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„Patient, der unsere Hilfe braucht“So krank sind die Wälder in Köln und Region

Lesezeit 6 Minuten
Abgestorbene Fichten stehen im Nationalpark Eifel hinter jungen Bäumen.

Wie krank sind die Wälder in Nordrhein-Westfalen? Die jährliche Waldzustandserhebung gibt Antworten.

Zwei Drittel der Bäume in NRW zeigen Anzeichen von Krankheiten. Ein Experte erklärt, was das für die Zukunft der Wälder bedeutet.

Wenn man Lutz Jaschke nach dem Zustand des Waldes in Nordrhein-Westfalen fragt, dann sagt er: „Wir befinden uns in einer absoluten Umbruchphase.“ Zwei Drittel der Bäume sind krank, auf ganz Deutschland gerechnet sogar fast 80 Prozent. Nicht nur in NRW, bundesweit zeigt sich, dass der Wald, wie wir ihn bisher kannten, nicht mehr lebensfähig ist.

Waldzustandserhebung 2022: So krank sind die Bäume in NRW

Lutz Jaschke leitet das Sachgebiet Großrauminventuren am Zentrum für Wald- und Holzwirtschaft in Arnsberg. Dort ist er zuständig für die Waldzustandserhebung, eine Untersuchung der heimischen Wälder, die seit 1984 jährlich durchgeführt wird. Vor Kurzem sind die bundesweiten Ergebnisse veröffentlicht worden – und sehen erschreckend aus. Bundesumweltminister Cem Özdemir sprach vom Wald als einem „Patienten, der unsere Hilfe braucht“.

Dass die Waldzustandserhebung Mitte der 80er Jahre eingeführt wurde, war eine Reaktion auf die Diskussion um sauren Regen. Es handelt sich dabei um eine systematische Stichprobeninventur. In Nordrhein-Westfalen werden an 63 Stichprobenpunkten circa 10.000 Bäume untersucht. Jahr für Jahr wird die Gesundheit der fest markierten Baumgruppen eingeschätzt.

In der Erhebung aus dem Jahr 2022 heißt es: „Nur rund ein Drittel der Waldbäume haben eine kräftige, dichte Baumkrone.“ Der Rest weist eine sogenannte Verlichtung der Baumkrone auf. Damit wird der Verlust von Blättern und Nadeln bezeichnet. In NRW zeigen 34 Prozent der Bäume eine geringe und 38 Prozent eine deutliche Verlichtung. „Seit Beginn der Waldzustandserhebung 1984 wird die Lage immer ernster, auch weil die Folgen des Klimawandels im Wald immer spürbarer werden“, heißt es im Bericht.

Das bestätigt auch Lutz Jaschke: „Die Verlichtung der Waldbäume nimmt immer weiter zu. Dafür gibt es nicht eine einzige Ursache, sondern mehrere Faktoren, die ineinandergreifen. Aber seit 2018 steht ganz klar der Klimawandel im Fokus.“

Grundsätzlich gibt und gab es viele Faktoren für Kronenverlichtung, erklärt er. „Stoffeinträge zum Beispiel, sprich: saurer Regen in den 80er-Jahren. Heutzutage sind eher Stickstoffeinträge in den Wald problematisch. Hinzu kommen Schadinsekten, die durch Fraß an Laub und Nadeln oder unter der Rinde zu Schäden führen, sowie Pilzarten, die Triebsterben hervorrufen.“ Durch klimatisch bedingte Witterungsextreme, wie zum Beispiel ausgedehnte Dürrezeiten im Sommer, gekoppelt mit höheren Durchschnittstemperaturen, verstärken sich die Probleme. „Durch höhere Temperaturen sehen wir längere Vegetationszeiten, also die Phase, in der Bäume blühen und wachsen. Das wiederum schraubt den Wasserverbrauch der Bäume hoch, die ohnehin schon unter der Dürre leiden“, erkärt Jaschke. Schädlinge haben dann leichtes Spiel.

Bis zu drei Generationen Borkenkäfer pro Jahr

Jaschke verdeutlicht das am Beispiel der Fichte: „Der Fichtenborkenkäfer war eigentlich schon immer da. Jetzt, wo die Fichten im Sommer vermehrt in Wasserstress geraten, hat der Käfer verstärkt die Möglichkeit, sich unter die Rinde zu bohren.“ Der Abwehrmechanismus der Bäume: die Käfer mit Harz verkleben. „Aber wenn nicht genug Wasser zur Verfügung steht, kann die Fichte nicht in ausreichender Menge Harz ausstoßen“, sagt Jaschke. Der Käfer bohrt sich also in aller Seelenruhe in die Fichte, legt seine Eier, die Larven schlüpfen und fressen den Baum von innen auf. Während die Fichte abstirbt, schlüpft eine neue Generation Käfer, die den nächsten Baum befällt.

