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Live Music Hall wird 35Momente des Wahnsinns in Kölns ältester „Rock-Fabrik“

Lesezeit 5 Minuten
Georg Schmitz-Behrenz und Micki Pick auf der Bühne

Georg Schmitz-Behrenz (l.) und Micki Pick sind Betreiber der Live Music Hall.

1990 startete an der Lichtstraße in Ehrenfeld eine Erfolgsgeschichte: Die Live Music Hall zählt bis heute zu den beliebtesten Konzertstätten in NRW.

Sie ist Kölns älteste noch bestehende „Rock-Fabrik“. Als aus der ehemaligen Blechschlosserei an der Lichtstraße in Ehrenfeld die Live Music Hall hervorging, gab es noch kein E-Werk, Palladium oder andere Veranstaltungsorte dieser Art. So einiges war 1990 noch anders in Köln – nicht geändert dagegen hat sich die Anziehungskraft des 1300 Zuschauer fassenden Konzert- und Partydomizils. Zum 35-jährigen Bestehen der Live Music Hall blicken die beiden Betreiber Mick Pick und Georg Schmitz-Behrenz auf ganz besondere Zeiten, Anekdoten sowie Momente des Wahnsinns.

Verlassene Bühne während Corona

Es ist der 12. März 2020. Covid grassiert, Micki Pick und Schmitz-Behrenz sind verunsichert. Das Konzert von Rex Orange County absagen, oder nicht? Am 13. März wird schließlich verkündet: Bis auf Weiteres finden keine Veranstaltungen mehr statt. Da wussten die beiden Chefs noch nicht, dass sie ein paar Jahre mit der Situation leben müssen. Ein Jahr nach dem ersten Lockdown beklagt Pick in der leeren Halle die Ohnmacht, die verlassene Bühne. Die Planungsunsicherheit. Die Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, Konzerte werden verlegt, bis zu dreimal.

Backstage der Live Music Hall: Was hier passiert, bleibt in der Regel auch dort. Durch diesen Bereich sind schon alle möglichen Künstler marschiert.

Backstage der Live Music Hall: Was hier passiert, bleibt in der Regel auch dort. Durch diesen Bereich sind schon alle möglichen Künstler marschiert.

„Es war eine harte Zeit“, sagt Schmitz-Behrenz heute. „Wir haben uns von Zuschüssen zu Zuschüssen gehangelt. Haben versucht, uns neu zu erfinden, denn wir wussten: Danach wird es nicht mehr so weitergehen wie vorher.“ Hygienekonzept, Konzerte mit Maskenpflicht, Einlass nur mit Test oder Impfung, 200 statt 800 Menschen im Saal: Doch internationale Konzerttouren werden meist ein Jahr im Voraus geplant, das Meiste ist einfach ausgefallen. Die immer neuen Verordnungen der Länder haben es den Kulturschaffenden schier unmöglich gemacht, verlässlich zu veranstalten. Einziger Trost in dieser Zeit: „Die WDR-Produktionen für das Tauschkonzert mit kölschen Bands“, sagt Pick. Die Halle konnte temporär vermietet werden. Was von der Pandemie übrig geblieben ist: das veränderte Ausgehverhalten der Jugend.

Die Macken der Musiker

Zucchero, Nena, Blondie, Linkin Park, Sheryl Crow und und und: Die Liste der namhaften Bands oder Solo-Künstler, die in der Halle aufgetreten sind, ist immens. Nirvana, Beastie Boys, Tupac oder Soundgarden gibt es längst nicht mehr, Oasis dagegen sind seit ein paar Monaten wiedervereint.

Die Brüder Noel (l) und Liam Gallagher von der Band Oasis lachen bei der Verleihung der NME Carling Awards.

Die Brüder Noel (l.) und Liam Gallagher von der Band Oasis traten 1995 in der Live Music Hall auf. Das Archivbild stammt aus dem Jahr 2001.

Vor den Gallagher-Brüdern haben Pick und Schmitz-Behrenz am 12. November 1995 gehörigen Respekt: Ihre Launen und auch Zerstörungswut sind legendär. Doch an diesem Abend sind sie handzahm – ganz im Gegensatz zu den Rockern von Monster Magnet: Sie verwüsten den frisch renovierten Backstage-Bereich, sodass am Tag danach neue Türen und ein neuer Teppich bestellt werden müssen.

Portrait von Iggy Pop

Iggy Pop wollte, dass ihn auf dem Weg zur Bühne keiner sieht.

