„Waffe an den Nacken“Als Renate Lindenberg in Köln vor Schreck das Herz stehen blieb
- Renate Lindenberg war im siebten Monat schwanger und arbeitete als Kassiererin bei der Kreissparkasse in Rath-Heumar, als diese 1966 von zwei bewaffneten Männern überfallen wurde.
- Sicherheitsvorkehrungen in Bankfilialen sind mittlerweile so hoch wie nie, Banküberfälle sind längst kein Massendelikt mehr – denn Profis und Banden scheuen das zu hohe Risiko.
- Doch als Lindenberg damals an der Kasse stand, war das alles anders. Keine Videoüberwachung, nicht einmal schusssicheres Glas. Wir haben mit der heute 85-Jährigen über den Überfall gesprochen.
Köln – Der kurze Moment, in dem Renate Lindenberg zum ersten und bisher letzten Mal in ihrem Leben in den Lauf einer Pistole geblickt hat, ist fast 56 Jahre her. Aber bis heute erinnert sich die 85 Jahre alte Kölnerin lebhaft an jenen Morgen des 26. Oktober 1966, kurz nach neun Uhr.
Lindenberg war im siebten Monat schwanger, sie arbeitete als Kassiererin bei der Kreissparkasse in Rath-Heumar und stand hinter dem Tresen, als an jenem Mittwoch zwei Männer unmaskiert in die Schalterhalle stürmten und mit Pistolen auf die Angestellten zielten. „Einer hielt unserem Azubi die Waffe an den Nacken. Mir ist vor Schreck das Herz stehen geblieben“, erzählt Lindenberg in ihrem Wohnzimmer in Braunsfeld.
Köln: Banküberfall war 1966 ein Massendelikt
Banküberfall war damals ein Massendelikt – fast 1000 Taten zählte die Polizei 1966 in Deutschland, nur jede dritte wurde aufgeklärt. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 gab es bundesweit gerade noch 80 Überfälle auf Banken und Sparkassen, in Köln genau einen – den auf die Kreissparkasse am Neumarkt im Juli. Bundesweit wurden neun von zehn Tätern im Vorjahr gefasst. Der klassische Banküberfall, so scheint es, lohnt sich heute nicht mehr. „Viele, die das noch tun, sind arme Würstchen“, brachte es mal ein Kölner Kriminalpolizist auf den Punkt. Verzweifelte Einzeltäter meistens, viele drogenabhängig, sie brauchen das schnelle Geld.
Profis und Banden dagegen scheuen das hohe Risiko. Denn die Sicherheitsvorkehrungen in den Filialen sind hoch wie nie, die Videoüberwachung wird technisch immer besser, und die großen Geldvorräte im Tresorraum sind längst mit Zeitschlössern gesichert.
Als Renate Lindenberg noch an der Kasse stand, war das alles anders. Videoüberwachung gab es 1966 noch nicht, nicht einmal schusssicheres Glas in der Schalterhalle – Angestellte und Kunden standen sich ohne Trennscheibe am Tresen gegenüber. Es war die Zeit, als die Kassierer den Tresorschlüssel nach Feierabend noch mit nach Hause nahmen, erzählt Lindenberg. „Einmal hatte ich den Schlüssel bei Freunden in Bonn liegen lassen und musste abends noch mal zurück, um den zu holen.“ So viel zu den Sicherheitsvorkehrungen. „Und überhaupt“, sagt Lindenberg und lacht. Sie kramt ein Foto von damals heraus, das sie bei der Arbeit zeigt: „Das ganze Mobiliar in der Bank sieht doch aus, als hätte es irgendjemand selbst zusammengezimmert.“
Köln: Räuber von 1966 wurden nie gefasst
Liest man die alten Zeitungsberichte vom Tag nach dem Überfall, erscheinen die beiden Räuber allerdings nicht wie arme Würstchen, eher wie Gentleman. „Einer trug einen korrekten, dunklen Anzug. Beide wollten zu so früher Stunde unfeine Bankgeschäfte abwickeln und hatten sich zu diesem Zweck mit je einer Pistole und einer schwarzen Aktentasche ausgerüstet“, heißt es im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 27. Oktober 1966. Und weiter: „Nachdem auf ihre Bitte, die Hände hochzunehmen, das Personal kampfunfähig gemacht worden war, sprang einer der beiden über die Theke, raffte alles erreichbare Geld zusammen und ließ auch das Kleingeld in die Tasche klimpern.“ Fast gerät der Reporter ins Schwärmen: „Um ihre Spuren gründlich zu verwischen, tauschten sie nach moderner Gangstermanier einige Straßenecken weiter das Fluchtauto.“ Offenbar erfolgreich, denn die Täter wurden nie gefasst. Sie entkamen mit 5402 D-Mark und 50 Pfennig.
Während der „Stadt-Anzeiger“ berichtet, dass Lindenbergs Kollegin seinerzeit unbemerkt den Alarmknopf unter dem Tresen drückte und die Polizei kurze Zeit später eintraf, heißt es in einer anderen Zeitung, ein Missverständnis hätte den Tätern „wertvolle Minuten Vorsprung“ verschafft. Denn ein Polizist habe sich am Notruf verhört: Statt „Heumar“ habe er „Neumarkt“ verstanden, weshalb die Streifenwagen zuerst zur Kreissparkasse am Neumarkt gefahren seien. Renate Lindenberg erinnert sich ebenfalls daran, dass ihre Kollegin den stillen Alarm per Knopfdruck ausgelöst hatte.
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Vorstand spendiert 50 D-Mark als Hilfe zur Wiedergutmachung
Am Tag darauf erhielt das Personal der Zweigstelle in Rath-Heumar einen Brief vom Sparkassenvorstand: Man bedankte sich darin für das „besonnene und disziplinierte Verhalten beim Überfall“ und überwies jedem und jeder Betroffenen 50 D-Mark – um „die Aufregungen des Tages schneller zu überwinden“. Was sie mit dem Geld gemacht habe, wisse sie nicht mehr, sagt Renate Lindenberg. Nach dem Überfall ging sie direkt in Mutterschutz. Später kehrte sie noch für einige Monate in die Filiale nach Rath-Heumar zurück, wechselte dann nach Overath, kündigte und blieb dann bis zur Rente Kassiererin bei C&A.
Der Überfall habe nie Spuren bei ihr hinterlassen, beteuert die 85-Jährige. „Ich weiß nicht, ich bin da irgendwie nicht so sensibel.“ Geprägt hätten sie ihre Jobs an den Kassen allerdings schon, sagt sie. Bis heute zahle sie nicht mit EC-Karte, Online-Banking sei auch nichts für sie. „Ich mache alles in bar“, sagt Renate Lindenberg, „ich brauche immer etwas zwischen den Fingern beim Bezahlen.“