Aus dem ArchivDrei Kölner mit Migrationshintergrund erzählen von ihren Erfahrungen
- Sie werden auffällig oft kontrolliert oder sogar tätlich attackiert: Nicht nur in den USA, auch in Deutschland gibt es ein Problem mit Rassismus.
- Wir haben bereits häufiger mit Kölnerinnen und Kölnern gesprochen, die uns erzählt haben, welche Formen der Diskriminierung sie im Alltag wegen ihrer dunkleren Hautfarbe oder schwarzen Haaren erleben.
- Dass sie in Köln geboren sind oder einen deutschen Pass haben, hilft auf der Straße gar nichts.
- Eine Geschichte aus unserem Archiv.
Köln – Beleidigungen, Angriffe, schiefe Blicke: Kölner mit Migrationshintergrund machen regelmäßig Erfahrungen mit Rassismus. Drei Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen.
Als Priyanka Singh (Name geändert) an einem Mittwochabend Mitte September die Zülpicher Straße entlangläuft, bemerkt sie aus dem Augenwinkel eine Frau, die sie beobachtet. Nur aus dem Augenwinkel, sie ist abgelenkt, mit Freunden ins Gespräch vertieft. Sie denkt sich nichts dabei. Die Frau kommt näher und die Freunde weichen früh aus, damit sie vorbeilaufen kann. Und dann, als die Frau mit Priyanka auf einer Höhe ist, stolpert sie und rammt ihr mit voller Wucht die Bierflasche in die Brust.
Die Jurastudentin braucht einen Moment, um die Situation zu verstehen: Dass die Frau die Flasche vor dem Sturz mit dem Hals nach vorne positioniert. Dass der Schmerz zu stark für ein Stolpern ist. Und dass der Blick, den sie ihr zuwirft, voller Hass ist. Priyanka dreht sich um. „Hey, warte, das hast du absichtlich gemacht!“, sagt sie.
Die Frau wird ausfallend. Sie beschimpft die 27-Jährige, erst nach und nach sickern die Worte zu ihr durch. „Verpiss dich, du hast hier eh nichts zu suchen“, zitiert Priyanka. „Du kannst die Flasche auch behalten. Die acht Cent hast du eh nötiger als ich.“ Außerdem solle sie sich die Flasche – sie bricht ab, der Rest der Beleidigung macht sich nicht gut auf Papier. „Für ein paar Stunden habe ich mich nicht mehr in Köln willkommen gefühlt“, sagt sie. Dann runzelt sie die Stirn. „Es ist komisch, das zu sagen. Ich bin hier ja nicht zu Gast.“
Priyankas Eltern stammen aus dem Süden Indiens, aus Kerala. Sie wird in Köln geboren, vor 27 Jahren, in der Uniklinik. Die Mutter Krankenschwester, der Vater Heilpraktiker, zwei ältere Brüder. Der eine wirft ihr oft vor, sie habe einen Akzent. Einen rheinischen wohlbemerkt. Wieso die Frau glaubt, Priyanka habe hier nichts verloren? Vermutlich hängt es mit ihrem Teint zusammen.
Dabei denkt Priyanka eigentlich, sie habe es leichter als ihre Brüder und ihr Vater. Die entsprächen mit „Bart und Wuschelkopf“ alle dem nordarabischen Klischee. Ihrem Vater habe ein Mann in einem Möbelhaus einmal in den Hintern getreten. Ein Skinhead im Bus nötigte ihn aufzustehen, um ihm zu zeigen „wo sein Platz“ sei. Und als der Vater in einem Pflegeheim arbeitete, weil sein Studium in Deutschland noch nicht anerkannt war, verweigerte sich ein Patient vehement der Behandlung. Priyankas Vater holte das Waschzeug und erledigte seine Arbeit trotzdem. Seine Tochter bewundert ihn für diese Besonnenheit.
