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Edelweißpiraten in KölnDie unangepassten Kölner Mädchen der NS-Zeit

Lesezeit 6 Minuten
Edelweißpiraten

Suche nach Unbeschwertheit in Kriegszeiten: Klamottentausch auf  Fahrt 1941.   

  1. Das neue Buch „Wie die Freiheit wächst“ von Frank-Maria Reifenberg zieht uns hinein in die Konflikte und Krisen des Zweiten Weltkriegs, in ein Köln zwischen Bombenangriffen und Lagerfeuer im Volkspark.
  2. Reifenberg las dafür Zeitzeugenberichte, Briefe und Tagebücher und recherchierte vor allem mit Unterstützung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln.
  3. Wir stellen das Buch vor.

„Ich war noch so lange mit den anderen vom Leipziger Platz in der Gaststätte Miebach in der Siebachstraße. Jugendliche unter 18 dürfen ja schon seit Januar abends nach neun nicht mehr draußen sein, aber der Wirt lässt uns ins Hinterzimmer.“

Frank-Maria Reifenberg fährt mit dem Rad noch ein bisschen orientierungslos durch seine neue Nachbarschaft. Dass er ausgerechnet in Nippes sein neues Zuhause gefunden hat, mag reiner Zufall sein. Aber den Umzug hierher möchte man als Fügung erzählen. Geht nicht anders: Er wohnt jetzt in der selben Straße wie seine Romanheldin. An der Ecke zur Siebachstraße zeigt er auf das griechische Lokal. Hier stand früher das „Miebach“. Die Wirtschaft, in der sich im Oktober 1942 der Klub der Edelweißpiraten gründete. Von 15 Jungs, die einfach nicht mehr mitmachen wollten.

Viele Kölner kennen heute die Heldengeschichten der Jugendlichen um etwa Bartholomäus Schink, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in den Widerstand gingen. „Die wollte ich aber nicht noch mal erzählen“, sagt der Kölner Autor. Ihn haben die Jugendlichen jenseits der wenigen bekannten Namen interessiert. Die Unangepassten, von denen es in den 30er und 40er Jahren gerade in den Großstädten Tausende gab. Sie hießen in Köln Edelweißpiraten, in Wien „Schlurfs“, in Hamburg „Swing-Jugend“. Bei allen Unterschieden wollten sie vor allem eines: Sich nicht mehr bevormunden lassen. Ein alternatives Leben leben. Das war nicht immer politisch motiviert. Jung zu sein, reichte da manchmal aus.

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 In seinem neuen Buch schreibt der Kölner Autor Frank-Maria Reifenberg aus dem Alltag der Edelweißpiraten.

Reifenberg las Zeitzeugenberichte, Briefe und Tagebücher und recherchierte vor allem mit Unterstützung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. „Auf den Fotos habe ich immer Mädchen gesehen, die in den offiziellen Dokumentationen aber nicht auftauchten.“ Sie seien von der Gestapo als potenziell politische Akteure schlicht nicht ernst genommen worden. Auch deswegen wollte der 56-Jährige den Mädchen aus dieser Zeit eine Stimme geben. Die Hauptfigur seines Buches heißt nun Lene, ist 16 Jahre alt, wohnt in Spuckweite vom Miebach – und hat sich in Erich, einen Edelweißpiraten, verliebt. Mit ihrem Aufbegehren, ihren Sehnsüchten und Zweifeln bringt sie uns an den Ort, „wo die Freiheit wächst.“

Der Autor und das Buch

Frank-Maria Reifenberg, 56 Jahre, lebt und arbeitet in Köln. Seit fast 20 Jahren schreibt er Drehbücher und Romane. 2014 wurde er von der Leipziger Buchmesse und der Stiftung Lesen mit dem Leipziger Lesekompass für „Die Schattenbande legt los“ ausgezeichnet. An der Universität zu Köln ist er Lehrbeauftragter für die Leseanimation von Jungen, für die er sich seit 2008 engagiert.

Frank-Maria Reifenberg, „Wie die Freiheit wächst“, Briefroman zum Widerstand der Edelweißpiraten, 384 S., illustriert von Felicias Horstschäfer, Ars Edition, 12,99 Euro

LesungZur Einstimmung auf das Edelweißpiratenfestival liest Frank-Maria Reifenberg am Donnerstag, 4. Juli, aus seinem Briefroman „Wo die Freiheit wächst“ im NS-Dokumentationszentrum in Köln, am Appellhofplatz 23-25. Beginn: 19 Uhr, Eintritt: 4 Euro, ermäßigt 2 Euro.www.wodiefreiheitwaechst.de

