Ehrenfelder Band startet durchNeufundland ist mit politischem Pop erfolgreich
Köln – Wer an deutschsprachigen Pop denkt, denkt an Musik von Andreas Bourani, Tim Bendzko und Max Giesinger – an sanfte Stimmen, eingängige Melodien, griffige Texte, die niemandem wehtun. Schlichtweg blutarm, kitschig und inhaltsleer, urteilt so mancher Kritiker – und niemals würde die Kölner Band Neufundland da widersprechen wollen.
Trotzdem bezeichnet sie ihre Musik ebenfalls selbstbewusst als deutschen Pop. Widersprüchlich ist das deshalb nicht, weil ihr Verständnis von Populärmusik ein anderes ist als das ihrer Kollegen aus den Charts – die Band verkauft das selbst gar als eine „Annexion“ des Deutschpops.
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Ein heller Backstage-Raum gleich gegenüber dem Club Bahnhof Ehrenfeld, zehn Minuten nach dem Soundcheck. Auf einem Sofa neben dem Fenster sitzen Fabian und Fabian. Der eine fährt sich durch die Haare, der andere nippt an einer Flasche Cola und zupft dabei seinen Rollkragenpullover zurecht. Die beiden sind Sänger, Texter und Gitarristen von Neufundland – und wie ihre Bandkollegen Robin und Matthias auch nach mehr als 70 Auftritten pro Jahr vor jedem einzelnen noch aufgeregt.
Erst recht vor ihrem bevorstehenden Gig in Ehrenfeld – noch drei Stunden, bis die fünf Jungs auf der Bühne stehen werden. „Im Vergleich zu den anderen Auftritten in Deutschland kennen wir von den Zuschauern die meisten. Das ist ein zusätzlicher Druck“, sagt Fabian Langer. „Wir sehen uns als Kölner Band, sind hier in Ehrenfeld zu Hause.“
Verwurzelt in Ehrenfeld
Und die Gruppe ist verwurzelt hier, war kürzlich erst Vorband für die bekannte Deutschpopgruppe OK Kid aus Köln, und plant jetzt eine Zusammenarbeit mit der noch bekannteren Kölner Popband AnnenMayKantereit. Dabei kann Neufundland nur schwerlich kaschieren, dass ihr Sound kein typisch kölscher ist: Spröde, nachdenklich, kalt und sperrig – eigentlich die Vertonung nordischen Charakters.Der Bandname als passende Inhaltsangabe? Vielleicht, meint die Gruppe. Denn die musikalische Nähe zum Norden ist gewollt. Drei der Bandmitglieder kommen aus Oldenburg, die Sänger lernten sich kennen auf einem Konzert in der tiefen ostdeutschen Provinz, ließen sich inspirieren von norddeutschen Rock-Pop-Bands wie Tocotronic.
Zwischen Optimismus und Pessimissmus
Aber eigentlich hat Neufundland etwas von „Neu finden“, erklärt Fabian Mohn – und das passt doch zu einer Band, die von sich behauptet, niemals fertig zu sein. Zumindest heißt so das Debütalbum, das im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. „Wir werden niemals fertig sein“ ist kapitalismuskritisch, zeigt gesellschaftliche Imperative auf, will sich mit zwischenmenschlichen und politisch-geografischen Grenzen nicht zufriedengeben, ist dabei immer hin- und hergerissen zwischen Optimismus und Pessimismus.
„Wer ein Monopolybrett besitzt, weiß, dass man nur gewinnen kann, wenn alle anderen verlieren“, singt Langer schon auf der ersten EP der Band, die 2015 kurz nach der Gründung erschien, mit rauer, kantiger Stimme. Und auf der aktuellen Platte zeigt sich Mohn in „Oasen aus Beton“ gespalten zwischen der Liebe zur Großstadt und dem Duktus ihrer Zwänge – in seiner Stimmfarbe musikalisch angepasster und melodischer als Langer.
Angriff von Rechtsradikalen
Diese Ambivalenz und Konterparts in Ton und Text sind das schärfste Schwert der Band, die sich nur schwer in eine Schublade stecken lässt: Melancholie trifft Alltag, kantige Rockriffs treffen sanfte Klaviermelodien, Fabian trifft Fabian, Indie und Synth treffen Pop. Wer Neufundland da nur als bloßen „Indie-Pop“ abstempelt, macht es sich zu einfach – und doch fühlt sich die Band mit dem Label gar nicht unwohl, sieht sie sich doch als dringend notwendige Aktivisten in der eigenen Szene. „Wir wollen der Übernahme des Pops durch den Schlager entgegentreten, also den Begriff »Pop« wieder annektieren“, sagt Langer. „Dabei ist das Bestechende eigentlich nicht, dass wir politisch sind, sondern dass die anderen das eben alle nicht mehr sind. So politisch sind wir also gar nicht.“ Da ist sie wieder, die Ambivalenz.
Die Musiker von Neufundland spielen mit ihr – und bleiben dabei ganz gelassen. Und das, obwohl Rechtsradikale die Jungs in Berlin beim jüngsten Dreh für das neue Musikvideo angriffen. Obwohl inzwischen alle fünf Bandmitglieder ihre Jobs oder das Studium für die Musik an den Nagel gehängt haben, obwohl die Einnahmen aus Fanshop, Plattenverkäufen und Auftritten kaum zur Finanzierung reichen. Doch Neufundland ist zunehmend gefragt, die Entscheidung für die Musik also eigentlich schon gefallen.