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111 virulente Projekte in KölnPlan und Wirklichkeit – Zur Idee unserer Karte

Lesezeit 4 Minuten
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Leere auf dem Hof der Alten Feuerwache

Köln – Karten sind keine neutrale Reproduktion von Wirklichkeit, sondern immer Vereinfachung und Radikalisierung des wirklichen Raumes. Auf dem Blatt einer Karte wird die Wirklichkeit zweidimensional und kleiner. Karten selektieren damit nicht nur die Größe (von 1:1 auf 1:20.000), sondern auch den Inhalt der Wirklichkeit. Karten bergen in der Auswahl der Dinge, die in der Verkleinerung gezeigt werden, immer die Entscheidung der oder des Kartograf*in. Die bewusst getroffene Auswahl der dargestellten Elemente offenbart die Aussage der Aufnehmenden und Zeichnenden. Eine Karte sagt oft mehr über die oder den Kartograf*in als über die Wirklichkeit, durch die Auswahl des Themas wird eine Karte mehr ein persönlicher Kommentar zur Wirklichkeit, als neutrales Abbild der Wirklichkeit.

Neuer Inhalt

Anne-Julchen Bernhardt

Karten machen unsichtbare Beziehungen, Strukturen und Informationen im Raum sichtbar. Sie versammeln Informationen, die im wirklichen Raum verborgen bleiben. Dies oft schlicht, weil die Informationen unsichtbar sind, wie geologische Formationen der Erde unter uns, Flugrouten in der Luft über uns, die Beziehung der Erdoberfläche zur Normalnull.

Aber auch Informationen, die nicht auf visuelle Erfahrung zugreifen, sondern anderer Angaben bedürfen, wie historische Daten, statistische Werte und gesellschaftliche Beschreibungen können in Karten dargestellt werden. Die Aufnahme dieser Informationen braucht eine objektive und nachprüfbare Erfassung von Daten. Das Thema der Karte ist von der Kartografin oder dem Kartografen zugespitzt, der Inhalt selbst ist so gewissenhaft wie möglich dargestellt.

Die durch eine Karte verdichtete Information enthält Erkenntnis, sie kann eine These formulieren, die Ausgangspunkt für eine Reflexion, eine Kritik der Wirklichkeit sein kann. Karten lösen etwas aus: Hat man die Welt einmal als abgewickelte Kugel gesehen, lässt sie sich nicht mehr als Scheibe denken. Karten sind ein Mittel der Aufklärung, sie dienen der Erkenntnisvermittlung.

Stadtplan Kölns von Arnoldus Mercator

Arnoldus Mercator hat in seinem vom Rat 1570 beauftragten und 1571 fertiggestellten Stadtplan Kölns alle Häuser räumlich erfasst und im Maßstab 1:2.450 dargestellt, man sieht isometrisch Straßen, Plätze, Häuser, Höfe, Kirchspiele und auch die noch innerhalb der feinen gezeichneten Stadtmauer vorhandenen Felder; es gibt Bäume, Kräne, Schiffe und Zugpferde und einige wenige Menschen; alle Straßen besitzen einen Namen. Man kann diese Stadt immer noch mit dem Auge bewohnen.

La Topografia di Roma als Modell

Eine zweite große Karte einer Stadt - La Topografia di Roma – aus dem Jahr 1748 lehrt immer noch alle Planenden das Sehen von Stadt. Giovanni Battista Nolli hatte die radikale Idee, alle öffentlich zugänglichen Räume, Straßen, Plätze, aber auch die damit verbundenen Kirchen, betretbaren Höfe, Gärten, Säle, Konvente, Paläste als zusammenhängendes System zu zeichnen. Der Betrachter kann hier seiner Wege gehen, durch das dicke und dünner werdende Weiß, manchmal durch Säulen hindurch, an Brunnen vorbei; alles was man nicht betreten darf, alles was anderen gehört, ist schweigend schwarz schraffiert. Der Nolli-Plan überzeugt einen davon, dass Stadt ein komplexer und schöner Behälter für alle Menschen ist.

Der Stadtplan ist eine praktische Karte, faltbar, man kann ihn in die Tasche stecken, er ist ein Werkzeug der schnellen Orientierung - weiß ich nicht weiter, hilft mir ein Name oder ein Merkzeichen, damit ich mich wieder zurechtfinde.

Die eigens für die Kooperation mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ angefertigte Karte „Köln: Virulente Projekte“ steht in der Tradition dieser Stadtpläne, die im großen Wachstum der Städte Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt hatten. Unzählige Verlage wetteiferten mit der besonders leicht verständlichen Darstellung der jeweiligen Stadt. So gab es touristische Stadtpläne von Paris, die vor lauter Monumenten die normale Stadt verdeckten und die Pharus-Pläne, die kleine goldene, perspektivisch gezeichnete besondere Gebäude auf das nach Frequenz verzerrte Straßenfeld setzten, damit man an den entscheidenden Stellen weiter weiß. Das Prinzip der sprechenden Gebäude haben wir übernommen, die virulenten Projekte sprechen über Architektur und Demokratie in unterschiedlichen Wirkfeldern.

Kleine Monumente in Köln

Die 111 Projekte sind als ebensolche kleine Monumente gezeichnet, wie im Mercator Plan läuft der Rhein quer über das Blatt, diese Stadt kann man auch mit den Augen bewohnen. Die virulenten Projekte lassen sich inhaltlich entschlüsseln, sie lassen sich aber auch als Teil eines praktischen Stadtplans verwenden, den man mit hinaus in die Stadt nimmt, als Werkzeug nicht der Orientierung, sondern der Erkenntnis.

Zur Gastautorin: Anne-Julchen Bernhardt ist Architektin in BeL Sozietät für Architektur in Köln und Professorin für Gebäudelehre an der RWTH Aachen.