Aber auch für sie ist das Aufeinandertreffen mit der Frau nicht die erste rassistische Erfahrung. „Das waren bislang allerdings nur dumme Kommentare“, sagt sie. Und lacht immer wieder, während sie die Zwischenfälle auflistet. Weil sie so absurd sind. Zum Beispiel, als der Alkoholiker am Ebertplatz ihr den Bierrest aus seiner Flasche hinterherschüttet. „Scheiß Pack, irgendetwas in die Richtung hat er gesagt. Ich und die ganzen Flüchtlinge hätten hier nichts verloren.“ Priyanka nimmt es gelassen: „Ich dachte mir: Wahrscheinlich bezahle ich bald mit meinen Steuern deinen Unterhalt. Aber das ist okay – dafür mag ich Deutschland. Hier gibt es ein soziales Netz.“
Es gibt einen bestimmten Grund dafür, dass ihr der Zwischenfall auf der Zülpicher Straße so viel nähergeht: Die Frau bedient keinen rassistischen Stereotyp. „Jung, dynamisch, relativ attraktiv“, beschreibt Priyanka sie. „Ich wurde rassistisch angegangen von jemandem, der aussieht, wie aus der Mitte der Gesellschaft.“ Mit der Frau hätte sie sich identifizieren können. Solche Leute, glaubt sie, haben das Potenzial zu sozialen Brandstiftern. „Du musst nur ein bisschen Hass säen - und schon hast du 20,8% in Mecklemburg-Vorpommern.“ Die Zahl hat sie im Kopf. So viele Stimmen hat die Alternative für Deutschland dort bei der letzten Landtagswahl erhalten.
Den Aufstieg der Partei hat Priyanka lange Zeit nur aus der Ferne beobachtet: Erst im Dezember 2015 kehrt sie nach eineinhalb Jahren Arbeit bei der UN in Nairobi nach Köln zurück. Sie merkt, dass sich das Klima in der Stadt verändert hat. Die dummen Sprüche seien mehr geworden.
Anzeige erstatten wird Priyanka nicht. Das Verfahren würde mit großer Wahrscheinlichkeit ohnehin eingestellt. Den Zuspruch, den sie braucht, erhält sie in diesen Tagen von ihren Freunden, von ihrer Familie. Spontane Umarmungen, viel Liebe. Es sei dieses soziale Netz, sagt sie, das sie davon abgehalten habe, zu tief zu fallen.
Priyanka hofft, dass die Stimmung in Köln nicht weiter kippt: Sie liebt die Stadt, die Veedel, die Tatsache, dass man hier für Toleranz und Multikulti bekannt ist. Eine indischstämmige Freundin sagte ihr nach Silvester, sie müssten sich wohl darauf einstellen, dass solche Zwischenfälle normal würden. „Aber ich möchte mich auf so etwas nicht einstellen!“, sagt sie nachdrücklich.
Nastaran Bagherian - Auffällig oft kontrolliert
Rückblickend, sagt Nastaran Bagherian, fällt es ihr schwer zu beurteilen, wie oft sie in ihrem Leben Rassismus erlebt hat. Sie weiß nicht, ob der Lehrer, der sie für einen schlechten Umgang hielt, diesen an ihrer Herkunft festmachte. Ob es rassistisch war, als die Kinder in der Schule „Nastaran aus Iran“ dichteten und sie mit ihrem Namen aufzogen. In ihrer Kindheit kennt sie die Problematik nicht. Erst heute, im Nachhinein, macht sie sich Gedanken darüber.
„Es gibt viel passiven Rassismus“, sagt Nastaran. „Etwas, das man nicht greifen kann. Das ist dann nicht unbedingt ein direkter Angriff – oft wird ein anderer Grund vorgeschoben.“
Solche Situationen sind grenzwertig, auf den ersten Blick schwer zu erkennen. Zum Beispiel dieser eine Zwischenfall in der Bahn: Nastaran befindet sich gerade auf dem Weg zu einem Job als Messehostess in Deutz. Sie steigt in die Straßenbahn, bemerkt, dass sie die Linie 16 anstelle der Linie 18 betreten hat und verlässt – unter den Blicken zweier Schaffner – das Abteil. Mit der Linie 18 ist sie gerade eine Station gefahren, als die beiden ebenfalls ins Abteil treten. „Sie stürmten auf mich zu“, erzählt die 31-Jährige. „Und brüllten mich an: Fahrkarte her!“ Nastaran zückt das Studententicket. Die Kontrolleure lassen von ihr ab – und wenden sich einem dunkelhäutigen Mann zu, der gerade aussteigen möchte. „Sie haben ihn festgehalten und angeschrien. Dann haben sie ihn hinausgezerrt – er hatte kein Ticket.“ Erst die Iranerin, dann der Dunkelhäutige. Zufall? Als Nastaran sich die Haare blond färbt, wird sie bei Kontrollen häufiger übergangen.
