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Annette Frier über ihre neue Rolle„Autistin Ella ist keine Figur wie jede andere“

Lesezeit 4 Minuten

Die Kölner Schauspielerin Annette Frier beim Gespräch im Hotel im Wasserturm

  1. Für Asperger ist die ganze Welt wie New York, sagt Annette Frier. Zu laut, zu groß, zu schnell.
  2. Gedreht wurde an der Küste. Doch nach fünf Wochen fehlte der Rodenkirchenerin der Blick auf den Dom.

KölnAufgrund des Erfolgs der ersten beiden „Ella Schön“-Filme im ZDF, haben Sie nun die Dreharbeiten für zwei weitere abgeschlossen. Ein schönes Wiedersehen mit der Hauptfigur?

Na klar. Eine große Freude, mein Alter-Ego Ella wiederzutreffen. Allerdings habe ich es mir doch ein bisschen leichter vorgestellt, wieder in die Rolle zu schlüpfen. Ich dachte ehrlicherweise, es ist wie Fahrradfahren: Man zieht sich die Klamotte an, stellt sich vor die Kamera und los geht’s. Aber dann Pustekuchen! Ella Schön zu spielen heißt für mich, Synapsen völlig anders zu verknüpfen, daran muss sich der Körper erst einmal wieder gewöhnen.

Die Schwierigkeit an der Rolle ist, dass Ella Schön unter dem Asperger-Syndrom, einer Variante von Autismus, leidet...

Genau. Ich habe mir das beispielsweise so erklärt: Ich bin in New York, habe eine totale Reizüberflutung, alles ist zu laut, zu groß, zu schnell, zu viel. So ist das für einen Asperger quasi immer. Teilweise selbst dann, wenn er nur mit einer einzigen Person spricht. Das Gesagte bleibt für ihn oft wie eine Fremdsprache. Außenstehende denken oftmals, Asperger seien unhöflich, dabei sind sie nur unglaublich konzentriert, nicht den Faden zu verlieren, und sich auf eine Kompetenz wie logisches Denken zu fokussieren.

Zum Film

Die ZDF-Reihe „Ella Schön“ handelt von der gleichnamigen Hauptfigur (Annette Frier), die unter dem Asperger-Syndrom, einer Variante von Autismus, leidet, und das Leben von Christina (Julia Richter), der Affäre ihres verstorbenen Mannes, auf Fischland etwas auf den Kopf stellt. Kommenden Sonntag, 31. März, wird um 20.15 Uhr die dritte Folge „Ella Schön: Die nackte Wahrheit“ ausgestrahlt. Am 7. April folgt mit „Ella Schön: Ferien von den Eltern“ der vierte Film. (kle)

Unterscheidet sich da die Dreh-Vorbereitung im Vergleich zu anderen Rollen?

In dem Fall kann ich jedenfalls wirklich mal von Rollenarbeit sprechen. Ich halte es nicht immer für sinnvoll, sich monatelang in etwas reinzudenken. Nur weil ich zum Beispiel eine Anästhesistin spiele, muss ich mir nicht acht OPs angucken. Im Fall Asperger war für mich das Internet sehr hilfreich. Ich konnte mir verschiedenste Betroffene anschauen und dabei intensiv Gestik und Mimik studieren. Und irgendwann habe ich nur noch selektiert, mir herausgesucht, was mich interessiert – die etwas unbeholfene Körperlichkeit von Ella bedient etwa die Komödie und die etwas roboterhafte Sprache ist so etwas wie ein kleines Markenzeichen der Figur geworden. Man muss einfach irgendwann reduzieren, weil man der Sache sowieso nicht wirklich gerecht werden kann. Muss ich aber übrigens auch nicht, weil ich keine Dokumentation, sondern Fiktion mache.

Ella Schön ist ein sehr rationaler Mensch, gibt Gefühlen nicht wirklich Platz in ihrem Leben, und spricht direkt aus, was sie denkt. Würden Sie sich letzteres von mehr Menschen wünschen?

Ihre Direktheit? Ihren Pragmatismus, was die eigenen Bedürfnisse angeht? Unbedingt! Gedankenspiel: Wenn jeder auf sich bedacht ist, muss sich niemand mehr um den anderen kümmern. Etwas plakativ, ich weiß. Man redet da immer von Egoismus, doch wenn die Leute sich wirklich richtig um sich kümmern würden, dann wären wir alle vielleicht weniger bedürftig. Aber gut, dass würde hier jetzt wahrscheinlich den Rahmen sprengen. Nur für die Ausgangssituation unserer Filme ist es natürlich toll. Klar, es ist auch schön, das Asperger-Syndrom mal darstellen zu können und es dadurch in der Öffentlichkeit etwas zugänglicher zu machen. Und ich sage immer, dass die eigentliche Hauptfigur, mit der sich der Zuschauer direkt verbindet, die Figur „Christina“ ist. Weil sie das macht, was wir in einer solchen Situation machen würden.

Haben Sie dies selber schon einmal erlebt?

Ja. Ich kenne einen Asperger, von dem wusste ich lange Zeit nicht, dass er einer ist. Der Vater eines befreundeten Kindes. Ich fand den so ätzend und habe mich immer gefragt, was das für ein unhöflicher Mensch ist. Mürrisch, kein Blickkontakt, kein „Guten Tag“. Bis ich zwei Jahre später erfahren habe, dass er das Asperger-Syndrom hat. Das ist natürlich total hilfreich, weil man dann anders mit der Situation umgehen kann.

Gedreht wurde in Berlin und in Fischland an der Ostsee. Sie selber leben mit Ihrer Familie in Rodenkirchen. Könnten Sie sich vorstellen, Köln gegen ein Leben an der Küste aufzugeben?

Nein. Es war wirklich toll, mal fünf Wochen an diesem wunderschönen Ort zu drehen, das war ja beinah wie Urlaub. Aber als ordentlichem Kölner fehlt einem auf Dauer vom Balkon die Aussicht auf den Dom. Insofern sehe ich überhaupt keinen Notstand, mich ganzjährig ans Meer zu verpflanzen.

Das Gespräch führte Nina Klempt