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Mahnbescheide von bis zu 30.000 EuroGeflüchtete mit Job sollen für Unterbringung in Köln zahlen

Lesezeit 5 Minuten
Ukrainische Geflüchtete protestieren vor Flüchtlingsunterkunft gegen die gemeinsame Unterbringung mit Sinti und Roma.

Viele Geflüchtete, die arbeiten gehen, erhalten Mahnbescheide für die Unterbringungskosten. Das Foto zeigt ein Übergangswohnheim mit ukrainischen Geflüchteten in Köln.

Eine Sozialrechtlerin hält die Kölner Gebührenordnung für die Unterbringung von Geflüchteten für rechtswidrig.

Viele Geflüchtete, die arbeiten gehen und in öffentlichen Kölner Unterkünften leben, haben in den vergangenen Monaten Mahnbescheide erhalten: Bis zu 30.000 Euro sollen sie nachzahlen, weil sie als Arbeitnehmer als Selbstzahler gelten und daher für die Kosten der Unterkunft aufkommen sollen.

Gebührenbescheid über 4539 Euro für eine Familie mit zwei Kindern

Eine Familie mit zwei Kindern erhielt im Mai einen Gebührenbescheid über monatlichen Kosten von 4539 Euro – 1134 Euro pro Bett. Die abgerechneten Kosten für die Unterbringung sind oftmals horrend: Die Kölner Gebührensatzung für Übergangswohnheime enthält Nutzungsgebühren von bis zu 54 Euro pro Quadratmeter. Abgedeckt werden damit nicht nur die Mietkosten, sondern auch die Ausgaben für Sozialarbeit, Sicherheitsdienste oder Hausmeister.

Die Gebühren für die Unterbringung sind von Kommune zu Kommune unterschiedlich hoch. Köln bewegt sich dabei „am oberen Ende der Skala“, wie die Migrationssozialrechtlerin Dorothee Frings meint, die die Gebührensatzung der Stadt für rechtswidrig hält.

„Die Satzung verstößt gegen das so genannte Äquivalenzprinzip. Damit soll ein angemessenes Verhältnis von Nutzungsgebühren zum Gebrauchswert hergestellt werden.“ Auf dem öffentlichen Wohnungsmarkt bedeuteten die Kölner Quadratmeterpreise für einige Unterkünfte „Mietwucher in höchster Form“, meint Frings.

Menschen in den Unterkünften wird von anderen Flüchtlingen davon abgeraten, eine Arbeit anzunehmen – weil sie dann zur Kasse gebeten werden
Mitarbeiter einer Kölner Willkommensinitiative

Die Stadt teilte dem Integrationsrat mit, dass die „Kosten für Errichtung, Anmietung und Unterhalt einer Unterkunft relativ hoch“ seien, „so dass in der Regel die Nutzungsgebühren deutlich über einer üblichen Miete“ lägen. Verhältnismäßig seien die Gebühren trotzdem, da kein Missverhältnis zwischen Leistung und Kosten bestehe, teilt die Stadt auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 14. September mit. Geflüchtete würden auch auf dem freien Kölner Wohnungsmarkt „keine günstige und bezahlbare Mietwohnung finden“.

6624 Gebührenschuldner registriert die Stadt Köln. Wie viele Fälle von nicht bezahlten Unterbringungsgebühren darunter sind, lasse sich statistisch nicht ermitteln.

Ein Mitarbeiter einer Willkommensinitiative erzählt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass „Menschen in den Unterkünften mit dem Verweis auf die Mahnbescheide dringend davon abgeraten wird, eine Arbeit anzunehmen – weil sie dann zur Kasse gebeten werden“. Vor allem unter ukrainischen Geflüchteten werde diese Warnung verbreitet. Die Situation sei absurd. „Schon die abschreckende Wirkung der Nutzungsgebühren verstößt gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit“, sagt Dorothee Frings.

