Bombenattentat auf Adolf HitlerStauffenberg-Tochter besucht Kölner Schulklasse
Köln – „Ich fand’s cool von ihm, dass er sich für den Frieden von Deutschland eingesetzt hat“, sagt die zwölfjährige Elena Witte auf die Frage von Religionslehrerin Judith Föcker, was ihr zu ihrem Uropa einfalle. Die Schüler in der Bücherei des Irmgardis-Gymnasiums kichern. Elenas Uropa ist Claus Schenk Graf von Stauffenberg – sein Bombenattentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 steht wie kein zweites Ereignis für den Widerstand gegen das NS-Regime im Zweiten Weltkrieg. Cool, klar, irgendwie verdammt cool.
Dass jetzt die jüngste Tochter von Stauffenbergs – die 70-jährige Konstanze von Schulthess – vor den Jugendlichen sitzt, ist gleichermaßen dem Zufall wie dem Schicksal zu verdanken. Als es im Religionsunterricht der siebten Klasse um „Propheten und Vorbilder“ ging, sagte Elena beiläufig, sie würde etwas über Graf von Stauffenberg machen; auf die verdutzte Warum-Frage der Lehrerin antwortete sie: „Das ist mein Uropa.“ Also lud die Klasse Schulthess ein, die 2008 ein Buch über ihre Mutter Nina Gräfin Schenk von Stauffenberg geschrieben hat.
Warum es auch glückliches Schicksal ist, dass Schulthess, ihre Tochter Valerie Witte und Enkelin Elena mit ihren Klassenkameraden am Dienstag in der Schulbücherei sitzen, erzählt die Tochter des Hitler-Attentäters in unaufgeregtem Tonfall. Nina Stauffenberg war im dritten Monat schwanger, als das lange geplante Attentat im Führerhauptquartier Wolfsschanze misslang. Der Attentäter hatte seiner Frau für den Fall, dass der Staatsstreich scheitert, eingebläut, „sich als dummes, unwissendes Mütterchen“ darzustellen. „Vermutlich hat uns das im Nachhinein gerettet“, sagt Schulthess.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurde am Tag nach dem Anschlag standrechtlich erschossen. Nicht vollzogen wurde indes die Racheankündigung von Heinrich Himmler, Reichsführer der SS: „Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied.“ Am Rande der Lesung zeigt Schulthess ein Bild aus dem Buch, das die riesige Sippe beim Familientreffen anlässlich des 90. Geburtstags der 2006 verstorbenen Mutter zeigt. Eine stolze Witwe im Kreise von 40 Nachkommen. „Das war ein wunderbares Ätsch-Gefühl“, hat Konstanze von Schulthess mal dem „Spiegel“ gesagt. „Inzwischen gibt es 26 Urenkel, das ist toll“, sagt sie jetzt. „Die Familientreffen sind cool. Da gibt es viele, die ungefähr so alt sind wie ich“, sagt Elena. Der Uropa sei klar „ein Vorbild“ für sie.
Nach dem Attentat kam die Familie in Sippenhaft, wie Schulthess vorliest; Nina Stauffenberg wurde am 23. Juli 1944 verhaftet. Sie wurde im Berliner Gefängnis am Alexanderplatz inhaftiert, bevor sie ins KZ Ravensbrück kam. Kurz vor der Entbindung wurde sie aus dem KZ entlassen – über abenteuerliche Wege gelangte sie in ein Krankenhaus in Frankfurt (Oder). Dort kam am 27. Januar 1945 – dem Tag der Befreiung von Auschwitz – Konstanze zur Welt.
Bis zum letzten Satz der Lesung kein Mucks. Zögerlich kommen die Fragen. Waren Sie neugierig auf Ihren Vater? „Ja schon. Aber weil ich ihn nicht gekannt habe, habe ich ihn auch nie richtig vermisst.“ Wieso haben Sie das Buch über Ihre Mutter geschrieben? „Ein Verlag hat mich nach einem Interview gefragt. Als ich mich dafür entschieden habe, wollte ich das Bild der Frauen des Widerstands zurechtrücken. Auch meine Mutter ist oft falsch dargestellt worden. Sie war ja nicht das dumme Mütterchen, sie war früh in die Pläne ihres Mannes eingeweiht.“ Sind Sie stolz auf Ihren Vater? „Sehr schwierige Frage. Stolz bin ich nur auf Dinge, die ich selbst gemacht habe. Ich kann ja nichts dafür, dass er mein Vater ist. So wie die Kinder von Nazis nichts dafür können, Kinder von Nazis zu sein. Ich bewundere ihn aber sehr.“ So geht es Enkelin Elena auch.
Die Größe der moralischen Geste überstrahlt die Schattenseiten von Stauffenbergs Biografie. Unstrittig ist, dass er Antidemokrat und überzeugter Nationalist war, der lange mit den Nationalsozialisten sympathisierte. Wie lange, ist strittig. Schulthess erzählt, dass ihre Mutter schon sehr früh, womöglich 1939, von den Umsturzplänen ihres Mannes geahnt und deswegen gefragt habe: „Spielst du Verschwörerles?“ Unterlagen ihres Vaters, in denen er früh über seine Abkehr vom NS-Regime geschrieben haben soll, habe eine Kusine vernichtet, um die Familie nach dem Attentat nicht zu gefährden. Verbürgt ist, dass der Vater von fünf Kindern im Herbst 1943 Kontakt zu Hitler-Gegnern suchte. Dass viele Historiker schreiben, ihr Vater habe Hitler bis dahin die Treue gehalten, hält Konstanze von Schulthess für „lächerlich“.
Historisch entscheidend ist das Attentat an sich, das heute die „sichtbare Tat“ genannt wird. Wäre es gelungen, hätte Elenas Uropa die Deutschen vom schlimmsten Mörder ihrer Geschichte befreit und womöglich Millionen Menschenleben gerettet. Es ist misslungen. Trotzdem war Stauffenbergs Tat, wie Elena sagt: cool.