Betrug bei Corona-HilfenKölner Staatsanwaltschaft ermittelt in mehr als 1000 Fällen
- Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt in mehr als 1000 Fällen wegen Betrugs bei Corona-Hilfen.
- Der Schaden beträgt viele Millionen Euro. Wir erklären, wie der Betrug funktioniert – und wie erfolgreich die Kriminellen wirklich sind.
Köln – Die belauschten Telefonate ließen die Beamten der Ermittlungskommission (EK) Caramba hellhörig werden. Seit geraumer Zeit hörte man Handys einer rumänischen Großfamilie in Bergheim bis hin nach Essen ab, die sich im großen Stil Kindergeld ergaunerte. Plötzlich aber schwärmte einer der 13 Beschuldigten von der Abzocke bei Corona-Soforthilfen.
Mit dem Aufkommen der Covid-19-Pandemie im März 2020 hatten die Landesregierungen bundesweit auch finanzielle Hilfsprogramme für Selbstständige und kleine Unternehmen aufgelegt. Zwischen 9000 und 25000 Euro wurden an all jene ausgezahlt, die etwa auf der Homepage „soforthilfe-corona.nrw.de“ des Wirtschaftsministeriums einen Antrag ausfüllten. Das einfache Online-Verfahren lockte Betrüger auf den Plan.
So verfiel unter anderem die rumänische Sippe aus Bergheim auf die Idee, den Staat zu schröpfen. Wie eine Art Superspreader fixte ein Hauptakteur seine Bekannten und Familienangehörigen an, nachdem er schnell 9000 Euro abkassiert hatte. Fortan entwickelte man ein neues illegales Geschäftsmodell. Mehrere Tatverdächtige sollen Provisionen eingestrichen haben, wenn sie für Mitglieder der weit verzweigten rumänischen Familienverbände im Onlineverfahren bei etlichen Bezirksregierungen Anträge einreichten.
840.000 Euro Kindergeld
Am 2. Dezember schlugen die Ermittler zu. Kölner Staatsanwaltschaft, Polizei und Zoll durchsuchten 16 Objekte und inhaftierten vier Männer im Alter zwischen 23 und 45 Jahren. Dabei fand sich auch eine Werkstatt, die falsche Ausweise, Melde- und Schulbescheinigungen ausstellte. Die Bande hatte 127 Anträge in einem Gesamtwert von 1,2 Millionen Euro gestellt, davon wurden 780000 Euro ausgezahlt. Zudem strich die Familie 840000 Euro Kindergeld ein. „Ein Teil der Beträge floss vermutlich nach Rumänien“, sagt Staatsanwältin Selina Werst.
Gut einen Monat nach der Razzia sitzt sie mit Abteilungsleiter Lutz Niemann im Kölner Justizzentrum. Mit zwei weiteren Staatsanwältinnen bearbeitet die kleine Einheit nebst der 15-köpfigen Sonderkommission „Feder“ bei der Polizei die Vielzahl an Corona-Subventionsbetrugsfällen. Gut 1100 sind allein im Kölner Raum bisher aktenkundig. 40 Beschuldigte wurden angeklagt, 130 erhielten einen Strafbefehl über eine Geldstrafe, 160 Verfahren wurden inzwischen eingestellt. Die Schadenssumme beziffert Oberstaatsanwalt Niemann auf gut 11,5 Millionen Euro. Damit liegt man im NRW-Ranking vorne. Die Düsseldorfer kommen auf die Hälfte der Verfahrenszahlen mit einem Schaden von 4,5 Millionen Euro.
„Beinahe wie ein Tsunami“
„Beinahe wie ein Tsunami brach die Verfahrensflut über unsere Abteilung herein“, erzählt der Chef der Kölner Abteilung für Steuerstrafsachen. „Und es wird noch weit ins nächste Jahr gehen, ehe wir alle abgearbeitet haben“. Die meisten Anzeigen erreichen die Strafverfolger von Geldinstituten wegen Geldwäscheverdachts über die Zolleinheit FIU oder durch die Bezirksregierungen. Dort werden die Finanz-Ersuchen bearbeitet.
