Köln – Auf den Sommerurlaub hatte sich Familie Wittkämper schon lange gefreut. Zwei Wochen Holland, am Meer entspannen, eine Auszeit vom Alltag. Stattdessen verbringt die dreiköpfige Familie die Ferien nun in der heimischen Wohnung in Köln. Zwei Wochen Quarantäne sind angesagt. Denn in der Kita der sechsjährigen Tochter hat es einen Coronafall gegeben. Da es dabei sich um die hoch ansteckende Delta-Variante handelt, bedeutet das 14 Tage häusliche Isolation für sämtliche potenziellen Kontaktpersonen. Im konkreten Fall betrifft das 71 Kinder.
„Wir verstehen nicht, warum so viele Kinder in Quarantäne müssen bei einem einzigen positiven Fall. Wir bekommen null Informationen zu den Hintergründen vom Gesundheitsamt.“, sagt ein Vater, dessen dreijährige Tochter die Kita in Nippes besucht. „Für uns ist das bereits die dritte Quarantäne. Die Nerven liegen inzwischen wirklich blank.“ Alle anderen Kinder seien mit PCR-Tests negativ getestet worden. „Für mich grenzt die Quarantäne-Anordnung an Willkür. Das ist blinder Aktionismus des Gesundheitsamtes.“
Infiziertes Kind hielt sich in fünf Gruppen auf
Ein Stadtsprecher bestätigt den Fall auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Demnach sei bei einer routinemäßigen PCR-Pool-Testung ein positives Ergebnis aufgetreten. Durch anschließende PCR-Einzeltestungen aller Kinder konnte ein mit dem Coronavirus infiziertes Kind identifiziert werden. Warum hat das Gesundheitsamt dennoch insgesamt 71 Kinder Quarantäne geschickt? Das offene Konzept der Kita sehe vor, dass die Kinder ihre Gruppen regelmäßig wechseln, „so dass sich das infizierte Kind im ansteckungsfähigen Zeitraum in insgesamt fünf verschiedenen Gruppen aufhielt und entsprechend viele Kontakte hatte“, erklärt der Stadtsprecher. Insgesamt besuchen 140 Kinder die Einrichtung mit acht Gruppen.
„Wir Eltern sehen das als überzogen und nicht mehr ausgewogen an“, sagt Jörg Wittkämper, der mit den anderen Eltern der Kita über eine WhatsApp-Gruppe in Kontakt steht. Die Quarantäne trifft die Familien genau in der Urlaubszeit. Denn die betroffene Kita hat ab Montag drei Wochen ferienbedingt geschlossen.
Keine Freitestung aus der Quarantäne möglich
Viele Familien könnten nun nicht in den Urlaub fahren und blieben auf den Kosten für Stornierungen sitzen. Wittkämper bezeichnet es als „Skandal“, dass sich Reisende aus Risiko- oder Hochinzidenzgebieten mit einem negativen Test aus der Fünz- beziehungsweise Zehn-Tage-Quarantäne freitesten lassen können, die Kita-Kinder aus ihrer 14-Tage-Quarantäne aber nicht. „Das ist eine große Ungerechtigkeit, da doch bei beiden Gruppen eine mögliche Infektion vermutet wird!“
„Seit dem Auftreten der ansteckenderen Virus-Varianten ist eine Freitestung nicht mehr möglich“, sagt der Stadtsprecher. Das Gesundheitsamt richte sich dabei nach den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts. Die Quarantäne betreffe in diesem Fall tatsächlich nur die Kinder, das vollständig geimpfte Personal müsse demnach nicht in Quarantäne.
„Kinder sind nicht die Treiber der Pandemie“
Jörg Wittkämper ist wütend: „Kinder sind nicht die Treiber der Pandemie. Aber sie sind mittlerweile die größten Leidtragenden.“ Tatsächlich zeigt sich beim Blick auf die Sieben-Tage-Inzidenz in Köln, dass die Inzidenzzahl bei Kindern deutlich niedriger liegt als im Gesamtdurchschnitt. Während das Landeszentrum Gesundheit NRW (LZG) am Freitag eine Gesamt-Inzidenz von 29,6 für Köln angab, lag sie bei den unter Zehnjährigen bei 18,5. Zum Vergleich: Bei den 20-29-Jährigen betrug sie hingegen 80,3. In Köln werden in 685 Kitas knapp 42.000 Kinder betreut. Aktuell sind dem Stadtsprecher zufolge zwölf Kinder und drei Mitarbeitende infiziert.
Und obwohl Kinder verhältnismäßig selten erkranken, ist für sie das Risiko einer Quarantäne ziemlich hoch. Denn bei einem Coronafall muss mindestens die komplette Kita-Gruppe oder müssen sogar – wie im jetzigen Fall – mehrere Gruppen in Quarantäne. Dem Stadtsprecher zufolge habe es bereits Fälle gegeben, in denen 150 Kita-Kinder in Quarantäne mussten.
Schutz der Impfzögerer auf Kosten der Kinder
„Kinder werden benachteiligt. Die Politik muss bei den Corona-Maßnahmen zugunsten der Familien nachjustieren“, fordert Jörg Wittkämper. „Mittlerweile geraten die Impfungen ins Stocken, nur Kinder können in absehbarer Zeit nicht geimpft werden. Es kann nicht sein, dass auf ihre Kosten nun die Impfzögerer geschützt werden.“
Im konkreten Fall würde der Familienvater sich wünschen, dass die betroffenen Kita-Kinder sich nach fünf Tagen mit einem negativen Test aus der Quarantäne befreien können. „Das Restrisiko, das danach bleibt, muss eine Gesellschaft, die es mit dem Kindeswohl und der Bildung ernst nimmt, vielleicht auch in Kauf nehmen.“