Helmut Frangenberg sammelt in seinem neuen Buch Kriminalfälle von 1944 bis 1949. Sie erzählen von einem Köln ohne Recht und Gesetz.
BuchtippTrue Crime in den Trümmern Kölns
Köln im Jahr 1944: Die Stadt liegt in Trümmern, einen funktionierenden Staat gibt es nicht. Von den einst 800.000 Einwohnern sind nur noch 40.000 übrig. Sie kämpfen allein ums Überleben, während Gewalt und Verbrechen in der Luft liegen.
Helmut Frangenberg, Autor und Redakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, hat in seinem neuen Buch „Köln in Trümmern. True Crime 1944 bis 1949“ eine Auswahl realer Kriminalfälle zusammengetragen. In 14 Geschichten erzählt er von einer Zeit rund um das Kriegsende, in der das Recht des Stärkeren herrschte.
Frangenberg: „Moral musste neu verhandelt werden“
Die Menschen hatten Jahre des Hungers, Krieges und der Nazidiktatur hinter sich und waren zu vielem bereit. Die Militärbehörden zeigten wenig Interesse an Straftaten unter Deutschen. „Kategorien wie Schuld und Sühne verschieben sich in dieser Zeit“, erklärt Frangenberg. „Moral musste neu verhandelt werden.“
Um das Leben in der zerbombten Stadt fassen zu können, geht der Autor, der für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Podcast „True Crime Köln“ produziert, persönlichen Schicksalen auf den Grund. Dafür durchforstete er Bibliotheken, Archive und alte Polizeiakte – beziehungsweise das, was von ihnen übriggeblieben ist. Viele Dokumente sind nach dem Krieg verschwunden, und nur noch wenige Gerichtsprotokolle existieren noch aus dieser Zeit.
Zu den meisten Berichten, die er fand, muss Frangenberg kaum etwas hinzufügen. Sie erzählen bereits genug über die Umstände in Köln, von den letzten Kriegswochen bis zur Gründung der Bundesrepublik. In anderen Fällen reichert er die Berichte mit fiktiven Details an, sodass sie sich wie ein Kriminalroman lesen: Wie genau könnte die Tatnacht abgelaufen sein? Was sind die Motive? Welche Gespräche, welche Streitigkeiten hat es wohl gegeben, bis es zum Mord kam?
Vergessene Opfer: Frauen in den Kölner Trümmern
Die Tatorte der historischen Kriminalfälle befinden sich mitten in Köln. Wo heute das rege Leben herrscht, befand sich damals eine Geisterstadt. Eine Frau muss sich zum Beispiel in den verlassenen Häusern zwischen Körnerstraße, Glasstraße und Venloer Straße gegen drei Männer zur Wehr setzen.
Während die Amerikaner Köln einnehmen, erschießt sie ihren gewalttätigen Mann. Ist es Notwehr? Nicht für die Männer im Militärgericht. Sie entscheiden auf fünfeinhalb Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte.
Der nette Umgang mit NS-Gauleiter Josef Grohé
Besonders irritierend ist der Fall des NS-Gauleiters Josef Grohé. In der neuen Bundesrepublik lebte er unbehelligt in einer Doppelhaushälfte in Köln-Brück. Als ihn der Sänger und Karnevalist Ludwig Sebus nach seiner Rückkehr aus mehreren Jahren Kriegsgefangenschaft im Brauhaus Sion erkannte, konnte er kaum fassen, wie selbstverständlich der NS-Verbrecher dort sein Kölsch trank. Den Rest der Kölner Stadtgesellschaft schien das nicht zu stören – im Gegenteil, sie schützte Grohé sogar vor Gericht.
Auch dank der verfolgten Juristin Elsbeth von Ameln ist Wissen zu Nachkriegs-Kriminalprozessen erhalten geblieben. Frangenberg greift einen ihrer absurdesten Fälle auf: Vor dem Gericht verteidigte sie einen vom nationalsozialistischen Regime unterdrückten Schlosser, der aus sexueller Erregung Schlösser knackt – ein banales Delikt, das die NS-Verbrechen umso größer wirken lässt.
Verbrechen der Nazis überschatten jeden True-Crime-Fall
Frangenbergs Buch enthält diese Elemente, trotzdem verweisen die Kriminalfälle auf größere Zusammenhänge: Gab es wirklich eine Stunde Null? Was passiert, wenn aus Opfern Täter werden? Wie ging Köln mit der eigenen Geschichte, mit der eigenen Schuld um?
Wie weit Frangenberg das Genre des True Crime ausweitet, zeigt der letzte Fall: Er begibt sich auf Spurensuche in der eigenen Familie. Dabei verfolgt er die Geschichte seines Onkels, der in den letzten Kriegswochen an der Westfront fiel. Ein Verlust, der die Familie bis heute prägt.
Helmut Frangenbergs „Köln in Trümmern. True Crime 1944 bis 1949“ ist als Taschenbuch für 18 Euro im Buchhandel oder über den Online Shop des Greven-Verlags erhältlich.