Medica Mondiale90 Frauen von Kölner Hilfsorganisation stecken in Afghanistan fest
Köln – Seit Freitag bangt Monika Hauser um das Leben ihrer 90 Kolleginnen und deren 300 Familienangehörigen in Afghanistan, die in Kabul an versteckten Orten auf ihre Ausreise nach Deutschland hoffen.
Die deutsche Hilfsorganisation Medica Mondiale wurde vor 20 Jahren von der heute 62-jährigen Gynäkologin aus Köln gegründet und unterstützt Frauen in Krisengebieten der Welt, neben Afghanistan auch im Nordirak, im Kongo und in Liberia. Für ihr Engagement wurde Monika Hauser mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Frau Hauser, wie sieht die Situation in Kabul aktuell aus?
Wir versuchen seit Freitag, die Kolleginnen mit ihren Familien rauszukriegen. Erst war die Luftbrücke das Problem. Die ist jetzt installiert. Nach zögerlichem Beginn hat ja auch die Bundesregierung einen politischen Willen gezeigt. Jetzt geht es darum, die Menschen sicher an und in den Flughafen zu bekommen. Zum Glück haben die Kolleginnen aus Masar-i-Scharif und Herat noch rechtzeitig fliehen können, so dass jetzt alle zusammen sind.
Wie sicher sind die Orte, an denen sie sich aufhalten?
Sicher ist in Kabul gar nichts mehr. Das ist alles schon sehr dramatisch. Die Frauen wissen, dass ihr altes Leben von einem auf den anderen Tag vorbei ist. Die kleinen Kinder sehen in Videos, was sich am Flughafen abspielt. Sie haben große Angst. Wir tauschen uns auf verschiedenen Kommunikationskanälen mit ihnen aus. Sie berichten, wie gefährlich es ist, auch nur nach draußen auf die Straße zu gehen. Wir sind in Köln in ständiger Alarmbereitschaft.
Wie realistisch ist es, dass es den Amerikanern gelingt, einen Korridor zum Flughafen zu schaffen?
Als Menschenrechtlerinnen geben wir die Hoffnung nicht auf. So hat sich unsere Arbeit in Afghanistan immer gestaltet und nur so war sehr viel möglich in den vergangenen Jahren. In Doha soll es Gespräche mit den Taliban geben, an denen auch der deutsche Sondergesandte beteiligt sein soll. Ich gebe die Hoffnung auf die Errichtung eines Korridor nicht auf. Das muss jetzt sehr schnell gehen. Die Flieger stehen bereit. Irgendwann wird sich das Fenster schließen.
Die Taliban geben sich sehr moderat, sprechen von Amnestie und davon, dass niemand etwas zu befürchten habe.
Die Taliban heute sind nicht mehr die von vor 20 Jahren. Sie wissen, wie sie sich verkaufen müssen. Aber von unseren Kolleginnen vor Ort hören wir, dass sie zu schreckliche Erfahrungen gemacht haben, um ihnen auch nur ein Wort glauben zu können. Auch ich glaube ihren Versprechungen nicht. Die Taliban haben gesagt, dass alle bleiben können, die sich an die Scharia halten. Aber die Scharia ist Auslegungssache. Und wir wissen doch noch genau, wie die Taliban die Scharia bei ihrem letzten Regime ausgelegt haben. Das war tödlich für die Frauen.
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Sie waren persönlich das letzte Mal 2014 in Afghanistan. Hat Sie die Entwicklung der letzten Tage überrascht?
Da muss man unterscheiden. Dass die Taliban früher oder später die Macht ergreifen würden, war absolut klar und voraussehbar, nachdem die Amerikaner so schnell und überhastet abgezogen sind, ohne den Taliban Bedingungen zu stellen. Auch die Deutschen sind überhastet abgezogen, ohne die Sicherungsmaßnahmen für die Ortskräfte herzustellen. Dass Kabul schon am Sonntag fällt, hat auch uns überrascht. Die vielen Fehler der internationalen Intervention summieren sich jetzt zu diesem katastrophalen Ergebnis auf.
Sind Sie mit Ihrer Arbeit nicht auch gescheitert?
Auf keinen Fall. Im Gegensatz zur internationalen Gemeinschaft, die sich das jetzt eingestehen muss, hat medica mondiale in den 20 Jahren eine Organisation mit sehr nachhaltigen Strukturen aufgebaut. Afghanische Juristinnen haben Tausende von Frauen vor Gericht vertreten und deren gewalttätige Männer hinter Gitter gebracht. Sie haben mit anderen Aktivistinnen ein Gewaltschutzgesetz erkämpft. Richter und Staatsanwälte wurden von ihnen belehrt, damit sie die Gesetze überhaupt umsetzen können. Sie haben Tausende von Frauen psychosozial begleitet, so dass sie nach schlimmsten Erfahrungen wieder ins Leben zurückkehren können. Nicht nur die Taliban sind das Problem. Wir hatten Männer auch in der Regierung, die sehr rückständig waren.
Aber Ihre Kolleginnen müssen jetzt fliehen.
Ja. Sie sind hochgradig gefährdet, weil sie so lange an exponierter Stelle gearbeitet haben. Aber es gibt immer und überall Frauen, die andere unterstützen. Das wird weitergehen. Diese neue Arbeit werden wir unterstützen, sobald das wieder möglich ist. Es wird auch Frauen geben, die in den Untergrund gehen und weitermachen. Da ist längst eine neue Generation von Frauen herangewachsen. Aber auch die Älteren wussten, wofür sie kämpfen. Sie haben zum Teil einen hohen Preis bezahlt. Das wird nicht alles verschwinden, selbst wenn sich das Regime jetzt wieder als sehr gewalttätig entpuppt.
Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Der rohen Gewalt kann man sich nicht entgegenstellen. Aber auch die Taliban werden eine gewisse Akzeptanz brauchen, wenn sie wieder eine Administration aufbauen wollen. Und natürlich werden sie auch von der politischen Anerkennung und von Finanzierungsquellen abhängig sein. Auch von westlichem Geld. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung und an alle europäischen und diplomatischen Stellen: Man muss mit den Taliban verhandeln. Sie waren und sind ein Machtfaktor. Aber jeder Geldfluss muss an Menschenrechte und Frauenrechte, an Good Governance und Rechtsstaatlichkeit gekoppelt sein.