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Heute vor 54 JahrenAmokläufer tötet in Köln zehn Menschen mit Flammenwerfer

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Fünf Jahre nach der Tat wurde an den Gräbern der getöteten Kinder ein Denkmal aufgestellt, eine Säule mit züngelnden Flammen.

KölnVor 54 Jahren tötete ein Amokläufer acht Schüler und zwei Lehrerinnen in der katholischen Volksschule Volkhoven mit einem Flammenwerfer. Die Überlebenden sind noch heute gezeichnet. Unter dem Titel „Das Herz der Stadt stand still“ haben wir vor vier Jahren folgende Geschichte veröffentlicht:

Der 11. Juni 1964 war ein heißer Tag. Auf dem Schulhof der katholischen Volksschule Volkhoven hatten an diesem Morgen die Mädchen zweier vierter Klassen Turnunterricht. „Vor unserem Klassenraum war ein Sprungkasten aufgebaut, rundherum lagen Matten,“ erinnert sich Barbara Peter, eines der Mädchen. Es war kurz nach 9 Uhr, als der 42-jährige Frührentner Walter Seifert das Schulgelände am Volkhovener Weg 211 betrat. Turnlehrerin Anna Langohr glaubte, Seifert wolle etwas reparieren, da er einen Arbeitsanzug trug und verschiedene Gerätschaften bei sich hatte; auf dem Rücken trug er scheinbar ein Schweißgerät – wie die Lehrerin (die 1990 starb) glaubte. Langohr ging dem Mann, dem sie 30 Jahre zuvor unterrichtet hatte, freundlich entgegen.

„Mit klein brennender Flamme ging Seifert auf die Kinder zu, die im hinteren Teil des Schulhofs Turnen hatten. Dort angekommen, vergrößerte er die Flamme auf etwa sechs Meter Länge und richtete den Flammenstrahl auf Kinder und Lehrerin. Es entstand Panik.“ Was im Schlussbericht der Kölner Polizei mit nüchternen Worten geschildert ist, war der Auftakt zu einem beispiellosem Amoklauf, dem acht Schülerinnen und Schüler sowie zwei Lehrerinnen zum Opfer fielen. Seifert, der offensichtlich geistesgestörte Täter, hatte ein Pflanzensprühgerät zu einem Flammenwerfer umgebaut, der Behälter auf seinem Rücken war mit brennbarer Flüssigkeit gefüllt, zudem führte Seifert eine selbstgefertigte Lanze mit sich.

Feuer, Schmerz, Flucht, Panik, Chaos

Barbara Peter, damals neun Jahre alt, beschreibt den grauenvollsten Moment ihres Lebens so: „Das nächste, an das ich mich erinnern kann, war: Feuer, Schmerz, Flucht, Panik und Chaos.“ Die Kinder, viele von ihnen lichterloh brennend, rannten schreiend über den Schulhof, einige retteten sich in die Toilette, ließen sich Wasser über Kopf und Rücken laufen.

Seifert hatte inzwischen die Fensterscheiben der nächsten Baracke eingeschlagen. Dort wurde Religion unterrichtet, zu den Schülern gehörte Bruno Kassel: „Unsere Lehrerin, Frau Willms, hatte ein Kirchenlied an die Tafel geschrieben – »Wem Gott will rechte Gunst erweisen...« Dann hörten wir einen Knall, und durch ein Loch in der Scheibe schoss eine Stichflamme herein, die bis ans andere Ende der Klasse reichte. Es brannte überall, die Kleidung einiger Kinder hatten Feuer gefangen, panisch stürzten wir aus dem Gebäude.“ Auf der Treppe vor der Baracke stürzte Kassel – direkt vor die Füße des Amokläufers.

„Er hat den Flammenstrahl direkt auf mich gerichtet – ich merkte, wie mein ganzer Körper heiß wurde, wie er brannte.“ Weil Seifert seelenruhig ins Gebäude ging, konnte sich Kassel hochrappeln, er sah, wie andere Kinder – „als lebende Fackeln“ – zum Schultor rannten. „Ich wusste nicht, dass auch ich eine Fackel war“, sagt er heute. Er schaffte es auf die Straße, wo gerade Müllmänner die Tonnen lehrten. „Die haben mir und anderen Kindern das Leben gerettet, sie haben uns mit Decken gelöscht.“

Seifert war an der zweiten Baracke vorbeigegangen, wo die Fenster geöffnet waren; er hatte auch diesen voll besetzten Klassenraum in Flammen gesetzt – mit den verheerenden gleichen Folgen.„Nachdem die Flamme ausgegangen war, warf Seifert den Flammenwerfer mit Behälter in der Mitte des Schulhofes zu Boden“, ist im Polizeibericht zu lesen, „neben dem Behälter wurde später ein Plastikröhrchen gefunden, aus dem Seifert vor seinen weiteren Angriffen verdünntes E 605 getrunken hatte.“ Inzwischen hatte die Lehrerin Gertrud Bollenrath den Schulhof betreten, Seifert lief auf sie zu und versetzte ihr mit seiner Lanze einen Stich in die Brust; Bollenrath starb am Abend im Heilig-Geist-Krankenhaus.