Ein anderes Mal befindet sie sich mit ihrer Schwester im Bus auf dem Weg ins Freibad. Ein Mann fährt sie an, sie solle Platz für eine alte Frau machen. Nastaran schaut sich um. Die Frau ist etwa Mitte vierzig. Der Bus halb leer. „Hier gibt es doch genug Platz“, sagt sie. „Warum stehst du nicht für die alte Frau auf?“, wiederholt der Mann. Nur, dass er dieses Mal noch ein „scheiß albanische Schlampe“ hinzufügt.
Nastaran wird wütend. Laut. Die übrigen Fahrgäste schweigen. Beim Aussteigen meldet sich der Mann wieder zu Wort: „Überall diese albanischen Huren“, schimpft er. Sinn macht es keinen: „Ich bin Iranerin“, sagt Nastaran. „Und ich sehe nicht aus wie eine Hure.“
Sie bewahrt sich ihr positives Weltbild. Auch wenn sie manchmal ein beklemmendes Gefühl befällt, wenn sie nach rechten Demonstrationen in der Stadt unterwegs ist: „Dann schaue ich mir die tollen Menschen an, die nicht so denken und handeln“, sagt Nastaran. Die seien um einiges wichtiger als irgendein Schaffner, Lehrer oder Demonstrant.
Eli Abeke - Blicke von oben herab
Eli Abeke kennt sie, die Sprüche auf der Straße. Die schiefen Blicke und das „geh-doch-dahin-zurück-wo-du-herkommst.“ Mit der Zeit, sagt er, entwickelt man einen Panzer dagegen.
Der Rassismus, den er in seinem Alltag erfährt, hebt sich aber oft von diesen plumpen Kommentaren ab. Er kommt höflich daher, versteckt, romantisiert. Ein Schriftsteller macht ihn neulich im Gespräch über die Flüchtlingskrise darauf aufmerksam, dass es in Deutschland Zeiten gegeben habe „in denen sich so etwas von selbst regelte.“ Was er damit meine, fragt Abeke. Hitler? Er erhält keine befriedigende Antwort.
Manchmal sind es auch nur Kleinigkeiten, Blicke von oben herab, gönnerhafte Kommentare. „Ich wusste gar nicht, dass es kluge Afrikaner gibt“, übersetzt Abeke sie für sich. In gebildeten Kreisen sind die Nuancen oft nur schwer zu fassen.
Doch der 59-Jährige kennt sich aus. Er zieht in den 80er Jahren von Nigeria nach Deutschland, um zu studieren. Neben seiner Arbeit als Architekt leitet er mit einem Freund die Firma „coafri consulting“. Sie leisten Sozialarbeit, unterstützen Afrikaner zum Beispiel im Umgang mit den Ämtern. Seit 2014 sitzt er außerdem für das „Bündnis 14 Afrika“ im Integrationsrat der Stadt Köln.
Er weiß, dass es oft zu Missverständnissen kommt, wenn verschiedene Kulturen aufeinanderprallen. Dass die bio-deutsche Erzieherin schockiert reagiert, wenn aus der Frühstücksdose eines ihrer Schützlinge plötzlich ein Fischkopf guckt, weil in afrikanischen Ländern schon morgens gekocht wird. Dass solch ein vermeintlich komischer Vorfall hohe Wellen schlagen kann – bis zum Anzweifeln der Erziehungsmethoden.
„Beide Seiten sind oft nicht gut informiert“, sagt der 59-Jährige. „Und wenn sie sich nicht mit dem Fremden auseinandersetzen wollen, entstehen negative Bilder im Kopf. Das führt zu Anfeindungen.“ Missverständnisse, Anfeindungen, Rassismus. Der Weg ist nicht weit.
Gerade bei Ämtern und Behörden kommt es immer wieder zu Problemen. Oft gebe es dort kein Verständnis für andere Kulturen, sagt Abeke. Bei „coafri consulting“ geben sie zum daher auch Trainings für den interkulturellen Umgang – unter anderem der Polizei und Jugendämtern.
Etwa zwei- bis dreimal die Woche treten Menschen an Abeke heran, weil sie Rassismus erlebt haben. Im Verlauf der Flüchtlingskrise, sagt er, habe sich die Stimmung in der Stadt deutlich verschlechtert. Auf der Straße spielt es keine Rolle, wie lange der Betroffene in Deutschland lebt, wie gut er sich integriert: „Afrikaner fallen wegen ihrer Hautfarbe sofort auf“, sagt er. „Das ist wie eine Zielscheibe.“
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Der Artikel ist im Oktober 2016 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen.