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Erste ZwischenbilanzWas wir nach fünf Monaten über das Coronavirus wissen

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Seit Monaten wird intensiv an Wirkstoffen gegen das Coronavirus geforscht.

  1. 100 Tage liegt der Corona-Ausbruch im Kreis Heinsberg nun zurück. Im Verlauf der Pandemie haben Wissenschaft und Gesellschaft viele neue Erkenntnisse gewonnen.
  2. Wir wissen heute, wie Ansteckungen zumeist ablaufen, wie gefährlich das Virus ist und können beobachten, wo die Impfstoff-Forschungen stehen. Auch lässt sich einordnen, welche Faktoren dafür sprechen, dass weitere Pandemien folgen – und welche dagegen.
  3. Zusammen mit dem Kölner Professor Florian Klein, einem der führenden Virologen Deutschlands, halten wir den derzeitigen Wissensstand fest.

Köln – 100 Tage liegt der Corona-Ausbruch im Kreis Heinsberg nun zurück. Was haben wir in dieser Zeit über das Virus gelernt? Der Kölner Professor Florian Klein, einer der führenden Virologen Deutschlands, erklärt, wie der derzeitige Wissensstand zum Virus aussieht und wieso es Hoffnung auf Medikamente gegen Covid-19 gibt.

Wie das Coronavirus entstanden istBei der Infektion mit Sars-CoV-2 handelt es sich um eine Zoonose, eine Infektionskrankheit, die vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist. Solche Übertragungen sind von anderen Coronaviren bekannt, aber auch zum Beispiel von Hanta- oder Ebolaviren. Es gibt Hinweise auf die Übertragung von einer Fledermaus oder über einen Zwischenwirt auf den Menschen. Unklar ist, ob das Virus durch Berührung mit einem Tier, durch einen Biss oder auch durch den Verzehr von Fleisch erfolgt ist und ob sich das Virus nach dem Übergang auf den Menschen noch einmal verändert hat.Auf eine Herstellung des Virus im Labor und seine unbeabsichtigte Freisetzung durch einen Laborunfall oder gar eine absichtliche Virusattacke gibt es keine Hinweise. Professor Florian Klein betont: „Es gibt gute Untersuchungen, die ganz deutlich für einen natürlichen Ursprung sprechen.“ Selbst wenn das Virus künstlich erzeugt worden wäre, hielte der Experte einen versehentlichen Austritt aus einem Labor bei den auch in China hohen Sicherheitsstandards schwerlich für vorstellbar. Auch ein beabsichtigtes Vorgehen ist nach Ansicht des Virologen nicht plausibel. Verhalten und Verbreitung des Virus wären nicht vorauszusehen gewesen.Dass Zoonose-Erkrankungen ein zunehmendes Problem sind, war bereits vor der aktuellen Pandemie bekannt. Eine politische Konsequenz könnte es sein, dass der Mensch in Zukunft nicht mehr so invasiv in die Lebensräume von Tieren vordringt.

Wie das neuartige Coronavirus übertragen wirdDer relevanteste Übertragungsweg ist nach dem heutigen Wissensstand die Tröpfcheninfektion über Sekrettröpfchen, die beim Sprechen, Husten oder Niesen entstehen und von einer sich in der Nähe befindenden Person aufgenommen werden können. Tröpfchen mit einer Größe von unter zehn Mikrometern fallen weniger schnell zu Boden und können länger in der Luft schweben. Hierdurch sind aerogene Übertragungen möglich. Die Schmierinfektion spielt dabei eine nur untergeordnete Rolle.Bei Infektionen hat man es generell mit Wahrscheinlichkeiten und dem Zusammenwirken verschiedenster Faktoren zu tun. Wissenschaftler schauen deshalb auf konkrete Infektionsgeschehen unter bestimmten Bedingungen und untersuchen etwa die Kontakte einzelner Personen. Je mehr dieser Daten zusammen kommen, desto besser lässt sich eine Einschätzung zur Übertragbarkeit machen. Zu den neuesten Erkenntnissen in diesem Bereich sagt Professor Klein: „Wir sehen bei Sars-CoV-2 oftmals eine Verbreitung in Clustern. Das bedeutet: Einige infizierte Personen können viele andere Personen anstecken. Wir sprechen dann von sogenannten Superspreader-Events. Andere Infizierte geben die Infektion nicht oder nur begrenzt weiter.“Aus der Erfahrung mit anderen respiratorischen Viren ist das Phänomen der Saisonalität bekannt, also eines schwindenden Infektionsgeschehen in den Sommermonaten. Dafür gibt es einerseits klimatische Ursachen, es hat aber auch mit häufigerem Aufenthalt der Menschen im Freien zu tun. Welche Effekte die Saisonalität für den Verlauf der Corona-Pandemie haben wird, lässt sich wegen der seit März ergriffenen Abwehrmaßnahmen nicht endgültig sagen.Zur Beurteilung der umstrittenen Frage nach der Infektiosität von Kindern fehlen noch belastbare Informationen. „Wir sehen, dass Kinder seltener schwer erkranken und es gibt Hinweise, dass sie sich auch seltener anstecken“, sagt Klein. „Noch ist nicht geklärt, wie leicht empfänglich Kinder für die Infektion sind.“ Aufgrund der Auswirkungen von Kita- und Schulschließungen sei es entscheidend, weitere Untersuchungen durchzuführen. Dies geschieht auch an der Uniklinik.

