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Trotz WarnungenWarum Kölner Senioren in der Coronakrise immer noch selber einkaufen

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Allen Ratschlägen zum Trotz gehen manche Senioren selbst einkaufen. (Symbolbild)

Köln – Montagvormittag, in einem Supermarkt am Eigelstein: Ein altes Paar steht im vorgeschriebenen 1,50-Meter-Abstand zum Nächsten an der Kasse. Sie am Rollator, er am Gehstock. Beide sind über 85. Auf die Frage, ob sie jemanden bräuchten, der für sie einkaufen geht, weil das Coronavirus ältere Menschen besonders gefährde, sagt er: „Wir gehen immer zusammen einkaufen. Wir wollen nicht, dass uns jemand hilft. Es gibt auch viel Hysterie gerade. Uns geht es gut. Vielen Dank.“ Eine Nachbarin, auch sie in fortgeschrittenem Alter, sagt: „Danke für das Angebot, aber das mache ich lieber selbst.“ Zwei Aktivitäten strukturieren ihre Tage: Die Fahrt zum Friedhof, um das Grab ihres Mannes zu pflegen, und jene zum Supermarkt.

Der Staat hat Kontaktsperren erlassen, nirgendwo außer beim Einkaufen kommt eine größere Zahl von Menschen zusammen. Besuch in Krankenhäusern und Senioren- und Pflegeheimen ist verboten, Besuche von Großeltern und Enkelkindern auch. In den Supermärkten trifft man nach wie vor auch viele alte Menschen, deren Risiko, schwer an dem Coronavirus zu erkranken, und damit die Krankenhauskapazitäten zu überfordern, besonders hoch ist. Warum?

Supermärkte sind für Senioren Orte der Begegnung

Thomas Diederichs, Pfarrer der Kulturkirche in Nippes, findet es nachvollziehbar, dass alte Menschen ihre Gewohnheiten nicht aufgeben wollen: „Supermärkte sind Orte der Begegnung. Nicht nur, aber gerade für ältere Menschen sind die Gespräche dort sehr wichtig.“ 650 Senioren habe seine Gemeinde in der vergangenen Woche angeboten, für sie einkaufen zu gehen, knapp 50 Menschen aus dem Veedel hatten sich dazu bereit erklärt.

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„Bis gestern hatten nur fünf unser Angebot angenommen. Heute morgen sind drei dazu gekommen. Viele sind zu stolz, um Hilfe anzunehmen, viele wollen ihre Autonomie nicht verlieren. Das ist alles verständlich – trotzdem sollte jetzt jeder, der zur Risikogruppe zählt, Hilfe annehmen. Ich hoffe, dass die Appelle nicht erst ankommen, wenn die Nachbarn mit dem Rettungswagen abgeholt werden und man auch in Köln sieht, wie Särge weggefahren werden.“ Dr. Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung, bekräftigt Diederichs Rat: „Senioren gehören zur Risikogruppe, besonders solche mit Vorerkrankungen. Wer kann, sollte seine Einkäufe erledigen lassen.“

Eine abstrakte Gefahr

„Die Menschen befinden sich noch in einer Phase des Begreifens, des Realisierens. Es gibt zwar leere Straßen und geschlossene Geschäfte, aber noch keine offen sichtbaren Leiden wie zum Beispiel in Italien. Die Gefahr ist noch sehr abstrakt“, sagt Joachim Schottmann, Psychologe und Traumatherapeut des Kölner Unternehmens Human Protect. „Die Anpassungsmechanismen bei älteren Menschen dauern länger als bei jüngeren. Je älter wir werden, desto mehr leben wir nach Routinen und Automatismen. Der Einkauf im Supermarkt zählt für viele ältere Menschen zu den ganz wichtigen Routinen, der selbstständige Einkauf vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Struktur.“

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Wichtig sei es nun, dass Kinder, Enkelkinder und Nachbarn den Seniorinnen und Senioren „die Sorge nehmen, jemandem zur Last zu fallen. Es ist momentan für jeden jüngeren Menschen eine Selbstverständlichkeit, für ältere Menschen da zu sein. Gleichzeitig müssen wir jeder Nachbarin, jeder Mutter und Großmutter klarmachen, dass sie einen großen Beitrag zur Bewältigung der Krise leistet, wenn sie für einige Zeit nicht selbst einkaufen geht.“

„Wir schützen gerade in einem Akt bisher ungeahnter Solidarität in Europa unsere Kranken und Alten. Dafür sperren wir unsere Kinder ein, schließen unsere Bildungseinrichtungen und erzeugen einen medizinischen Ausnahmezustand. Dafür werden Milliarden von Euros investiert, um anschließend die Wirtschaft wieder anzukurbeln“, schreibt der Bonner Philosoph Markus Gabriel in einem dieser Tage viel beachteten Essay, in dem er eine „neue Aufklärung und ethische Ausbildung“ für jeden fordert.

Ältere stellen ihre Gewohnheiten in der Krise langsamer um

Man dürfe nicht kritisieren, dass einige der Älteren („Es sind ja bei weitem nicht alle“) ihre Gewohnheiten in der Krise langsamer umstellen, sagt Psychologe Joachim Schottmann. Für die Gesellschaft sei es eminent wichtig, „ein Gespür dafür zu entwickeln, dass mit dem Stress, den jeder von uns spürt, jeder ganz anders umgeht. Die einen vermeiden alles, andere haben Angst oder Panik, wieder andere arbeiten viel, helfen bis zum Umfallen, entspannen wie im Urlaub.

Wenn Senioren jetzt im Supermarkt aggressiv gefragt werden, warum sie nicht zu Hause bleiben – oder Menschen, die fünf Kilo Mehl einpacken, angeschrien werden, dass sie unsozial seien, ist das ein Zeichen dafür, dass der Stress noch sehr akut ist – und wir den Einzelnen mit seinem besonderen Hintergrund, den wir ja nicht kennen, so noch nicht anerkennen können.“

Pfarrer Thomas Diederichs hält es für entscheidend, „dass jeder, der nicht zur Risikogruppe zählt, älteren Menschen in den kommenden Wochen beständig seine Hilfe anbietet und Ideen für Solidarität entwickelt. Ich merke heute, dass die Hilfe stärker angenommen wird als gestern, es verändert sich alles rasant schnell“. Seine Gemeinde startet in dieser Woche die Aktion „Zeit fürs Telefon“. Es ist nur eine von Hunderten Ideen für alte und einsame Menschen, die es jetzt gibt – und braucht.