„Das ist Käfighaltung”Wie Förster Peter Wohlleben über Kölner Stadtbäume urteilt
- Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben bietet mit seiner Waldakademie Touren durch die Welt der Kölner Stadtbäume.
- Wir sind mit dem Sachbuch-Bestseller-Autor durch Köln spaziert und haben eine Menge über die Bäume am Wegesrand erfahren.
- So erklärt Wohlleben lebhaft an Beispielen, warum Straßenbäume oft unter Einsamkeit und Verstümmelung leiden.
- Wohlleben verrät aber auch, welche Baumart gewissermaßen der Kölner Dom unter den Straßenbäumen ist. Eine Best-Of-Geschichte.
Köln – Ein Stadtbaum zu sein, das ist kein leichtes Schicksal. „In der Kölner Innenstadt herrscht ein Extremklima wie in einer Steinwüste“, konstatiert Deutschlands bekanntester Förster, Peter Wohlleben. Das heißt: wenig Nährstoffe, knochentrockener verdichteter Boden und flirrende Hitze im Sommer. „Hier sind an einem heißen Sommertag die Temperaturen 15 Grad Celsius höhere als in einem Buchenwald vor den Toren Kölns“, erläutert der Bestseller-Autor („Das geheime Leben der Bäume“ und „Das Seelenleben der Tiere)“.
Stadtbäume sind die Straßenkinder unter den Bäumen. Ihnen geht es nicht besonders gut, was nach Auskunft von Wohlleben neben den klimatischen Bedingungen auch damit zu tun hat, dass sie viel zu schnell wachsen, weil sie - anders als die Artgenossen im Wald - zu viel Licht bekommen. Dadurch sind die Bäume im Wald viel stabiler und geerdeter. Und weil dem tapferen Gesellen Stadtbaum so selten die verdiente Aufmerksamkeit zuteil wird, findet Wohlleben, dass seine Zeit nun unbedingt gekommen ist.
Der Förster, der mit seiner Waldakademie sonst Führungen in der Eifel macht, kommt jetzt mit seinen Führungen nach Köln. Ziel ist es auf, auf Stadtrundgängen den Blick der Kölner für die Bäume um sie rum zu schärfen und künftig Spaziergänge zu dem Thema anzubieten: „80 Prozent unserer Baumbegegnungen sind Bäume, an denen wir täglich vorbei spazieren oder radeln, ohne sie zu beachten.“ Es soll deshalb diesmal eben nicht darum gehen, einen Ausflug ins Grüne zu planen und womöglich beim Waldbaden Entspannung zu finden, sondern im Alltag den Wert der Bäume zu erkennen.
Bäume als Gemeinschaftswesen
Warum in die Ferne schweifen, sieh’ der nächste Baum liegt doch so nah: In diesem Fall direkt nach dem Start des Spaziergangs an der Kirche Groß Sankt Martin. „Wir behandeln die Bäume – immerhin Lebewesen - wie Straßenmöbel“, meint er und zeigt in direkter Nähe der Kirche auf einen Bergahorn. Der ist eingekesselt in einem 50 Zentimeter hohen Erdaufbau, der quadratisch ummauert ist mit Backsteinen. Diese sollen die Passanten zum Verweilen einladen. Sieht schön aus, ist praktisch zum Sitzen, aber völlig vom Menschen aus gedacht.
„Für den Baum ist das weniger lustig. Eher so eine Art Käfighaltung, so wie ein Elefant in einem zu kleinen Gehege im Zoo.“ Von artgerechter Haltung keine Spur. Denn die Wurzeln – eigentlich der mit Abstand größte Teil des Baumes, in dem sich das eigentliche Leben abspielt, können sich überhaupt nicht ausbreiten. „Wenn der könnte, der würde sich sofort einen anderen Platz suchen.“
Wobei bei besagtem Silberahorn neben der Freiheitsberaubung noch ein weiteres schwieriges Los hinzukommt, das er mit vielen Stadtbäumen teilt: Einsamkeit. „Ahornbäume leben wie die meisten Laubbäume in Gesellschaft. Sie sind Gemeinschaftswesen, die sich auch mit anderen Bäumen ihrer Art vernetzen und sich bedingungslos unterstützen“, erklärt Wohlleben. Anders etwa als Obstbäume, die Einzelgänger sind.
