Weil Verjährungen drohen, müssen Chef-Ermittler Tim Engel und sein Team jetzt neu priorisieren.
SteuerbetrugKölner Ermittlern läuft im Cum-Ex-Skandal die Zeit davon
Die Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft rund um den Cum-Ex-Skandal werden zu einem Wettlauf gegen die Zeit: Bei 34 von 130 Verfahren gibt es bereits Vorwürfe, die verjährt sind. Ende 2025 könnten es noch mal mehr werden – weshalb das Team um den neuen Chef-Ermittler Tim Engel jetzt knallhart sortiert.
Worum geht es beim Cum Ex?
Finanzjongleure hatten Aktien mit (lateinisch „cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch hin- und hergeschoben. Am Ende wurden Steuern erstattet, die gar nicht gezahlt worden waren. Der Staat wurde um einen zweistelligen Milliarden- Betrag betrogen.
Was hat das mit Köln zu tun?
Das geschädigte Bundeszentralamt für Steuern sitzt in Bonn, so landeten zahlreiche Verfahren in Köln – obwohl die Täter auch in anderen Bundesländern oder gar Ländern saßen. Chefermittlerin Anne Brorhilker wurde zum Gesicht der Kölner Cum Ex-Jäger, sie schmiss im letzten Frühjahr hin, wechselte zur „Bürgerbewegung Finanzwende“. Staatsanwalt Engel wurde ihr Nachfolger bei der „Hauptabteilung H“.
Was ist die Hauptabteilung H?
Der Zweig der Kölner Staatsanwaltschaft zur „Bearbeitung von Wirtschaftsstrafsachen in Zusammenhang mit sogenannten Cum/Ex-Geschäften“ wurde extra dafür geschaffen und personell zuletzt noch mal aufgerüstet. Es gibt 39 Stellen für Staatsanwälte, von denen aktuell 36 besetzt sind. Seit 2019 hat die Staatsanwaltschaft zwölf Anklagen erhoben. Limbach lobte am Mittwoch, in Köln sei „Pionierarbeit“ geleistet worden.
Warum sind Fälle verjährt?
Der Steuerbetrug hatte von 2006 bis 2011 seine Hochphase, die Verjährungsfristen waren nach dem Aufdecken extra von zehn auf 15 Jahre verlängert worden. Dennoch werden wohl bis zu zehn Beschuldigte ungeschoren davonkommen, so Engel. Allerdings wäre das nur ein Bruchteil der insgesamt 1700 Verdächtigen.
Was tun die Ermittler jetzt?
Ende 2025 könnten – selbst durch die Verlängerung der Fristen – wieder Fälle verjähren. Die sollen jetzt nach vorne gezogen werden. Auch wenn die Kölner Staatsanwaltschaft zeitnah weitere Anklagen plant, werden „zum Jahreswechsel vermutlich weitere Tatvorwürfe verjähren“, so Engel.
Was wird aus dem Geld?
Das will Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) auf jeden Fall wieder haben – egal, ob jemand durch Verjährung ungeschoren davon kommt: „Das ist Geld, das uns fehlt, um Kitas zu bauen, Schulen zu sanieren - und auch Gerichtsgebäude“, so Limbach. Der Staat habe leider „erst sehr spät mit der Verfolgung dieser Finanzkriminalität begonnen“ und verstanden, was da passiert ist. Dadurch geraten die Ermittler in Zeitdruck.
Warum sind die Ermittlungen so kompliziert?
Die Fälle sind komplex, die Menge der beschlagnahmten Akten riesig – und teilweise schwer zu verstehen: Weil vieles in zum Beispiel E-Mails auf Englisch und im „Bankenjargon“ (Zitat Engel) steht. Dazu kommt: „Wir haben es in der Regel nicht mit geständigen Tätern zu tun“, so der Chef-Ermittler. Manche würden erst auspacken, wenn sie merken, dass eine Anklage kurz bevor steht. Das wirkt sich aber wieder auf die Ermittlungen gegen andere Verdächtige aus.
Wie geht es weiter?
Keines der 34 von Verjährung betroffenen Verfahren soll eingestellt werden: Es geht jedes Mal um viele Beschuldigte, so dass man gegen die Anderen weiter ermittelt. Für die Staatsanwälte der „Hauptabteilung H“ ist das so viel Arbeit, dass man sich in der Führung erst mal breiter aufgestellt hat – und nicht alles auf eine Person zuläuft wie unter Brorhilker. Der Chef der Kölner Staatsanwaltschaft, Stephan Neuheuser, lobte das Team, „das leise und präzise, aber unbeeindruckt von außen und stetig arbeitet.“
Justizminister Limbach verwies auf das neue Landesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität, das „eine hochkompetente Ermittlungseinheit“ werde. Außerdem werde eine neue Zentralstelle für die Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzkriminalität bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf eingerichtet.
So will man laut Limbach künftig „frühzeitig sehen, wo sich wieder neue Kartelle aufmachen, wo neue Betrugsformen der Finanz- und Wirtschaftskommunität entstehen, um direkt schlagkräftig darauf antworten zu können.“