Demo für RheinzugangViel Wut in Worringen
Köln-Worringen – Der Aufruf zur Revolte kam kurz vor Schluss. Ein älterer Mann stand auf, griff zum Mikrofon und brüllte: „Lasst uns unsere Heimat nicht von irgendwelchen Pappnasen wegnehmen. Wir müssen das Gebiet jetzt komplett verteidigen und keinen Schritt zurückgehen. Ihr müsst euren Raum schützen. Alle Pfähle müssen weg“. Das Publikum tobte. Mal wieder.
Dass es eine schwierige Informationsveranstaltung wird, ahnten alle Beteiligten. Vor einigen Wochen umzäunte Straßen NRW die Rheinaue Worringen-Langel, Spaziergänge am Rhein sind nicht mehr möglich (wir berichteten). Das Areal dient als Ausgleichsfläche für den Bau der neuen Leverkusener Brücke. In der Aue gilt nun ein Beweidungskonzept, Kernstück des städtischen Pflege- und Entwicklungsplans (Pepl), um das seit 1991 unter Naturschutz stehende Areal zu schützen. Die vorgelagerten Wiesen und das Ufer sind mit Pflöcken, Stacheldraht und Elektrozaun gesichert, der Durchgang ist verboten. Glanrinder grasen auf den rund 31 Hektar großen Wiesen. Einzig neben dem Naturschutzgebiet und am Werthweg ist der Zugang zum Wasser geöffnet.
Störungen durch „unerlaubte Freizeitnutzung werden damit eingedämmt“, sagt die Stadt. Die Anzahl an Besuchern in der Rheinaue ist hoch, nicht alle halten sich an die Regeln des Naturschutzes. Immer wieder laufen Hunde trotz Verbots nicht an der Leine, verlassen Menschen vorgegebene Wege, betreten Wiesen, grillen, zelten, hinterlassen Müll. Das Naturschutzgebiet, sagt die Stadt, werde empfindlich gestört. Nur im Spätherbst und Winter ist der Rhein noch zugänglich – für viele Worringer eine unerträgliche Vorstellung.
Unbekannte zerstören Zäune
Seit Wochen breitet sich der Frust in sozialen Netzwerken aus, Unbekannte zerstörten Teile der Zäune. Die Infoveranstaltung von Stadt und Straßen NRW diente vielen denn auch als langersehntes Ventil. Rund 250 Menschen kamen ins Worringer Vereinshaus. Einige zeigten Plakate, etwa mit der Aufschrift „Nein zur Beweidung“ und „Der Rhein für Menschen und Tier“. Vertreter der Stadtverwaltung und von Straßen NRW kamen nicht zu Wort oder wurden nach wenigen Sätzen niedergebrüllt. Immer wieder musste der Moderator beschwichtigen, die Stimmung im Publikum eskalierte trotzdem weiter.
Nach 45 Minuten drohte der Moderator mit dem Abbruch der Veranstaltung – was zumindest den Versuch einer konstruktiven Diskussion ermöglichte. Viele Worringer schmerzt, dass sie nicht mehr an „ihren“ Rhein können, für sie ein wichtiges Naherholungsgebiet. „Das ist unsere Heimat und ihr nehmt sie uns weg“, so der Vorwurf. „Wieso wurden wir nicht im Vorfeld befragt?“, sagte eine Frau. „Soll ich meinen Kindern erklären, dass Naturschutz wie Stacheldraht aussieht?“, rief eine andere. „Keiner stellt das Naturschutzgebiet in Frage“, erläuterte ein Mann. „Aber Sie entfremden die Menschen von der Natur.“
Der Elektrozaun könne Kinder gefährden, der Stacheldraht Vögel und andere Tiere. Ein weiterer Vorwurf der Anwohner: Es habe keine Informationen gegeben. Sie fühlen sich von der Umfriedung überrumpelt, zumal die Infoveranstaltung stattfand, nachdem Fakten geschaffen wurden. Zwar informierte die Stadt in den vergangenen Jahren über den Pepl-Plan und eine geplante Umzäunung – das genaue Ausmaß aber erklärte sie nicht. „Hätten wir damals gewusst, dass der komplette Rhein abgesperrt wird, hätten wir uns viel früher gewehrt“, sagt Kaspar Dick, Vorsitzender des Worringer Bürgervereins. „Wir sind mit dem Rhein groß geworden. Wenn wir nicht mehr ans Wasser können, werden wir das nicht akzeptieren.“
Joachim Bauer, stellvertretender Leiter des Grünflächenamts, erklärte auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir kannten das genaue Ausmaß damals selber nicht.“ Als Straßen NRW für den Bau der Brücke eine Ausgleichsfläche benötigte, wurden die Pläne konkreter. „Wir hätten die Bevölkerung früher informieren sollen“, räumt Bauer ein, sagt aber auch: „Die Zäune sind keine erzieherische Maßnahme. Es geht in erster Linie um Naturschutz. Es gibt in Worringen eine einmalige Natur, die gilt es zu erhalten.“ Und da gehöre es eben dazu, dass Menschen bestimmte Flächen nicht betreten dürfen.
