Assoziationen wie beim Rorschach-Test
Vingst – Mehr als ein paar Farben braucht es nicht, um den Ausdruck der Gefühle sichtbar zu machen. Außerdem muss man selbstverständlich bereit sein, die Farben mit malerischer Ungezwungenheit auf die Leinwand zu bringen. Denn Gefühle sind keine kontrollierte Angelegenheit. Das zeigt der Kölner Künstler Ralf Hennerici in der Kirche St. Theodor in Vingst mit zahlreichen farbigen Würfen, die tatsächlich so unverhofft in die Wahrnehmung treten wie Gefühle einen Menschen überfallen.
Häufig entwickelt der Kölner Künstler seine abstrakten Farbbewegungen aus Klecksen heraus, indem er farbige Fransen akzentuiert, in bestimmte Richtungen zuspitzt und mit anderen Farben umrahmt. Die abstrakten Farbgestalten bleiben allerdings nur für einen kurzen Moment wirklich abstrakt. Denn der Mensch erkennt in namenlosen Klecksen und Farbverästelungen in aller Regel sehr schnell mehr als wirre Farbverläufe. Hier erkennt er eine Nase, einen Mund, ein ganzes Gesicht. Dort erkennt er eine körperliche Silhouette, die sich nach oben reckt, sich in einem Sprung oder in einer anderen Haltung befindet.
Die Wahrnehmung bleibt nicht lange im Abstrakten, sondern drängt zur Erinnerung an bekannte Gestalten und Bedeutungen. Die unbewussten Kräfte, aus denen Hennerici seine Malerei entstehen lässt, sind das eine Thema der Ausstellung. Das andere Thema sind die unbewussten Regungen, mit denen jeder einzelne Betrachter die Bilder auf seine ganz eigene Weise belebt. Das sind vage Empfindungen, Erinnerungen und Assoziationen, die möglicherweise sogar widersprüchlich sind. Das geschieht ähnlich wie beim psychologischen Rorschach-Test. Darin wird den Menschen ein abstraktes Klecksbild vorgelegt, zu denen sie ihre spontanen Einfälle formulieren sollen.

Der Künstler Ralf Hennerici stellt abstrakte malerische Formgebilde ins Zentrum seiner Bilder.
Copyright: Jürgen Kisters
Auf diese Weise treten allerhand seelische Regungen eines Menschen zu Tage, die einen erstaunlichen Zugang zu seinen unbewussten Wünschen und Ängsten und Lebensthemen bieten. Hennericis Malerei ermöglicht gleichfalls diese Art bei der Betrachtung, allerdings ohne jede psychologische Methodik. In einem Bild macht das Chaos ineinander verschlungener Farbrinnsale Angst, in einem anderen Bild hat es eine verführerische Dimension. Hier gibt es in den abstrakten Gesten eine erotische Dimension, dort Elemente der Grausamkeit. Ein Gemälde entfaltet eine tänzerische Leichtigkeit, ein anderes ein verwirrendes Dickicht, das gleichermaßen fantastisch und unheimlich wirkt.
Die jeweiligen Farben sorgen für zusätzliche (Be-)Deutungen. Ein Rot führt zu blutigen Rinnsalen und dem Drama eines verletzten Körpers. Ein Grün führt zum Zauber einer Natur, die schön und rätselhaft ist. Und ein Gelb wiederum flackert wie Feuer. Mit jedem Bild Hennericis werden wir auf das Mysterium einer vielfach zerfaserten Wirklichkeit verwiesen, deren Kräfte in ganz unterschiedliche Richtungen und zugleich immer wieder gegeneinander drängen. Diese Wirklichkeit ist von explosiver Kraft. Es sind diese explosiven Möglichkeiten der abstrakten Malerei, die den im Jahr 1965 geborenen Hennerici interessieren. Der Künstler, der ein Studium der Freien Malerei an der Kölner Fachhochschule am Ubierring und im Anschluss ein Studium der Heilpädagogik absolvierte, ist neben seiner eigenen künstlerischen Arbeit seit Jahren auch als Kunsttherapeut und Betreuer für psychisch erkrankte Menschen tätig. Der psychologische Aspekt seiner Malerei ist ebenso wie ihre (selbst-)therapeutische Dimension unübersehbar. Seine Bilder bewegen sich in einem diffusen Feld zwischen amorpher Indifferenz und Gestaltwerdungsprozessen, zerstörerischer Gewalt und formender Kraft, der Tendenz zur Gestaltauflösung und zu einer unaufhörlichen Metamorphose. Sie bringen in ihrer malerischen Unruhe das grundlegende Geheimnis von Bewegung und Verwandlung zum Ausdruck, das allem Leben zugrunde liegt. Das berührt unweigerlich die Erfahrung des Ungreifbaren und des Unaussprechlichen. Diese Erfahrung, die im gelebten Leben nicht selten bedrohlich ist und Angst macht, erscheint in der Malerei schön und faszinierend. Und genau darin liegt der grundlegende Unterschied zwischen Kunst und Leben. Kirche St. Theodor, Burgstraße 42, geöffnet So 12-13 Uhr, Do 18-19 Uhr, bis 16.2.

Der Künstler Ralf Hennerici stellt abstrakte malerische Formgebilde ins Zentrum seiner Bilder.
Copyright: Jürgen Kisters

Der Künstler Ralf Hennerici stellt abstrakte malerische Formgebilde ins Zentrum seiner Bilder.
Copyright: Jürgen Kisters