Straßenleben ist „ein Killer“Arzt will erste Praxis für Obdachlose in Köln eröffnen
Köln – Schon bevor die Helfer von katholischen Emmaus-Gemeinschaft ihre Suppenküche aufgebaut haben, warten zwei Dutzend wohnungslose Menschen auf dem Appellhofplatz. Menschen wie Wilfried Palen (56), der Elektrotechniker ist, in der Pandemie Job und Wohnung verloren hat und auf der Straße landete. In die Obdachlosenunterkünfte der Stadt geht er nur im Notfall. Lieber zieht er sich zwei Schlafsäcke übereinander an und schläft, auch wenn es bitterkalt ist, im Freien. Die Suppenküche besucht er dagegen regelmäßig, auch weil das Flaschensammeln in Corona-Zeiten schwierig geworden ist. „Mehr als fünf Euro am Tag bekomme ich nicht zusammen.“
Mit der Suppenküche steht auch seit 25 Jahren der Verein Gesundheit für Wohnungslose auf dem Platz. Ein Bus des Gesundheitsamts und ein medizinisches Team aus der Klinik Severinsklösterchen um Chefarzt und Vereinsvorsitzenden Mark Oette ist hier mit einem Krankentransporter des Gesundheitsamtes vor Ort und bietet medizinische Erstversorgung an. Es werden Verbände gewechselt, Wunden und offene Beine versorgt, Magenprobleme und Hauterkrankungen wie Krätze behandelt. Viele wie Wilfried Palen kommen auch nur für ein Gespräch. Das Angebot ist niedrigschwellig: keine Arztkittel, keine Formalitäten. Und natürlich ist auch die Corona-Pandemie hier ein Thema. „Corona trifft obdachlose Menschen in besonderem Maß“, sagt Oette. Daher werden auch Abstriche durchgeführt, um die Menschen auf das Virus zu testen.
Oette will nun erstmals in Deutschland in einer Studie herausfinden, wie hoch die Infektionszahlen unter Wohnungslosen sind. Erste Ergebnisse sind beeindruckend: Demnach haben sich 2,5 Prozent der Wohnungslosen mit dem Virus angesteckt - 25-mal mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt. Die Zahlen müssen derzeit aber noch mit Vorsicht bewertet werden, weil bislang nur 130 Menschen an der Untersuchung teilgenommen haben. Oette will daher in den kommenden Tagen weitere Probanden in der Obdachlosenstation Gulliver und auf dem Appellhofplatz auf Corona testen. Vergleiche will er im Spätsommer anstellen, wenn viele Menschen bereits geimpft sein dürften, und im kommenden Jahr. Die Studie wird begleitet von den Universitäten Köln und Düsseldorf.
Zahlreiche Erkrankungen
Schon vor der Pandemie war das Leben auf der Straße hart: Die durchschnittliche Lebenserwartung von Obdachlosen liege bei nur 47 Jahren, sagt Oette. „Das Leben auf der Straße ist ein Killer. Man geht schnell in die Kiste.“ Wohnungslose litten viel häufiger als andere Menschen an Herz- und Lungenerkrankungen und psychischen Problemen. Sie ernährten sich oft schlecht, könnten auf Hygiene nicht achten, seien gegen Hitze, Kälte und Feuchtigkeit wenig geschützt, mitunter drogenabhängig und Opfer von Kriminalität wie Raub oder sexueller Gewalt. „Die Straße führt dazu, dass die Erkrankungen viel schneller verlaufen.“ Etwa 90 Prozent der Wohnungslosen fänden keinen regelmäßigen Zugang zum medizinischen Regelleistungssystem. Zahlen, die deutlich machen, welche außerordentliche Unterversorgung bei diesen Menschen besteht.
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Etwa 300 Kölner leben auf der Straße, hinzu kommen weitere 6000 Menschen, die über keine eigene Wohnung verfügen und bei Bekannten oder in Sozialhäusern der Stadt leben. 40.000 Menschen sollen laut Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe in NRW in solch prekären Verhältnissen leben. Der Frauenanteil habe sich zudem in den vergangenen 20 Jahren nahezu verdoppelt, der der Jüngeren nehme zu. Der Anteil der EU-Bürger unter den Obdachlosen habe sich in den vergangenen zehn Jahren auf zehn Prozent verdoppelt. Laut Statistischem Bundesamt soll es 61.000 Menschen in Deutschland geben, die keine Krankenversicherung besitzen.
Praxis für Obdachlose geplant
Oette will es daher nicht beim Appell belassen, sondern will noch in diesem Jahr eine Praxis gründen, die sich um wohnungslose Menschen kümmert. „Das gibt es in Berlin und in Hamburg, aber noch nicht in Köln.“ Insbesondere chronisch kranke Menschen hätten Probleme, regelmäßig an die entsprechenden Medikamente zu kommen. Der erste Schritt ist getan: Oette hat den Verein Caya (Come as you are) gegründet, aus dem die Praxis einmal hervorgehen soll. Einen klaren Zeitplan gibt es noch nicht: „Wir wollen noch in diesem Jahr eine Immobilie finden und diese ausbauen“, so Oette. Damit das gelingt, sei Caya auch auf Spenden angewiesen.gesundheitfürwohnungslose.de