Ein Besucher schlug vor, den Zaun zu verschieben, damit der Treidelpfad direkt am Wasser frei bleibt, ein anderer, dass seitlich vom Werthweg ein Teil des Rheins zugänglich wird. Die Stadt sagte zu, einige Vorschläge zu prüfen. Auch anwesende Politiker, die stellvertretende Chorweiler Bezirksbürgermeisterin Eike Danke (SPD) und Ratsfrau Birgitta Nesseler-Komp (CDU) sagten zu, das Thema auf verschiedenen Ebenen erneut zu diskutieren. Die Worringer verstärken derweil ihren Protest: Sie sammeln Unterschriften für eine Petition, um die Rheinzugänge zu erhalten.
Schutz für Flora und Fauna
Seit dem Jahr 2000 besteht der Pflege- und Entwicklungsplan (Pepl), der Ziele und Maßnahmen für den Schutz und die Entwicklung der Rheinaue Worringen-Langel enthält. 2014 wurde er überarbeitet. Im Naturschutzgebiet Rheinaue-Langel liegen zahlreiche geschützte Biotope mit seltenen Vogel- und Pflanzenarten, unter anderem den Wiesenpieper, der am Boden brütet. Die Fläche ist mit seinen großen Wiesen direkt am Ufer in Köln laut Stadt einzigartig. Der Pepl-Plan sieht vor, dass Glanrinder von etwa März bis spätestens November die Weiden abgrasen und diese so „pflegen“. Flora und Fauna kann sich in Ruhe entfalten. Gleichzeitig schützen die Rinder Brut- und Nistplätze seltener, teils bedrohter Tiere. Laut Pepl soll auch die Uferzone verstärkt sich selbst überlassen werden. Ein Wegekonzept soll Besucher von Trampelpfaden auf angelegte Wege lenken. (pew)
Thema in der Bezirksvertretung
Der im Jahr 2014 überarbeitete Pflege- und Entwicklungsplan (Pepl) wurde auch in der Bezirksvertretung Chorweiler diskutiert. Sie erhielten den Entwurf im Juni 2015 und führten daraufhin eine Ortsbesichtigung durch. Im Oktober 2015 empfahlen die Bezirksvertreter der Stadt einige Änderungen. Sie regten unter anderem eine Besucherplattform an, ausgestattet mit Infotafeln. Sie baten die Stadt auch um Hundefreilaufwiesen außerhalb der Natur- und Landschaftsschutzgebiete und eine erkennbare Wegeführung durch das Schutzgebiet. Sie forderten, die beiden Zugänge von Worringen zum Rhein zu erhalten, „damit auch hier die Möglichkeit bleibt, den Fluss erleben zu können.“ Zudem baten sie um Broschüren und Info-Veranstaltungen, um Anwohnern die Pläne zu erklären. Der Umweltausschuss übernahm die so geforderten Änderungen im Frühling 2016 in den Pepl.