Wir als Jobcenter zahlen nur die reinen Wohnkosten – die Abrechnungen müssten derart angepasst werden, dass wir diese an die Stadt Köln erstatten können
Martina Würker, Geschäftsführerin des Kölner Jobcenters

Ukrainische Geflüchtete haben Anspruch auf Arbeitslosengeld II beziehungsweise Bürgergeld – ihre Wohnkosten werden über das Jobcenter abgerechnet. Die Behörde könne die gesamten Unterbringungskosten nicht übernehmen, weil die Gebührenordnung nicht zwischen reinen Wohnkosten und Kosten für andere Leistungen wie Sozialarbeit, Sicherheitsdienste oder Verpflegung differenziere, sagt Martina Würker, Geschäftsführerin des Kölner Jobcenters. Genau das fordere aber das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, um die Kosten kontrollieren zu können. „Wir als Jobcenter zahlen nur die reinen Wohnkosten – die Abrechnungen müssten derart angepasst werden, dass wir diese an die Stadt erstatten können.“ Für unverhältnismäßig halte sie die Gebühren nicht. „Es geht lediglich um eine genaue Aufschlüsselung der Kosten“, so Würker.

Die Menschen verstehen schon nicht, was das Wort Nutzungsgebühren auf den Mahnbescheiden bedeutet
Gülistan Çaçan, Migrationsberaterin beim Vingster Treff

„Die Menschen verstehen schon nicht, was das Wort Nutzungsgebühren auf den Mahnbescheiden bedeutet“, sagt Gülistan Çaçan, Migrationsberaterin vom Vingster Treff. „Viele kommen erst zu uns, wenn sie einen Vollstreckungsbescheid erhalten.“ Çaçan bearbeitet Fälle, „in denen Menschen, die oft nur einen befristeten Arbeitsvertrag haben, 15.000, 20.000 oder 30.000 Euro nachzahlen sollen“. So sieht sich aktuell eine syrische Familie, deren Vater seit drei Jahren arbeitet und rund 2000 Euro verdient, mit einem Zwangsvollstreckungsbescheid in Höhe von 23.000 Euro konfrontiert.

Stadt Köln verweist auf Härtefallregelung: Nach Antrag können Gebühren gesenkt werden

Die Stadt Köln verweist auf eine so genannte Härtefallregelung: Betroffene können beantragen, dass die Mietkosten teilweise oder ganz übernommen werden. Rund 1100 Selbstzahlerinnen und Selbstzahler hätten bislang Härtefallanträge gestellt, von denen 98 Prozent bewilligt worden seien. Im Falle der syrischen Familie aber war der Antrag auf Senkung der Mietkosten zu spät gestellt worden. „Jetzt fühlt sich die Familie bestraft, weil der Vater arbeiten geht“, sagt Çaçan. „Das Verfahren ist einfach viel zu kompliziert – die Kosten fürs Wohnen müssten automatisch gesenkt werden.“

Die Verhältnismäßigkeit der Wohnkosten dürfe nicht erst nach einem Härtefallantrag festgestellt werden, sagt auch Sozialrechtlerin Frings. „Dies muss bereits in der Satzung berücksichtigt sein.“ Nach derzeitiger Ausgestaltung bedeute die Gebührensatzung „eine hohe Barriere beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie schafft Ängste und schreckt Menschen ab, Arbeit zu suchen“.

Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat kritisiert auch, wie die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner über ein Merkblatt über ihre Rechte informiert werden. Sie sollten sich so schnell wie möglich bei ihren Sozialarbeitern melden, steht dort. Der Betreuungsschlüssel betrage momentan 1:80 – viele Menschen wüssten gar nicht, welcher Sozialarbeiter für sie zuständig sei. „Das Merkblatt hinterlässt bei den meisten Menschen nur Fragen“, sagt Prölß. Menschen ohne Sprachkenntnis so auf einen finanziell notwendigen Antrag aufmerksam zu machen, sei „bestenfalls naiv“.

Der Schildbürgerstreich muss endlich beendet werden
Dorothee Frings, Sozialrechtlerin

Wie der Kölner Flüchtlingsrat und verschiedene Willkommensinitiativen fordert Sozialrechtlerin Dorothee Frings „den Schildbürgerstreich endlich zu beenden“. Die Gebührensatzung müsse nachträglich aufgehoben, sämtliche Altschulden müssten niedergeschlagen werden. Sollte das nicht geschehen, müssten Gerichte über die Rechtmäßigkeit der Gebührensatzung entscheiden – im für die Stadt schlechtesten Szenario müsste Köln viele Millionen Euro an Unterbringungskosten an den Bund zurückzahlen.

Die Stadt hat inzwischen erkannt, dass sie etwas ändern muss und angekündigt, die Gebührenordnung zum 1. Januar 2024 zu ändern. Die Härtefallregelung werde dann entfallen. Die Nutzungsgebühr soll die Mietobergrenze nicht mehr übersteigen und sei dann „auch mit einem normalen mittleren Erwerbseinkommen finanzierbar“.