Zum Gedenken an das Attentat wird Oberbürgermeister Jürgen Roters um 14 Uhr an der ehemaligen Volksschule Volkhovener Weg einen Kranz niederlegen. Nach einem zehnminütigen Schweigemarsch findet eine Feier in der Schulaula des städtischen Heinrich-Mann-Gymnasiums statt.

Um 16.30 Uhr findet eine ökumenische Andacht in der Kirche St. Cosmas und Damian statt, wo sich neben dem Eingang ein Gedenkfenster für die Opfer befindet.

Um das Gedenken an die Opfer wachzuhalten, werden bis zum 20. Juni im Heinrich-Mann-Gymnasium neben Dokumenten wie Zeitungsausschnitten, Briefen und öffentlichen Reaktionen auch der Flammenwerfer und weitere Exponate ausgestellt. (epd)

Im gegenüberliegenden Schulpavillon waren die Schüler längst auf das entsetzliche Geschehen aufmerksam geworden – die Lehrerinnen versuchten, dem Amokläufer den Zugang zu versperren, doch Seifert riss die Tür auf und stach der jungen Lehrerin Ursula Kuhr, die auf die Treppe gestürzt war, zweimal in den Oberschenkel. Kuhr versuchte taumelnd, sich ins Gebäude zu retten, dabei erhielt sie einen Stich zwischen die Schulterblätter; sie starb noch im Flur.Kassel und andere schwer verletzte Kinder wurden zu dieser Zeit bereits in Privatwagen, die die Müllmänner angehalten hatten, in Krankenhäuser gebracht. „Auf dem Vordersitz saß eine Mitschülerin, die hatte fast keine Haare mehr, ihre Haut hing in Fetzen vom Rücken.“ Noch immer verspürte Kassel keinen Schmerz.

„Aus unbekannten Gründen ließ Seifert von seinen Opfern ab, überstieg den Zaun des Schulhofes und entfernte sich über ein freies Feld in Richtung der Bahnlinie Köln-Neuss.“ Polizisten gelang es, ihn dort festzunehmen. Noch bevor man ihn ausführlich verhören konnte, starb er an dem geschluckten Pflanzengift. Seifert war seit Jahren arbeitsunfähig, Folge einer Tuberkuloserkrankung, Er litt wohl unter Verfolgungswahn – eine solche Tat hätte ihm allerdings niemand zugetraut.

Nicht einmal fünf Minuten hatte der Amoklauf gedauert. Acht der 28 Kinder, die mit schwersten Brandverletzungen in Krankenhäusern behandelt wurden, starben in den nächsten Tagen. Sie wurden auf dem kleinen Friedhof in Weiler nebeneinander beigesetzt. Bruno Kassel lag mehr als ein Jahr mit Verbrennungen dritten Grades im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße. „ Die ersten drei Monate wurde ich wegen der Schmerzen unter Morphium gesetzt.“ Erst später erfuhr er, was überhaupt genau passiert war.

Bei der Trauerfeier für die beiden getöteten Lehrerinnen sprach der damalige Oberbürgermeister Theo Burauen den Satz: „Das Herz der Stadt stand still.“ Diesen Satz wählte Barbara Peter auch als Titel ihres Buches, das sie vor einigen Jahren veröffentlichte (Barbara Peter: Das Herz der Stadt stand still, SH-Verlag Köln). „Von damals reden sie nie“, titelte eine Zeitung ein Jahr nach dem Amoklauf. Auch 50 Jahre später fällt es vielen Überlebenden schwer, über das Geschehene zu reden. „Es tut mir leid, es geht nicht“, sagt eine Frau mit vernarbtem Dekolleté. Karl Weck, der am 11. Juni 1964 zwölf war und erst später Unterricht gehabt hätte, sagt: „Die Kinder, die überlebt haben, wussten nach diesem Horror, was es heißt, dankbar zu sein für sein Leben.“