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Kolumne zur Corona-Krise in KölnWenn aus dem Jogger ein Sensemann im Laufshirt wird

Lesezeit 4 Minuten
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Jogger am Aachener Weiher.

  1. Die Corona-Krise ändert alles. Besonders verstörend: Das kölsche Grundgesetz verliert vorerst seine Gültigkeit. Und trotzdem findet Köln einen Umgang mit der Krise.
  2. Unser Autor Peter Berger hat Beobachtungen aus einer Stadt im Ausnahmezustand gesammelt.
  3. Er schreibt von dem Jogger als Sensenmann im Marathon-Laufshirt, von völlig neuen Bedenken und erklärt, warum das Toilettenpapier so etwas wie der deutsche Rotwein ist.

Köln – Man könne auch hintereinander fahren, schimpft der Radfahrer auf der Neusser Straße vor der roten Ampel an der Kreuzung vor der Inneren Kanalstraße, die das Agnesviertel von Nippes trennt und deren Überqueren man ohne die Lichtsignale wohl nicht überleben würde. Ich stehe auf gleicher Höhe neben ihm, sind das jetzt 150 Zentimeter Abstand – oder vielleicht doch nur 140? Er trägt keinen Helm, ich keine Atemschutzmaske. Ist das jetzt unser Todesurteil?

Sie haben ja Recht. Entschuldigung. Ich habe ein schlechtes Gewissen in einer menschenleeren Stadt, in der sich zu normalen Zeiten alles drängelt, knubbelt, schiebt und schubst. Rücke mit meinem Rad ein Stückchen zur Seite. Neben die Faltbox am Grünstreifen, in der keine Lebensmittel für Bedürftige mehr deponiert werden dürfen. Wegen der Corona-Krise. Was machen die Menschen jetzt, die darauf angewiesen waren? Abstand halten? Grün. Weiterradeln und den Gedanken verdrängen.

Köln hat tatsächlich den Bogen raus

Ja. Es hat lange gedauert und vieler Ermahnungen bedurft, bis wir uns nicht mehr am Aachener Weiher und auf dem Rheinboulevard um die ersten Sonnenstrahlen gebalgt und ernsthaft geglaubt haben, der Corona-Krise auf kölsche Art begegnen zu können. Et hät noch immer jot jejange.

Aber jetzt? Nach vielen Tagen des Kontaktverbots? Köln hält nicht bloß Abstand. Köln hat den Bogen raus. Die Oberbürgermeisterin ist voll des Lobes. Und wenn nur eines dieser silbergrauen Autos des Ordnungsamts in Sichtweite kommt, beschleicht einen sofort ein ungutes Gefühl. Ist auch keiner neben mir? Hab’ ich auch alles richtig gemacht?

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Das Ordnungsamt fährt über die menschenleere Schildergasse.

Wir haben uns an die Klebestreifen auf dem Boden gewöhnt. Vor der Supermarktkasse, im Drogeriemarkt, beim Thailänder, der wie alle Lokale im Überlebenskampf steckt und auf Außer-Haus-Verkauf umgestellt hat. Nein. Im Homeoffice muss man kein Einwegbesteck benutzen. An die Plexiglasscheiben, an Folien haben wir uns gewöhnt. An Sicherheitsleute, die den Zugang in den Drogeriemarkt regeln. Ein Brot aus der Selbstbedienungstheke nehmen? Darf ich das überhaupt noch? Steht jemand zu dicht hinter mir?

Der Jogger als neue Bedrohung?

Nur beim Toilettenpapier schieben wir sämtliche Sicherheitsbedenken zur Seite. Es reicht das Gerücht, der Filialleiter könne gleich mit einer Palette um die Ecke biegen. Und schon geht das Gedrängel los. Ein ausreichender Vorrat an Klopapier, sagen Psychologen, gebe den Menschen in Deutschland das Gefühl von Sicherheit. In Italien ist das der Rotwein.

Beim Joggen muss man sich entscheiden. Einsame Orte suchen oder die Randzeiten des Tages nutzen. Morgens vor sechs oder abends nach zehn. Dazwischen ändert sich die Sportart. In Spießrutenlaufen. Vor allem am Rheinufer und am Decksteiner Weiher. Wie überholt man einen Spaziergänger, wenn einem zeitgleich ein Walker entgegenkommt, ein leinenloser Hund die Orientierung verliert und zwei Radfahrer freundlich klingeln, weil sie überholen wollen? Und wenn man selbst auch noch verschwitzt ist? Nein. Es macht keinen Spaß, diese vorwurfsvollen Blicke zu ertragen, als sei man als leibhaftiger Tod unterwegs.

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Der Sensenmann im Marathon-Laufshirt, der fröhlich Corona-Viren in Tröpfchen-Form durch die Landschaft schleudert. Sind wir alle paranoid? Sollten wir tatsächlich die Wege im Grünen separieren – für Jogger, Radfahrer und Fußgänger? Die Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensgeschwindigkeiten entzerren? Eine Fast Lane für die Jugend einführen? Was für eine irrwitzige Idee.

Ja, wir müssen Rücksicht nehmen

Ja. Wir müssen Abstand halten. Uns auch mal aus dem Weg gehen. Wir müssen regelmäßig Hände waschen, die Nies- und Hust-Etikette einhalten. Und beim Rausgehen die ausgetretenen Pfade verlassen. Köln – das ist nicht nur Rheinufer und Decksteiner Weiher. Was glauben Sie wie froh die Liegewiese am Aachener Weiher ist, dass sie sich endlich mal von uns erholen kann? Da geht es ihr ähnlich wie der Kassiererin an der Supermarktkasse.

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Auch auf schmalen Pfaden muss Rücksicht genommen werden.

Und vor allem müssen wir eins. Rücksicht nehmen. Wenn man nicht ausweichen kann. Wie auf dem Leinpfad zwischen Marienburg und Rodenkirchen, wo bei schönem Wetter auf dem schmalen Pfad der sonst auch übliche Wochenend-Krieg zwischen rücksichtslosen Radfahrern und verängstigten Fußgängern mal wieder in voller Härte ausgebrochen ist. Aber das hat mit dem Coronavirus nicht zu tun. Sondern mit rücksichtlosen Zeitgenossen, die glauben, man könne auch mit einem Küchenhandtuch in die Sauna gehen, bloß weil man den dickeren Hintern hat.