Mädchen auf Fahrt

In den Statuten der Edelweiß-Piraten wurden Mädchen zwar vom Klub ausgeschlossen, sie gesellten sich dennoch dazu. Sie gingen beispielsweise mit auf Fahrt. „Jungen und Mädchen sind mit Mundharmonika und Klampfe los ins Bergische oder in die Eifel“, erzählt Reifenberg. Sie wanderten gegen den Drill, sangen umgedichtete HJ-Lieder gegen den Militarismus und rebellierten mit langem Haar und alpinem Look gegen die Uniformiertheit. Es gebe da ein schönes Fundstück, sagt Reifenberg, und zeigt ein Foto, auf dem Mädchen und Jungen auf einem ihrer Ausflüge die Kleidung getauscht hatten. Ein Spaß, ein ungeheuerlicher damals, als die staatliche Erziehung strikt nach Geschlechtern getrennt vollzogen wurde. Wer als Mädchen bei solchen bündischen Vergnügen erwischt wurde, war verpönt. Es galt als verlottert noch über den Krieg hinaus. Die Gestapo verfolgte freiheitsliebende Jugendliche wie Kriminelle: Allein zwischen Oktober 1943 und Februar 1944 wurden mehr als 200 junge Kölner in die Arbeitsanstalt Brauweiler eingewiesen. Für Tage oder Wochen. „Ich war bei der Recherche vor allem davon beeindruckt, dass die Jugendlichen nicht besonders konspirativ unterwegs waren.“ Ihr Widerspruch war sichtbar. Sie trafen sich gegen Ende des Krieges zu Hunderten an den Bunkern und auf Plätzen. Auch hier in Nippes, wie am Leipziger Platz. Heute ein Spielplatz, damals Treffpunkt der Abweichler.

Möglichst authentisch wollte Reifenberg vom Kriegsalltag der Jungen und Mädchen erzählen – und entschied sich dafür, seine Protagonisten Briefe schreiben zu lassen. „Sie waren damals das zentrale Kommunikationsmittel“, sagt er. Allein um die 40 Milliarden Feldpostbriefe wurden seinerzeit verschickt, in denen man sich vor allem vergewissern wollte: Gibt es das alte Leben noch? „Es waren, Beteuerungen von Liebe und Überlebenswillen.“ Und es gab zudem Schmähbriefe, die es tatsächlich an der Zensur vorbeischafften. Auch Lene muss sich etwas einfallen lassen, damit ihre Wut-Schreiben durchkommen. Sie schreibt sich mit ihrem Bruder Franz an der Ostfront, ihrem Bruder Kalli, dem HJ-Fanatiker, ihrer Freundin Rosi auf dem Land und eben ihrem Wandervogel Erich. Sie erzählen aus ihrer Sicht und Situation – mit allen Widersprüchen, die man ihnen als Leser zugestehen muss. „Keiner der Figuren“, so Reifenberg, „ kennt das gesamte Geschehen, wie es ein rückblickender Erzähler könnte.“

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Der Autor im  Reichsbahnbunker in Nippes, den er ebenfalls  in seinem Buch erwähnt.      Der Bunker befindet sich am Ende der Wagenhallenstraße  und kann jeden zweiten und vierten Sonntag    zwischen  10 bis 16 Uhr besichtigt werden. www.ag-festung-koeln.de

Die Konstellation der Figuren ist erfunden, der Rest ist fürchterlich wahr – und stammt zum Teil aus der eigenen Familiengeschichte. „Gewidmet habe ich das Buch meinem Onkel Otto“ –der sei mit dem Brief seiner Mutter in der Hand in der Ukraine gestorben. Blutbefleckt gelangte das Schreiben wieder nach Hause, wo es seither wie ein Souvenir des Grauens aufbewahrt wurde.

Die Herausforderung, die vielen recherchierten Fakten wie beiläufig zu erzählen, ist offensichtlich. Die Korrespondenz ist deshalb ungewöhnlich lang, aber verzeihlich. Denn sie schafft es, ein ungeheuer dichtes und detailreiches Bild auch der Kölner Szene zu zeichnen. Sie zieht uns hinein in die Konflikte und Krisen zwischen Bombenangriff und Lagerfeuer im Volkspark – zwischen totaler Katastrophe und Sehnsucht nach Normalität. Es geht um das Erwachsenwerden in einer Kriegsgesellschaft, in der schließlich jeder ums Überleben kämpft. Mit voller Wucht trifft das Unvorstellbare den Leser. Und nicht nur den jugendlichen.

„Mir war es dabei immer wichtig, sich nicht vom Eindruck einer Opferrolle der Deutschen überwältigen zu lassen“, betont Reifenberg. Denn es geht auch darum, dass man alles hätte wissen können. „Ich bin nicht dumm“, sagt Lene einmal aufgebracht. Sie weiß Bescheid. Sie ist dagegen und sie zeigt es. Deshalb würdigt Reifenberg mit seinem Buch alle „Jungen und Mädchen, die sich damals trauten, anders zu sein. Und denen, die auch heute den Mut haben, sich für eine Gesellschaft der Vielfalt, Freiheit und Offenheit einzusetzen.“