Pick und Schmitz-Behrenz erinnern sich auch noch gut an Punk-Legende Iggy Pop: „Auf dem Weg zur Bühne durfte ihn keiner sehen. Wir mussten alle in unsere Büros“, erinnert sich Pick. Und die schwergewichtigen Weathergirls seien immer nach ein paar Songs hinter die Bühne zu einem Gerät verschwunden. „Die mussten jedes Mal Sauerstoff inhalieren.“

Das legendärste Konzert und der schrägste Auftritt

1998 kommt Prince nach einem verkorksten Auftritt in der Lanxess-Arena mit seinem Gefolge in die Live Music Hall. Er gibt eine Aftershowparty und spielt ohne Gage von ein Uhr nachts bis vier Uhr morgens. In der Arena hatte er gerade mal 60 Minuten geschafft.

Prince steht auf einer Bühne und spielt Gitarre

Der 2016 verstorbene Musiker Prince begeisterte bei einer Aftershowparty 1998 in der Live Music Hall.

Wütende Pfiffe dagegen gibt es beim Konzert des Reggae-Künstlers Eek a Mouse. „Der war völlig bekifft, hat sich hinter eine Box gesetzt und von dort gesungen. Das Publikum hat ihn gar nicht sehen können und fing an, zu pfeifen. Alle dachten, das käme vom Band“, erinnert sich Pick. „Nach 90 Minuten ist der Typ dann aufgestanden und hat gesagt: vielen Dank für den geilen Abend. Und Tschüss.“

Campierende K-Pop-Fans und sparsame Hip-Hop-Jugend

Sechs Tage sei der Rekord gewesen. Fans von koreanischem Pop, die Szene nennt sich K-Pop und ist international erfolgreich, möchten in der ersten Reihe stehen. Dafür scheuen sie keine Schlange und keine körperlichen Strapazen. „Die haben Proviant dabei, wechseln sich ab. Ich habe ihnen schon versprochen, dass sie auf jeden Fall in die erste Reihe kommen, sie sollen ruhig nach Hause gehen. Aber nichts zu machen“, sagt Pick. Der hat für so manchen Fan schon den Hof der LMH geöffnet, damit sie auf die Toilette gehen können.

Wirtschaftlich unattraktiv seien Hip-Hop-Konzerte. Die seien zwar gut ausgelastet, doch die Jugend dort verzehre kaum etwas. „Ich nenne sie immer die Zahnspangen, 18-Jährige, die so lange für das Ticket sparen, aber kaum trinken.“ Noch schlimmer seien die Konzerte mit Youtubern. „Die Tickets kosten richtig viel. Die spielen dann vielleicht eine halbe Stunde auf der Bühne, machen sonst an Stationen Selfies oder geben Autogramme. Bei den horrenden Summen bleibt dann auch nichts mehr übrig fürs Getränk“, so Pick. Zum Glück gebe es aber auch Pop- oder Rockkonzerte, bei denen es immer noch anders laufe. Aber: Der Trend zum weniger Alkohol sei deutlich spürbar. Und der des Draußenfeierns auch. „Vor Corona fing das an, aber Jugendliche feiern heute mehr in den Parks und haben mehr Freizeitmöglichkeiten als wir noch“, sagt Schmitz-Behrenz.

35 Jahre Live Music Hall: Eingang in den Hof

Eingang der Live Music Hall in Ehrenfeld

Ehrenfeld: Von Kulturmeile zum „Kranenland“

Als 1990 die Fabrikhalle in der Lichtstraße 30 verfügbar war, brachte sie das Wichtigste mit: die Schallisolierung. Da war noch nicht viel los im späteren und mittlerweile gentrifizierten Partyhotspot. „Damals hielt man Ehrenfeld für Punk-Dreck“, sagte Pick einmal. Doch dann entstand das, wofür das Veedel so beliebt wurde: eine Kulturmeile. Das Underground, Clubs wie Papierfabrik, Sensor, das Barinton und Heinz Gaul. Mittlerweile alles weg. Sie wichen den Baukränen und Neubauten. Die Politik sah jahrelang zu und unternahm nichts. Das habe sich geändert. „Die Stadt hat es mittlerweile verstanden und hier ist jetzt Kulturschutzzone.“ Kultur müsse bei Bauprojekten also mitgedacht werden.

An einen möglichen Ruhestand denken der 68-jährige Pick und der 61-jährige Schmitz-Behrenz noch nicht. „Solange Kopf und Füße funktionieren, machen wir weiter“, sagt Pick. Die beiden sind seit 30 Jahren ein eingespieltes Team. Als Geschäftspartner haben die beiden mehr Zeit miteinander verbracht, als mit sonst jemandem. Wie in einer Ehe bleiben die Kniffe nicht aus. „Wenn verhandelt wird, brauchen wir uns nur in die Augen zu schauen und man weiß direkt, wenn man etwas bleiben lassen sollte“, so Pick. 

Zum 35. Geburtstag plant die Live Music Hall eine große Feier mit geladenen Gästen. Die Sause zum 30. war coronabedingt ausgefallen. Gäste haben Samstag, 5. April ab 23 Uhr bei der beliebten Party mit 80er-, 90er-und Nullerjahre-Hits freien Eintritt.