Wie gefährlich Covid-19 istCovid-19 ist eine gefährliche Erkrankung. Ein hohes Risiko für schwere und tödliche Verläufe haben insbesondere Ältere. „Wir haben zudem gelernt, dass das Coronavirus nicht nur zu Schädigungen der Lungen, sondern auch zu zahlreichen anderen Komplikationen führen kann“, ergänzt Klein.Für Covid-19 liegt die Fallsterblichkeit weltweit und auch in Deutschland bei fünf Prozent. Die Fallsterblichkeit gibt die Zahl der an einer Erkrankung Verstorbenen in Bezug auf die Gesamtzahl aller nachgewiesenen Erkrankten an. Hierbei sind unerkannt Erkrankte nicht berücksichtigt, sodass die Sterblichkeit darunter liegt. Die kürzlich durchführte Heinsberg-Studie nennt eine Sterblichkeit von 0,37 Prozent.

Was die Corona-Pandemie von einer Grippewelle unterscheidetEs gibt eine Vielzahl von Faktoren, die die Corona-Pandemie von einer Grippewelle unterscheidet. „Bei Sars-CoV-2 trifft ein neuartiges Virus auf eine nicht immune Bevölkerung“, erklärt Klein. „Zudem haben wir gegen die saisonale Influenza einen Impfstoff und verschiedene Medikamente.“Zu Beginn wurden häufig Vergleiche zur Sterblichkeit beider Erkrankungen herangezogen. So wurde die sogenannte Übersterblichkeit, die die zusätzliche Anzahl der Todesfälle angibt, fälschlicherweise zur Fallsterblichkeit von Sars-CoV-2 in Beziehung gesetzt. „Für einen aussagekräftigen Vergleich müssen aber dieselben Werte betrachtet werden“, erläutert Klein. Konkret: Die geschätzte Sterblichkeit ist bei der saisonalen Grippe mit etwa 0,1 Prozent deutlich niedriger als bei Covid-19. Bei einem ungebremsten Verlauf hätten die Intensivkapazitäten in deutschen Krankenhäusern nicht ausgereicht.

Was vor dem Coronavirus schütztBei Schutzmaßnahmen wie der Mund-Nasen-Bedeckung hat es Erkenntnisfortschritte gegeben. Was zu Beginn Kritisches über Gesichtsmasken gesagt wurde, war nicht einfach falsch: Tatsächlich kann es zu einer Suggestion vermeintlicher Sicherheit und damit zu Fahrlässigkeit kommen. „Trotzdem muss der Mund-Nase-Schutz als ein sehr wichtiges Mittel gewertet werden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. In geschlossenen Bereichen mit beengten Verhältnissen ist die Maßnahme besonders wirkungsvoll.“Der im März eingeleitete Lockdown war nach Ansicht vieler Experten sinnvoll. „Eine Aussage darüber, welche einzelnen Maßnahmen besonders wirksam waren, ist allerdings nur bedingt möglich. Als Bündel haben sie dazu geführt, dass wir Kontrolle über das Infektionsgeschehen gewonnen haben, und nicht umgekehrt, dass uns das Virus noch stärker kontrolliert“, so Klein. Aus heutiger Sicht könne als sicher gelten, dass Deutschland durch schnelle und richtige Reaktion nicht in Situationen wie in Italien oder den USA geraten ist. „Gerade das frühe und breite Testen in Deutschland, die Intensivkapazitäten und die eingeführten Schutzmaßnahmen durch Gesundheitsämter und Politik haben zur Kontrolle beigetragen.“