„Der Borkenkäfer mag Wärme“, erklärt Jaschke. Je länger die Vegetationszeit, desto mehr Generationen wachsen pro Jahr heran. „Im Flachland verzeichnen wir bis zu drei Generationen pro Jahr.“ Ein einzelnes Borkenkäferweibchen kommt damit auf mehrere zehntausend Nachkommen pro Jahr. „Aufgrund der milden Temperaturen kommen die Käfer mit großen Stückzahlen durch den Winter, um sich dann im nächsten Frühjahr mit geballter Kraft auf die Fichte zu stürzen.“ Seit 2018 sind in Nordrhein-Westfalen 45 Prozent aller Fichten, die im Rahmen der Waldzustandserhebung analysiert wurden, verloren gegangen. „Es gab immer wieder mal Borkenkäferplagen nach Trockenjahren“, sagt Jaschke, „aber noch nie so lange wie aktuell.“

Doch nicht nur die Fichte leidet. Auch andere Baumarten weisen zunehmend Zeichen von Krankheit auf. Deutschlandweit beträgt der Anteil aller Buchen, Eichen und Kiefern, deren Kronen verlichtet sind, jeweils mehr als 70 Prozent. In Nordrhein-Westfalen zeigt sich ein ähnliches Bild.

Dabei sieht die Lage in Nordrhein-Westfalen noch lange nicht so schlimm aus wie beispielsweise in Thüringen. Dort liegt allein der Anteil der Bäume, die eine deutliche Kronenverlichtung aufweisen, also mehr als 25 Prozent ihrer Nadeln oder Blätter verloren haben, bei 50 Prozent – jeder zweite Baum also. Nordrhein-Westfalen liegt mit 38 Prozent aller Bäume, die in die Schadstufen zwei bis vier fallen, im Mittelfeld.

In Thüringen leiden die Bäume besonders

Die Unterschiede liegen zumeist in natürlichen Gegebenheiten begründet. Die vier Hauptbaumarten Buche, Eiche, Fichte und Kiefer reagieren unterschiedlich stark auf den Klimawandel. Regional gibt es eine unterschiedliche Häufung der einzelnen Arten. Während in der Mark Brandenburg viele Kiefern stehen, finden sich in Nordrhein-Westfalen deutlich mehr Buchen. Hinzu kommt, dass Niederschläge in Deutschland nicht gleichmäßig verteilt sind. So regnet es in der Eifel deutlich mehr als in der Rheinschiene oder in Brandenburg.

In ohnehin trockenen Regionen wirkt sich die sommerliche Dürre stärker aus und wird teilweise noch verstärkt durch regionale Unterschiede des Waldbodens. „Abhängig vom Substrat hat der Boden unterschiedliche Fähigkeiten, Wasser zu speichern“, erklärt Lutz Jaschke. „Sandböden haben nur eine geringe Haltekapazität. Die Sauerländer Lehmböden halten das Wasser erheblich länger.“

Nicht nur die Zahl der kranken Bäume steigt. Auch die Zahl der abgestorbenen Bäume wächst. Die sogenannte Ausscheiderate gibt an, wie viele Bäume seit dem letzten Jahr aus der Erhebung gefallen sind. Der Großteil stirbt durch Windwurf oder Schädlinge ab (der sogenannte Totholzanteil). Zudem werden immer wieder Bäume entnommen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen, also Platz, Licht und Wasser nehmen. Rund jeder siebte Baum wird aufgrund einer geplanten forstlichen Nutzung entnommen.

Doch was bedeuten all diese Zahlen und Daten für die Zukunft unserer Wälder? Lutz Jaschke sagt: „Die aktuelle Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie können wir den Wald fit machen für die Folgen des Klimawandels?“ Vordringliches Ziel müsse sein, Klimastabilität und Resilienz der Wälder zu erhöhen. „Das versuchen wir, indem wir standortgerechte Mischbestände gründen, aus heimischen Laub- und Nadelbäumen unterschiedlicher Altersstufen. Wir setzen also nicht mehr auf gleichaltrige Reinbestände aus beispielsweise Fichten oder Buchen, sondern auf ein Miteinander von Baumarten, die am jeweiligen Standort geeignet sind. Erfahrungsgemäß sind das die stabilsten Wälder, die wir erreichen können.“

Der Wald wird sich also verändern und in Zukunft anders aussehen, als wir ihn heute kennen. In einer Übergangsphase werden sich verstärkt Pionierbaumarten wie Birken oder Weiden ausbreiten, wie sie heute schon auf Windwurfflächen aus den frühen 2000ern zu finden sind. „Diese Flächen geben uns eine gute Vorstellung, wie der Wald in Zukunft aussehen könnte“, sagt Jaschke. „Da Bäume aber sehr langlebig sind, ist solch ein Wandel nicht innerhalb weniger Jahrzehnte vollzogen.“