Niemann unterscheidet in vier Kategorien: Da sind einmal dreiste Antragsteller wie jene beamtete Lehrerin, die zwar keinen Betrieb besaß, sich aber dennoch bereichern wollte. Typ zwei: Gauner, die erst nach dem Stichtag 31. Dezember 2019 ein Gewerbe anmeldeten und ein Geschäftskonto eröffneten, um illegal die Soforthilfe zu beziehen. Nummer drei in der Betrügerliste machen jene Unternehmer aus, die vor der Pandemie quasi pleite waren und sich nun aber mittels der Corona-Soforthilfe über Wasser halten wollen. „Diesen Nachweis zu erbringen ist nicht einfach“, erläutert Oberstaatsanwalt Niemann, „da müssen alle Geschäftsunterlagen untersucht werden, um den tatsächlichen wirtschaftlichen Zustand des Betriebes beurteilen zu können.“
NRW-Ministerium: 6000 Strafverfahren gelistet
Laut einem Bericht des NRW-Justizministers listen die Ankläger im Lande knapp 6000 Strafverfahren wegen Subventionsschwindel auf. Der Schaden wird die 30-Millionen-Grenze weit überschreiten. Der Anteil der Betrugsfälle macht nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bei einer ausgezahlten Summe von 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2020 und mehr als 430000 Empfängern nur einen verschwindend geringen Bruchteil aus.
Dennoch wiegen die Taten schwer. Das Bundeskriminalamt geht von Zehntausenden Fällen in der Republik aus. Nach Einschätzung der Kölner Staatsanwältin Selina Werst handelt es sich bei ihren Verfahren „zu 80 Prozent um Einzeltäter“. So ermittelt etwa die Zentralstelle für Terrorismusverfolgung bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf gegen zwei extremistische Gefährder, die jeweils 9000 Euro Corona-Stütze ergaunert haben sollen.
Strohmänner stellen Anträge
In Berlin laufen Dutzende Verfahren gegen Rechtsradikale, Islamisten und führende Vertreter von Moscheevereinen, weil diese sich über gefälschte Gewerbeanmeldungen Zugang zur Fördermitteln verschafft haben. So hatte etwa ein radikal-islamischer Salafistenprediger 18000 Euro beantragt, weil er Umsatzausfälle mit seinem Honighandel geltend machte.
Besonders interessant wird es beim organisierten Corona-Subventionsschwindel. Zurück im Kölner Justizzentrum: Oberstaatsanwalt Niemann schildert aktuelle Ermittlungen, in dem so genannte Firmenbestatter die ausgehöhlten Mäntel der Unternehmen bei der staatlichen Soforthilfe versilberten. Das Prinzip ist simpel: Auf dem wirtschaftlichen Graumarkt setzen Spezialisten für einen geringen Betrag meist mittellose Strohmänner als Geschäftsführer für insolvenzreife Firmen ein. „Im Zuge der Corona-Hilfskampagne beantragten einige Firmenbestatter für jeden ihrer Betriebe Zuschüsse, obschon diese längst tot waren“, weiß Niemann.
Profis im Soforthilfe-Schwindel
Zu den Profis im Soforthilfe-Schwindel zählte Hüsam B., 38. Als Koch hatte er schon die Haute Volée auf Sylt beköstigt. In Remscheid unterhielt der Türke einen Ein-Mann-Betrieb namens Rent-a-Cook24. Offiziell erhielt der Enddreißiger Hartz-IV-Bezüge. Tatsächlich arbeitete er aber als Miet-Koch. Die Einnahmen als Selbstständiger verschwieg er dem Job-Center wohlweislich. Im Zuge der Corona-Infektionswelle beantragte und kassierte B. 9000 Euro für seine Firma. Das brachte den zigfach vorbestraften Betrüger und Drogenhändler auf den Geschmack. So machte er den Hamburger Behörden weis, dass die gleiche Küchen-Miet-Firma in der Hanseatenstadt beheimatet sei. Flugs strich er 25000 Euro ein.
Derart befeuert, konstruierte Hüsam B. neue Firmennamen. Mal nannten sie sich Budax Mietkoch oder Rent a cook ohne die 24 am Ende. Zehn Mal stellte er in NRW Anträge auf Soforthilfe – im Mai/Juni fiel das bei der Bezirksregierung Düsseldorf und bei der Sparkasse Remscheid auf. Am 10. Dezember 2020 verurteilte ihn ein Amtsrichter in Wuppertal zu dreieinhalb Jahren Haft.