Warum eine überstandene Erkrankung keinen sicheren Immunschutz bietetBei Covid-19-Erkrankten bildet sich eine Immunantwort gegen Sars-CoV-2. „Wir gehen zwar davon aus, dass diese Immunantwort vor einer weiteren Infektion schützen kann, aber ob das immer gelingt und wie lange ein Schutz anhält, ist noch nicht klar“, so Klein. „Von anderen Coronaviren wissen wir, dass Antikörper ein bis drei Jahre nachzuweisen sind. Eine zelluläre Antwort ist meistens noch länger feststellbar.“Es wird intensiv an der Frage geforscht, wie es bei Sars-CoV-2 um eine mögliche Immunität steht – auch an der Uniklinik Köln. Aktuell werden dort über 800 Patienten untersucht, die als geheilt gelten. Viele dieser Patienten kommen aus Köln, andere aus Heinsberg oder aus anderen Teilen Deutschlands. Das Ziel der Untersuchungen ist es, Informationen über die Qualität und Dauer einer möglichen Immunität zu bekommen.

Wie weit die Forschungen an einem Impfstoff und an einer Antikörper-Therapie gediehen sindDie Entwicklung eines Impfstoffs wäre ein Durchbruch im Kampf gegen das neuartige Coronavirus, weil er damit behandelte Personen gegen das Virus immun machen könnte. Aktuell wird weltweit an rund 150 verschiedenen Impfstoffen geforscht. Von diesen sind zehn bereits in der klinischen Prüfung. Das heißt, es wird am Menschen getestet, ob der Impfstoff gut vertragen wird und sich nach Verabreichung des Präparats eine schützende Immunantwort aufbaut.Dass die Wissenschaft schon etwa fünf Monate nach Auftreten von Sars-CoV-2 auf diesem Stand ist, hält der Virologe Klein für einen wichtigen und beeindruckenden Fortschritt. „Noch nie waren wir so schnell bei der Erforschung einer neuen Infektionserkrankung“, erläutert Klein. Oft fällt in diesem Zusammenhang der Hinweis auf das HI-Virus, gegen das es bis heute – trotz jahrzehntelanger Forschung – keinen wirksamen Impfstoff gibt. Doch Florian Klein betont entscheidende Unterschiede: „Das größte Problem beim HI-Virus ist die sehr hohe Diversität. Das bedeutet, das Virus kommt in sehr vielen Varianten vor und kann schnell dem menschlichen Immunsystem entkommen.Auch Coronaviren können sich verändern, allerdings in einer deutlich niedrigeren Geschwindigkeit.“ Daher ist Klein durchaus optimistisch. Zwar wird es übereinstimmenden Experteneinschätzungen zufolge keinen zugelassenen Impfstoff in diesem Jahr geben, Klein geht aber davon aus, dass ein Einsatz im Rahmen erster größerer klinischen Studien vereinzelt möglich sein wird.Eine besondere Expertise der Virologie an der Uniklinik Köln liegt in der Isolation und der Nutzung von hochpotenten Antikörpern, die Viren wie HIV, Ebola und Sars-CoV-2 neutralisieren können. Dazu schaut man bei genesenen Patienten, ob diese geeignete Antikörper gebildet haben. Klein und seinem Team ist dies bereits in kürzester Zeit gelungen, die Vorbereitungen für eine klinische Anwendung laufen. Die Arbeiten zielen unter anderem darauf ab, besonders gefährdete Personen mit einer Antikörperinfusion über viele Monate hinweg vor einer Infektion zu schützen. Zusätzlich wird man laut Klein neutralisierende Antikörper zur Therapie von Covid-19 einsetzen und erhofft sich dadurch, die Erkrankung früher stoppen zu können.

