am potenziellen Feldversuch Stratospheric Controlled Perturbation Experiment (SCoPEx) ist beispielsweise Microsoft-Gründer Bill Gates finanziell beteiligt.
In den USA koordiniert die National Oceanic and Atmospheric Association (NOAA) Forschungen und Tests, die seit 2020 forciert werden. Das Geld kommt aus öffentlichen Kassen. NOAA-Atmosphärenwissenschafterin Karen Rosenlof stellt klar: „Man muss erst einmal wissen, was da ist, bevor man damit anfangen kann, es zu manipulieren.“
In Großbritannien haben sich seit 2012 verschiedene Institutionen am Projekt SPICE (Stratospheric Particle Injection for Climate Engineering) der Universität Bristol beteiligt. Zwar wurde der Feldversuch abgesagt. Die Forschenden führten das Projekt jedoch im Labor weiter und untersuchten, wie die Pläne in der Öffentlichkeit aufgenommen werden. Ergebnis: Feldversuch ja, tatsächlicher Einsatz von Aerosolen in der Stratosphäre nein.
Mehr Schaden als Nutzen?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen weltweit vor unabsehbaren Folgen. In einem Briefing der Grünen-nahen Böll-Stiftung wird darauf hingewiesen, dass SRM-Akteure versuchen würden, „politische Normen so zu verschieben, dass zuvor undenkbare Ideen und Maßnahmen – wie Solargeoengineering und andere Vorschläge – anfangen, sich durchzusetzen und akzeptabler zu werden.“
Bereits vor zehn Jahren beschäftigte sich das Planungsamt der Bundeswehr in einer Zukunftsanalyse mit Geoengineering. Zwar sei der Handlungsbedarf der deutschen Armee eher gering einzuschätzen, heißt es hier. Allerdings sei „Geo-Engineering primär ein strategisch bedeutsames außenpolitisches Gestaltungsfeld“. SRM könne völkerrechtliche sowie grenzüberschreitende Probleme verursachen und damit zum „bedeutsamen Konfliktgegenstand der internationalen Politik werden“.
Doch noch schwerer als die politisch-militärischen Rahmenbedingungen wiegen die durch künstliche Sonnenverdunkelung ausgelösten Klimaveränderungen, zeigen Modellierungen.
Injektionen der Stratosphäre auf der nördlichen Halbkugel würden beispielsweise zu weniger Wirbelstürmen im Nordatlantik und damit in der Karibik führen. Außerdem seien dadurch aber auch Dürren im südlich der Sahara gelegenen Teil des afrikanischen Kontinents sowie in Teilen Indiens programmiert.
Impfungen in der südlichen Hemisphäre würden mehr Wirbelstürme im Nordatlantik verursachen. Als Folge von SRM werden die Abkühlung der Tropen und die gleichzeitige Erwärmung nördlicherer Breitengrade vorhergesagt. Die Eisdecke und das arktische Meereis würden weiter abschmelzen und Temperaturextreme weiter zunehmen.
Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern hat in einer frisch publizierten Studie untersucht, ob man mit einer künstlichen Abdunkelung der Sonne das Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes verhindern könnte. „Das Zeitfenster, in dem sich der globale Temperaturanstieg auf unter zwei Grad beschränken lässt, schließt sich schnell“, so der Eismodellierungsspezialist Johannes Sutter. „Es ist deshalb möglich, dass technische Maßnahmen zur Beeinflussung des Klimas in Zukunft ernsthaft in Erwägung gezogen werden.“
Die Studienautoren um Sutter kommen nach verschiedenen Simulationen zu dem Schluss, SRM wirke am besten, wenn es möglichst früh erfolge und mit ehrgeizigen Klimaschutzmaßnahmen kombiniert werde. Der effektivste Weg zur Verhinderung eines langfristigen Zusammenbruchs des westantarktischen Eisschildes wäre eine rasche Dekarbonisierung.
Gigantischer Aufwand
Mitautor Thomas Stocker, Professor für Klima- und Umweltphysik, sagt unmissverständlich: „Geoengineering wäre ein weiteres globales Experiment und ein potenziell gefährlicher Eingriff der Menschen in das Klimasystem, was gemäß Artikel 2 der Uno-Klimarahmenkonvention auf jeden Fall verhindert werden sollte.“
Was Regierungen und Unternehmen wahrscheinlich jedoch am meisten vor dem Experiment in der Stratosphäre zurückschrecken lässt, sind die enormen Kosten eines solchen Programms.
Ulrike Niemeier, Meteorologin am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, verdeutlicht das am Beispiel des Pinatubo-Ausbruchs. „Wenn wir bis zum Jahr 2100 trotz steigender CO²-Emissionen das Klima von 2020 allein mithilfe von Schwefeldioxid halten wollten, müsste die Menschheit jährlich fünf- bis achtmal so viel Schwefeldioxid in die Stratosphäre bringen, wie 1991 beim Ausbruch des Pinatubo frei wurde“, sagte sie in einem Artikel der Max-Planck-Gesellschaft.
8 Millionen Tonnen Schwefeldioxidgas spuckte der Pinatubo aus. In kurzer Zeit verteilten die Luftströmungen das Gas in der Stratosphäre über die gesamte Nordhalbkugel. Auf der Erde wurde es kühler.
Forschende in Japan haben einmal berechnet, was dies in der Praxis bei Aerosolinjektionen bedeuten würde. Danach müssten täglich 6700 Flugzeuge Schwefeldioxid in der Stratosphäre verteilen, um die Erderwärmung um ein einziges Grad Celsius zu senken. Zum Vergleich: Am Flughafen Frankfurt starteten und landeten im Rekordjahr 2019 täglich etwa 700 Flugzeuge.
Der Berner Forscher Sutter weist darauf hin, dass SRM unterbrechungsfrei „über Jahrhunderte aufrechterhalten“ werden müsse. Würde die Intervention gestoppt, solange die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre hoch bleibt, stiege die Temperatur auf der Erde sprunghaft um mehrere Grad an. Ein solcher Schock hätte gravierende Auswirkungen auf die biologische Artenvielfalt.
Geoengineering als Notlösung
Für Planck-Meteorologin Niemeier ist klar: „Um den Klimawandel zu stoppen, gibt es für mich eigentlich nur den einen Weg: den CO²-Ausstoß so schnell wie möglich verringern. Das Strahlungsmanagement wäre nur ein Herumdoktern an den Symptomen – gegen das eigentliche Problem, das Kohlendioxid, richten wir damit nichts aus.“
Sie plädiert trotzdem dafür, Geoengineering zu erforschen. Als Notfalloption könnte es bei extremen Klimaveränderungen auf die politische Agenda gelangen. „Insofern sollten wir sehr genau wissen, worauf wir uns einlassen“, sagt sie.
Bongs „Snowpiercer“ endet übrigens mit einem hoffnungsvollen Unterton. Auf jeden Fall geht es weiter – irgendwie.