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Ex-Schulleiterin aus Köln„Früher haben Eltern nicht nachts dem Lehrer geschrieben“

Lesezeit 6 Minuten
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Beate Kundoch geht mit 65 Jahren in den Ruhestand.

  1. Beate Kundoch war seit 2012 Schulleiterin des Gymnasiums Pesch. Nun verlässt sie die Schule und geht in den Ruhestand.
  2. Sie sagt: „Viele Eltern sehen ihr Kind als unfehlbar an“.
  3. Ein Gespräch über schwierige Eltern, Digitalisierung in der Schule und schwänzende Schüler.

Frau Kundoch, seit 2012 waren Sie Leiterin des Gymnasiums Pesch, doch im Schuldienst sind Sie ganze 44 Jahre aktiv gewesen. Wie hat sich Schule seitdem verändert?

Früher gab es einen deutlich respektvolleren Umgang der Eltern mit den Lehrern. Man hat zum Beispiel Lehrern nicht nachts oder an Weihnachten eine E-Mail geschrieben, weil man vorher eine Anmeldung zu einer Fahrt vergessen hat. Es gab auch nicht die Erwartungshaltung, dass innerhalb weniger Sekunden geantwortet werden muss. Schüler waren morgens, wenn sie in die Schule kamen, nur unter Obhut der Lehrer. Eltern regierten nicht ad hoc ins Schulleben hinein. Und Eltern waren früher weniger beratungsresistent und sicher eher bereit, pädagogische Entscheidungen der Schule mitzutragen und sind nicht direkt zum Anwalt gelaufen.

Manche Eltern sind gegen Sie sogar vor Gericht gezogen.

Zur Person

Beate Kundoch (Jg. 1953) stammt aus Dernau im Ahrtal. Von 2009 bis 2012 war sie stellvertretende Schulleiterin am Humboldt-Gymnasium, im Jahr 2012 übernahm sie die Leitung des Gymnasiums in Pesch. Ihre Fächer sind Deutsch und Erdkunde.

Das habe ich in zwei Fällen erlebt. Auch wenn ich schlimm finde, wenn es überhaupt soweit kommt: Beide Male hat die Schule in ihren pädagogischen Entscheidungen vom Gericht Recht bekommen. In solchen Fällen sind Eltern schlichtweg Leitungszeitdiebe.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Im Zuge einer demokratischen Schulbeteiligung ist es sicher sinnvoll, wenn Eltern gewisse Dinge hinterfragen. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass Eltern bis zu einem gewissen Grad wichtige Erziehungsrichtlinien fehlen: Viele haben ihr eigenes Kind als unfehlbar angesehen, es in Watte gepackt und stattdessen der Schule, Lehrern oder anderen Kindern den schwarzen Peter zugeschoben. Ich habe öfter erlebt, dass Eltern aus meiner Sicht zu unkritisch, zu unreflektiert, vielleicht sogar verantwortungslos in der Erziehung gehandelt haben. Es kam sogar vor, dass ein Kind seine Lehrerin und die Sekretärin verprügelt hat – und die Eltern immer noch die Schuld bei anderen suchten.

Dabei ist das Gymnasium Pesch eigentlich nicht als Problemschule bekannt.

.. So ist es.

Waren die Probleme mit Eltern nichtsdestotrotz nur ein Thema in Ihrer Schule?

Diese Sachverhalte gab und gibt es nicht nur an unserer Schule, aus meiner Sicht sind sie mittlerweile ein flächendeckendes Problem.

Ein ähnlich heiß diskutiertes Thema ist die Frage nach einem sinkenden Niveau an deutschen Schulen: Immer wieder bemängeln Experten, Schüler seien in den vergangenen Jahren immer weniger leistungsstark geworden. Entspricht das Ihrer Erfahrung?

Absolut. Aus meiner Sicht hängt das mit der immer weiteren Öffnung des Gymnasiums zusammen: Wir haben klare Aufnahmekriterien. So nehmen wir zum Beispiel auch Schüler mit einer Hauptschulempfehlung auf, wenn ihre Geschwisterkinder bereits auf unserer Schule sind oder der Schulweg sonst zu weit geworden wäre. Natürlich ist die Öffnung von Schule für alle lernwilligen Jugendlichen – ob mit vollwertiger Gymnasialempfehlung oder nicht – wichtig. Aber wenn Kinder auf dem Grundschulzeugnis nur Vieren und Fünfen haben und die Eltern sie trotzdem auf dem Gymnasium anmelden, ist das eine falsche Entscheidung. Diese Kinder könnten ihre Schullaufbahn erfolgreicher an einer anderen Schulform absolvieren. Den Eltern habe ich immer versucht deutlich zu machen, dass sie sich in solchen Fällen versündigen und die Seele des Kindes schädigen.