Wieso es Hoffnung auf Medikamente gegen Covid-19 gibtZahlreiche Medikamente, die teils für völlig andere Erkrankungen entwickelt wurden, werden aktuell auf ihre Wirkung gegen das neuartige Coronavirus untersucht. Auch wenn der Großteil der Infizierten keine Behandlung benötigt: Eine wirksame Therapie würde dabei helfen, die Erkrankungsdauer zu verkürzen und schwere Krankheitsverläufe abzumildern.Remdesivir ist ein aktuell viel beachteter Wirkstoff, der ursprünglich zur Therapie von Ebola entwickelt wurde. Unter der Leitung des Infektiologen Gerd Fätkenheuer konnte auch an der Uniklinik Köln kürzlich gezeigt werden, dass Remdesivir bei schwer kranken Covid-19-Patienten zu einer beschleunigten Erholung führt. Das Medikament wirkt ersten weltweiten Studien zufolge, indem es die Vermehrung des Virus reduziert. Es scheint daher sinnvoll, dass es früh im Krankheitsverlauf verabreicht wird, um eine optimalen Effekt zu erzielen.„Bei einem frühen Behandlungsbeginn könnte man den Schaden, der durch das Virus selbst verursacht wird, wahrscheinlich besser begrenzen“, führt Klein aus. Zur Schwere einer Covid-19-Erkrankung tragen in ihrem Verlauf jedoch viele andere Faktoren bei, die nur mittelbar durch das Virus selbst ausgelöst werden – und somit durch antivirale Wirkstoffe nur schwer behandelbar sind. Zur Entwicklung einer Kombinationstherapie führt die Kölner Uniklinik verschiedene Studien mit unterschiedlichen Medikamenten durch.

Warum die Gefahr einer zweiten Welle nicht gebannt istOb und unter welchen Bedingungen es zu einer „zweiten Welle“ kommt, ist schwer prognostizierbar. Eine weit verbreitete Immunisierung, eine „Durchseuchung“ der Bevölkerung könnte hiervor schützen, nach Ansicht von Florian Klein allerdings gibt es diese aktuell in keiner Weise. „Es ist daher von zentraler Bedeutung, das Infektionsgeschehen optimal zu überwachen, um Infektionen erkennen und eine weitere Übertragung stoppen zu können“, erläutert Klein. Dabei komme es auch auf einen intelligenten und zielgerichteten Einsatz von Tests an.

Wieso uns Corona noch lange erhalten bleibtEs ist hochwahrscheinlich, dass sich Sars-CoV-2 zu einem „endemischen Virus“ entwickeln wird. Das heißt, es dürfte immer wieder einzelne Erkrankungen geben. Um diese sicher auszuschließen, bräuchte es eine breit angewandte und voll wirksame Impfung. Ob man das Virus generell wieder loswerden kann, ist fraglich: „Die Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens sind aus wissenschaftlicher Sicht gering“, so der Virologe. Eine endgültige Ausrottung würde eine weltweite und beinahe flächendeckende Impfung voraussetzen.Insgesamt haben Wissenschaft und Gesellschaft in den vergangenen Monaten viel über Pandemien gelernt und sind für eine erneute Pandemie besser gewappnet als vor einem halben Jahr. Klein ist von den unterschiedlichen Leistungen, die von den Menschen im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft erbracht worden sind, beeindruckt. Dennoch warnt er vor einem unvorsichtigen Umgang. „Weder das Virus, noch unsere Immunitätslage haben sich entscheidend verändert und ermöglichen wie zuvor eine schnelle Ausbreitung von Infektionen.“ Daher ist es laut Klein notwendig, in Zukunft auch Instrumente wie eine App heranzuziehen, um Infektionen schnell zu erkennen und die Infektionslast in der Gesellschaft klein zu halten.Ob es in naher Zukunft eine weitere Pandemie geben wird, lässt sich nicht sagen. Die Möglichkeit besteht. Auch Influenzaviren könnten eine solche Pandemie auslösen. „Die Kontrolle einer Pandemie braucht immer das Mitwirken der Gesellschaft “, so Klein. Auch hier gilt: Es wurde in den letzten Monaten viel erreicht.