BildungKölner will Grundschüler mit Mini-Computer auf digitale Welt vorbereiten
Für die einen ist Stephan Noller Internetpionier, erfolgreicher Unternehmer und Berater auf internationalem Parkett, für seine Töchter ist er schlicht der „Elektropapa“, der in einem mehr oder wenig aufgeräumten Keller in Sülz bastelt, lötet und an irgendwas rumfrickelt. Noller ist auch der Erfinder von „Calliope mini“.
In der griechischen Sagenwelt war Calliope die Tochter des Zeus und die Muse der Wissenschaft. Bei Noller ist sie ein kleines, wenige Zentimeter großes Sechseck mit 25 roten Lämpchen, ein paar Schaltern, Sensoren und Modulen.
Alternative zum Tablet-PC
Der Einfachheit halber wird das Ding als „Mini-Computer“ vorgestellt, richtiger wäre, „Calliope“ als Mikro-Controller zu bezeichnen, sagt Noller. Aber das soll keine große Rolle spielen, wenn die Erfindung des „Elektropapas“ seinen Siegeszug antritt. „Calliope mini“ soll nicht weniger als alle deutschen Grundschüler auf die digitalisierte Welt vorbereiten.
Eines der besten Argumente für das Techniksechseck ist sein Preis: Rund 15 Euro kostet die Alternative zum Tablet-PC, auf den viele bislang setzten. Noller hat nichts gegen iPad und Co, „aber man müsste sie auseinander bauen dürfen, damit man sieht, wie sie funktionieren“.
Als Einstieg ideal
Seine Erfindung werde den Computer nicht ersetzen, aber sie ist für den Einstieg das ideale Instrument, weil es neugierig macht und Verständnis für die digitale Technik fördert. „Die Kinder sollen nicht über die Technik staunen, sondern verstehen, dass sie so banal ist wie Schere und Papier.“
Beim nationalen IT-Gipfel der Bundesregierung im vergangenen November faszinierte der Controller mit blinkenden Lämpchen nicht nur die Fachwelt. Auch das halbe Bundeskabinett unter der Führung von Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel, bei dem Noller auch im Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“ sitzt, ließ sich mit kleinen Experimenten mit der Bastelplatine begeistern.
Digitale Technik wird handfest
Beim IT-Gipfel war „Calliope“ mit einer Pflanze verbunden, um den Wasserstand zu messen und anzuzeigen, wann wieder gegossen werden muss – eines von vielen kleinen Experimenten, die nun schon in der Grundschule möglich sind.
Das Mysterium digitaler Technik wird ganz handfest, verständlich und für den Alltag nutzbar – nicht, weil man auf irgendeinen Knopf drückt oder über einen Bildschirm wischt, sondern weil Kinder einen Computer selbst programmiert haben.
Die Geschichte von „Calliope“ beginnt in der Gemeinschaftsgrundschule Mommsenstraße in Sülz, in die eine von Nollers Töchtern geht. Im Schulalltag spiele das Qualifizierung für die digitale Welt überhaupt keine Rolle, sagt der 46-Jährige. „In der Schule wird kein Interesse geweckt, dabei wäre das doch so dringend nötig.“
Radikalen Veränderungen entgegentreten
Die Berufswelt verändere sich radikal, zudem werde der Fachkräftemangel immer größer. Deshalb müssten schon Grundschulen Technikunterricht bieten, findet Noller. Nicht als eigenes, langweiliges Fach, sondern als integraler Bestandteil aller Fächer. Dazu wurde „Calliope“ erfunden. Es gibt vorprogrammierte Funktionen für den Einstieg. Fortgeschrittene können das Gerät dann für neue Einsatzgebiete programmieren. Dazu muss es dann an einen Computer angeschlossen werden.
„Calliope“ kann Schrittzähler im Sport, Messgerät bei Bio-Experimenten, Teil eines Kunstprojekts und Zufallsgenerator oder Rechentrainer im Matheunterricht sein. Erfahrene Nutzer programmieren über so genannte Editoren im Internet eigene kleine Projekte, die dann auf „Calliope“ überspielt werden können. Mit leitendem Klebeband werden Schaltkreise gebaut und die Steuerung zum Beispiel von Robotern vorbereitet. „Die Kinder sind wahnsinnig offen, wenn man es spielerisch macht“, sagt Noller.
In der Schule seiner Tochter ist „Calliope“ mittlerweile eingeführt. „Die Kinder haben Spaß damit“, sagt Schulleiter Bernd Poloczek. Die Sülzer Grundschule ist zum Teil eines Netzwerks für ein großes Projekt geworden. Polocezek arbeitet an der Konzeption eines Schulbuchs mit, das bundesweit die Einführung von „Calliope“ begleiten soll. „Der Einstieg ist leicht – nicht nur für die Schüler, auch für die Lehrer.“ Selbst programmieren zu können, sei eine „wichtige Schlüsselqualifikation“ – und damit Aufgabe für die schulische Bildung.
„Calliope“ – Bund und Sponsoren unterstützen das Non-Profit-Unternehmen
Hinter „Calliope“ steht eine gemeinnützige GmbH, die vom Bundesministerium für Wirtschaft gefördert wird. Erfinder Stephan Noller hat fünf Partner als Gesellschafter des Non-Profit-Unternehmens ins Boot geholt. Zudem haben sich einige Sponsoren mit Geld und anderen Leistungen eingebracht.
Einnahmen aus dem kommerziellen Verkauf fließen zurück ins Projekt, damit immer mehr Geräte und Materialen kostengünstig erstellt werden können. Im Laufe der Zeit könnten auch die Anwendungsmöglichkeiten des Boards immer weiter anwachsen. Bald wird ein funktionsfähiges Mikrofon dazu gehören. Zusammen mit einem Schulbuchverlag wird ein Buch für die Anwendung in den Grundschulen entwickelt. Für Experimente und Projekte zu Hause wird zudem ein „Bastelbuch“ für Eltern und Kinder auf den Markt kommen.
In einigen Bundesländern wird der „Calliope mini“ schon bald flächendeckend zum Unterrichtsalltag gehören. Das Saarland und Bremen machen in den nächsten Wochen den Anfang. Niedersachsen und Berlin haben angekündigt, bald nachzuziehen. In NRW gibt es bislang nur zaghafte Signale.
„Bei Bildungsministerin Löhrmann knistert es noch nicht“, sagt die Kölner SPD-Landtagsabgeordnete Lisa Steinmann, die für den Erfinder in ihrem Wahlkreis die Werbetrommel rührt. Immerhin hat sie rund 40 Fraktionskollegen dazu gebracht, die Kosten für einzelne Klassensätze zu übernehmen, sodass nun an mehreren Schulen in NRW Erfahrungen gesammelt werden können. Wollte man jedem Drittklässler in NRW ein Gerät geben, bräuchte man rund 150000 stück. Die Kosten lägen landesweit bei zwei Millionen Euro. In Köln gibt es rund 9000 Drittklässler. Eine flächendeckende Versorgung wäre somit für rund 135000 Euro zu haben.