Andererseits lastet auf Schülern wie auf Schule heute auch eine besondere Verantwortung: In Zeiten der Digitalisierung geht es um nicht weniger als darum, das Lernen zu revolutionieren. Unter Ihrer Führung wurde das Gymnasium mit WLAN, Computerräumen und Tablets ausgestattet, sogar zwei „iPad-Klassen“ richteten Sie ein. Ist Ihnen eine Revolution gelungen?

Das denke ich schon. An dieser Stelle sind wir in Köln sicher führend. Schule hat unter anderem den Auftrag, Schüler auf die Berufswelt vorzubreiten – und somit auch darauf, ihnen den fachlichen und kritischen Umgang mit den digitalen Medien nahe zu bringen.

Wie können moderne Medien Schüler beim Lernen unterstützen?

Inzwischen setzen wir die Geräte in allen Fächern ein: Zum Beispiel können Kinder, die besonders schnell lernen, mit den Tablets im Unterricht schon zusätzliche Übungen bearbeiten, und umgekehrt Kinder mit langsamerem Lerntempo an differenzierten Aufgaben arbeiten.

Aus vielen Schulen heißt es, dass für eine solche Umrüstung das Geld fehle. Woher kamen die Mittel bei Ihnen?

Wir haben 2012 eine „Nacht des Lernens“ ausgerichtet, bei der sich die Kinder Sponsoren gesucht haben, die für jede Stunde, in denen die Kinder von 18 bis 23 Uhr zusätzlich gelernt haben, einen gewissen Geldbetrag gespendet haben. Eigentlich wollten wir den fünfstelligen Gesamtbetrag für eine neue Photovoltaikanlage ausgeben, in letzter Sekunde hat es aber ein Problem gegeben, so dass wir auf die Digitalisierung umgeschwenkt sind. Auch die Stadt Köln hat uns unterstützt. Im Nachhinein eine Erfolgsgeschichte.

Vor rund 40 Jahren, als frischgebackene Lehrerin, traten Sie der Antifa bei, mit Oberhausener Schülern verhüllten Sie an einem 9. November in der Tradition des Künstlers Christo einen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg mit Bettlaken, am Gymnasium in Pesch setzten Sie sich für soziale Initiativen ein. Wie wichtig war Ihnen Ihre persönliche Haltung als Lehrkraft und Schulleiterin?

Mir war ein Leben lang wichtig, Vorbild zu sein und meine Überzeugungen zu leben – insbesondere, wenn es um soziales Engagement ging. Ich habe immer meine Klassen dazu angelernt, dass jeder Schüler eine Aufgabe in der Klasse übernehmen sollte und so einen Dienst für die Gemeinschaft geleistet hat. Und ich habe selbst Aktionen initiiert, für die ich mir nicht zu schade war. Mein Erfolgsrezept war, Schüler zu loben und ihnen Wertschätzung zu vermitteln. Ich habe gespürt, dass das für viele ein Ansporn war.

Heute sind es auch die Schüler, die bei den „Fridays for Future“-Demos Haltung zeigen – und Schulen in Bedrängnis bringen: Wie umgehen mit unentschuldigtem Schwänzen? Was war Ihre Antwort darauf als Schulleiterin?

Da sind wir in Pesch einen etwas anderen Weg gegangen. Denn für uns war der Klimawandel nicht erst 2019 präsent. Uns begleitet das Thema Nachhaltigkeit seit vielen Jahren und ich habe mich darüber auch wöchentlich mit der Schülervertretung ausgetauscht. Wir haben besprochen, dass uns Demonstrieren nicht reicht, dass Taten wichtig sind: Im nächsten Jahr soll sich beispielsweise eine ganze Projektwoche dem Thema widmen. Echte Probleme mit schwänzenden Schülern hatten wir deshalb tatsächlich nicht.

Es sind also bewegte Zeiten, zu denen Sie die Schule verlassen. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in den Ruhestand?

Bis zum letzten Tag habe ich den Kontakt mit sehr vielen Menschen gehabt, habe mich geistigen Herausforderungen gestellt, Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen begleitet. Für mich hat es sich bis zuletzt angefühlt, als säße ich in einem unendlich schnell fahrenden ICE, der jetzt mit einer Vollbremsung in die Verabschiedungsfeier eingefahren ist. So schnell von 100 auf 0 zu kommen, ist ein befremdliches Gefühl.

In Ihrer Abschiedsrede erzählten Sie, dass Sie mit Ihrer Zukunft noch einiges vorhaben. Ist es also wirklich eine Bremsung von 100 auf 0?

Nein, dann wäre ich wohl wirklich nicht ich. Ich bin offen und neugierig und habe mir lebenslanges Lernen auf die Fahnen geschrieben. Ich möchte bald an einem Französischkurs teilnehmen und Saxofon lernen, werde deutlich mehr Ausdauersport treiben können als bisher. Und ich möchte wandern, reisen und ein Kinderbuch mit den Ideen meiner drei Enkelinnen schreiben. Es gibt einiges zu tun.