Wohlleben und seine Mitarbeiter Laura Beusch und Josef Eichler versuchen, bei den Führungen viel Wissen über das Wesen der Bäume zu vermitteln und dabei Natur eben etwas anders zu vermitteln: Beseelt -und in einer unwissenschaftlichen Sprache, wissenschaftlich authentifiziert durch viele aktuelle Forschungsergebnisse, etwa denen des Zellbiologen und Pflanzenforschers Frantisek Baluska. Für die einen klingt das esoterisch, anderen ermöglicht das eine ganz neue Perspektive auf Natur.
Während der Führung erklärt Wohlleben, dass viele Baumarten als Gemeinschaftswesen auf beeindruckende Weise Solidarität vorleben. Ihre Wurzeln nehmen unterirdisch miteinander Kontakt auf, vernetzen sich und können mittels chemischer Signale mit einander kommunizieren. Sie geben zum Beispiel über ihre Wurzeln Zuckerlösung an andere, kranke Exemplare in ihrer Nähe ab.“ Oder sie tauschen Warnungen über Schädlinge aus. Wenn Bäume in der Stadt alleine stehen, dann werden sie nicht so alt, weil sie die Gemeinschaft brauchen, um lange zu überleben. Und wenn der Baum dann noch das Pech hat, neben einer Straßenlaterne zu stehen und dadurch eben nachts nicht zur Ruhe kommt, stirbt er nochmal früher.
Spätestens jetzt bekommt man Mitleid mit den vielen vereinzelten Kölner Innenstadtbäumen in ihrem Käfigrondell und die Gefahr besteht, dass man den Rest der Führung eher betroffen dreinschaut. Dass das nun eine deprimierende Veranstaltung wird, dem will Wohlleben auf jeden Fall entgegenwirken und eilt zum Alter Markt, um dort eine kleine Lindengruppe zu präsentieren, die vor einem Lokal auf dem Alter Markt steht und ihre Kronen wie ein Blätterdach zusammenstecken. „Denen geht es hier richtig gut. Ideale Voraussetzungen zum Altwerden.“
Diese Gruppenbildung – quasi Mini-Wäldchen in Städten – sei ohnehin der neue Trend, der aus den Niederlanden herüberschwappt. „Tiny forest“ nennt sich das und Wohlleben hofft, dass diese Art der „artgerechten Haltung“ auch in Köln Mode wird. Und dass ein bisschen mehr Vielfalt einzieht, statt immer nur Ahorn, Platanen oder Robinien. „Man sollte es doch auch mal mit Buchen versuchen. Oder warum nicht mit einer Eiche. Die findet man in Städten viel zu selten.“ Immer wieder weist Wohlleben darauf hin, welche erstaunlichen Dinge sich an einem Stadtbaum studieren lassen. „Einfach mal im Regen vom Rad absteigen und die V-förmige Form der Äste vieler Stadtbäume bestaunen. Die haben diese eigens zum optimalen Wassersammlung ausgeprägt.
Dadurch kann das Wasser bei Regen von den steilen Ästen den Stamm runter rinnt direkt ins Erdreich rinnen und der Baum sorgt für maximale Wasserausbeute. „Das ist faszinierend, wie das Wasser dann fast sturzbachartig runterschießt.“ Oder dass gerade Straßenbäume aus Erfahrung lernen: Jetzt wo die Winter oft später einziehen, hält der Baum gezielt die Blätter länger und betreibt Risikomanagement: „Im Sommer sammelt der Baum über die Blätter Zucker, den er im Winter konsumiert. Wenn er noch nicht genug Zucker im Tank hat, hält er die Blätter noch.“ Und traut sich das angesichts der sich ändernden klimatischen Bedingungen immer länger.
Verantwortung übernehmen
Es ist gerade diese Faszination für die Natur direkt vor der Haustür, für die Wohlleben werben will. „Nur wer den Wert der Natur um ihn herum erkennt, der kämpft auch dafür. Auch für den einzelnen Straßenbaum. Verantwortung für die Dinge vor der Haustür übernehmen, auch das ist Demokratie.“ Die Voraussetzungen dafür seien gerade in der Stadt sehr gut. Nicht nur weil die Artenvielfalt hier inzwischen größer ist als auf dem von Monokultur geprägten Land und wie er sagt in Berlin inzwischen die größte Habichtdichte der Welt zu finden ist.
