Lauterbach will tausend Gesundheitskioske in Deutschland eröffnen. In Köln stellte er vor, was er damit meint und äußerte sich zur Kritik am Konzept.
„Prototyp“ im Kölner NordenKarl Lauterbach wirbt in Chorweiler für sein Gesundheitskiosk-Konzept
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat am Donnerstag in Köln-Chorweiler für sein Konzept der Gesundheitskioske geworben. Am Beispiel der dortigen „Kümmerei“ hob er die Chancen des Projekts für die Gesundheitsversorgung in den Kommunen vor. Mitsamt einer rund zehnköpfigen Gefolgschaft aus Pressesprechern seines Ministeriums, Mitarbeitenden aus seinem Büro in Mülheim und Sicherheitspersonal hat er sich im laufenden Betrieb mit dem Konzept der Einrichtung vertraut gemacht. In ihrem Inneren sieht kaum etwas nach Medizin aus: In vier Räumen beraten die Angestellten und Ehrenamtlichen der AOK-Einrichtung Menschen aus dem Viertel, die ihre Hilfe brauchen.
Die Hilfe umfasst Übersetzungen, den Umgang mit Behörden, medizinische und soziale Probleme. Es soll eine Anlaufstelle sein, von der aus Menschen in Chorweiler schneller finden, was sie brauchen. In einem Raum sitzt zum Beispiel Joy O. Die Mutter spricht kaum Deutsch, hat junge Zwillinge. Eines ihrer Kinder hat Probleme mit Allergien, ein Kinderarzt vermittelt auf Englisch Hilfe. Lauterbach erkundigt sich nach ihr und lobt die Arbeit des Arztes. Dann will ein älterer Mann ein Selfie mit dem Gesundheitsminister. Ansonsten wird seine Anwesenheit hier kaum wahrgenommen, kleine Gruppen unterhalten sich in verschiedenen Sprachen. Die Kümmerei ist ein offener, unaufgeregter Treffpunkt im Kölner Norden.
„Wenn wir ehrlich miteinander sind, haben wir nicht genug Hausärzte“
Und für Lauterbach ein Vorbild, an dem sich auch sein Konzept orientieren soll. „Die Kümmerei ist ein Prototyp dafür, wie es funktionieren kann. Sie ist mitten in einem Brennpunkt, aber in einem, an dem es vorwärtsgeht“, sagte Lauterbach. Mit einem Gesetz, das er für das kommende Jahr angekündigt hat, will der Gesundheitsminister die Krankenkassen zur Finanzierung von Gesundheitskiosken, an denen niedrigschwellige Versorgung möglich ist und vermittelt wird, zwingen. Einen Teil der Kosten sollen die Kommunen tragen.
„Wenn wir ehrlich miteinander sind, haben wir einfach nicht genug Hausärzte. Wir werden auf absehbare Zeit in Stadtteilen wie Chorweiler auch nicht genug Hausärzte und Kinderärzte haben. Das hier steht mit niemandem in Konkurrenz“, sagte er in dem Wissen, dass es auch prominente Kritiker des Konzepts gibt. Der Kölner Gesundheits- und Sozialdezernent Harald Rau etwa sprach mit Lauterbach am Rande des Termins und stellte dabei auch kritische Fragen.
Raus Sorge: Die ohnehin schwierige Finanzierung von kommunalen Krankenhäusern wird durch Zusatzprojekte wie Gesundheitskioske, die auch die Kommunen Geld kosten, weiter verkompliziert. Auch würden solche Projekte Personal binden. In einer Presserunde nach dem Besuch erklärte Lauterbach: „Unter dem Strich wird damit Geld gespart.“ Wer hier arbeite, sei ohnehin Ehrenamtler oder jemand mit einer hohen Affinität zu Sozialarbeit. An den Kliniken gehe durch Gesundheitskioske kein Personal verloren.
Karl Lauterbach: Gesundheitskioske als sozialpolitische Agenda
Lauterbach sieht in seinem Plan die Möglichkeit, die Gesundheitsversorgung finanziell benachteiligter Menschen strukturell zu verbessern. „Die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich sind in Deutschland besonders groß. Herz-Kreislauf-Probleme sind der häufigste Grund.“ Es sei „beeindruckend“, dass sich jemand wie der renommierte Kinderkardiologe Hans Höpp in der Kümmerei engagiere. Lauterbach bewegt sich durch die engen Räume der Kämmerei, wenn er spricht, formt er seine Finger zu einem Halbkreis, vortragen wolle er hier aber nicht, sondern zuhören.
Auch bei seinem Gesundheitskiosk-Projekt, das in Deutschland auf rund 1000 Standorte anwachsen soll, spielt Lauterbach sein politisches Talent aus, Kritik mit Entschlossenheit und Nahbarkeit entgegenzutreten. Jüngst hat er mit einem Gespräch mit Rapper Sido auf Youtube erfolgreich auf die wachsende Kritik an der Zögerlichkeit seiner Cannabis-Legalisierungspläne. Da sagte er zu Sido: „Deine Position war ja: komplett legal. Und wenn komplett legal ist, kann ich mit kiloweise Stoff durch die Gegend fahren.“ Es sind Sätze, die man in klassischen politiktheoretischen Kategorien als „nicht ministrabel“ einordnen könnte, der Gesundheitsminister aber hat sich seine Eigenart nach zwei Jahren im Amt beibehalten.
Am Donnerstagmittag schlendert Lauterbach, wissend, welche Bilder er produziert, durch Chorweiler, wird von zahlreichen Menschen erkannt, fotografiert, gerufen oder bloß angelächelt. Ein junger Mann mit ausgewaschener Jeans und braunem Shirt macht einen Flick-Flack. Lauterbach bleibt mit seinem Gefolge stehen, ruft „Wow“, applaudiert, ruft „nochmal“, der Mann springt nochmal, die beiden machen ein Foto.
Sympathien kann er weiterhin spielerisch gewinnen. Doch der Wahlkampf ist längst vorbei. Karl Lauterbach hat noch zwei Jahre Amtszeit, um seine Spuren im deutschen Gesundheitssystem zu hinterlassen – die Gesundheitskiosks sollen ein Teil davon sein.