Die Menschen in den Städten sind sensibilisiert - wahrnehmbar an Trends wie Urban- Gardening, Gemeinschaftsgärten, oder Stadt-Imkerei. Und in den Veedeln keimt sie schon auf, die Solidarität mit den Stadtbäumen. Zu besichtigen war das im Hitzesommer 2018 als die Menschen abends mit Gießkannen ausgerückt sind, um den Bäumen in Not Wasser zu spenden. Auch die Verwaltung hat gerade angesichts des Klimawandels die im Sommer kühlende und Feinstaub bindende Wirkung von Bäumen entdeckt und sich zum Förderer des Stadtbaums erklärt.
Nach der netten Linden-Gruppe muss Wohlleben aber nochmal den Finger in die Wunde legen: Um die Ecke stehen fünf Ahornbäume in Reihe. Bei gleich zwei von ihnen ist ein vom Stamm ausgehender tragender Hauptast in einem glatten Schnitt abgetrennt. „Kettensägenmassaker“ nennt er so eine Art „von brutaler Verstümmelung“, die für den Baum auf lange Sicht fatal sei, aber an sehr vielen Stadtbäumen zu besichtigen ist, wenn die sich in problematische Richtung ausdehnen. „Jeder dieser rabiaten Schnitte verkürzt die Lebensdauer des Baumes signifikant.“
Ein Einfallstor für Pilze und Fäulnis, eine Wunde, die der Baum nicht schließen kann. Und was viele nicht wüssten: unterirdisch gehe das Massaker weiter, da in der Folge auch Wurzeln dieses Baumteils absterben, was wiederum die Stabilität beeinflussen kann. „Kein Schnitt, der breiter ist als ein Zwei-Euro-Stück. Das ist die Faustregel.“ Das Mittel der Wahl sei der Kronenschnitt, der behutsam von oben runter arbeite.
Beziehungsschwierigkeiten
Und noch ein Missverständnis räumt er aus: Dass Bäumen egal ist, neben wem sie stehen. Auch bei den Bäumen könne längst nicht jeder mit jedem. Nicht nur, dass Kastanien nicht mit Buchen könnten. Auch bei derselben Art gebe es bisweilen Beziehungsschwierigkeiten. Zu besichtigen bei der Zwangsheirat der jungen Robinien in der Nähe der Domplatte. Die veredelten Bäume sind eine Zwangsverbindung aus aus zwei Arten, damit eine noch schönere Blüte rauskommt. Aber sie können sich nicht riechen. Zu besichtigen ist die sehen an den beiden Stammarten. Statt einen gemeinsamen Stamm auszubilden, verweigert sich der untere Stammteil. Der obere wächst alleine weiter.
Führungen in Köln
Unter dem Titel „Stadtbäume – eine einzigartige Führung durch Köln“ startet die Wohlleben-Akademie ab Mittwoch, 29. Mai ihr neues Angebot. Die Führungen werden durchgeführt von der Naturpädagogin Maura Beusch und Forstwirt Josef Eichler. Sie finden jeweils zwischen 19 und 21 Uhr statt, um in Form eines Feierabendspaziergangs den Alltagsblick auf Straßenbäume zu schärfen. Startpunkt ist vor Groß St. Martin. Sie erfahren, wie Bäume schlafen, ob der Baumschnitt ihnen weh tut und wie Bäume unsere Gesundheit fördern. (ari)www.wohllebens-waldakademie.de
Dass die Menschen sich plötzlich sehr für die Natur und ihre Zusammenhänge interessiert, wundert Wohlleben nicht. „Die Zeit ist einfach reif.“ Nicht nur, weil in der Wahrnehmung der Menschen der Klimawandel die Flüchtlingsfrage als drängendstes Problem abgelöst habe. „Die Menschen suchen eine Balance.“ Angesichts von permanenter Beschleunigung, Digitalisierung und Technisierung gebe es die Sehnsucht nach Kontakt mit der Natur, um sich als Teil eines großen Ganzen zu fühlen. In diesem Sinne endet der Spaziergang mit einem kraftvollen Statement, was dem Straßenbaum alles möglich ist, wenn man ihn denn lässt: Die Platane auf dem Wallrafplatz nennt Wohlleben „den Kölner Dom“ unter den Kölner Straßenbäumen. Sie kann ihre Wurzeln über die gesamte Platzfläche ausdehnen. So viel Bewegungsfreiheit honoriert sie mit einem weit gespannten Blätterdach, unter dem im Sommer alle Platzbesucher Kühlung finden.
Diese Geschichte ist zuerst im Mai 2019 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen.