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Krematorium Westfriedhof KölnUrnen-Verschwinden nicht zu erklären

Lesezeit 3 Minuten

Der Sarg mit der Nummer 591 auf seinem Weg in den Verbrennungsofen.

Die 591 ist als nächstes an der Reihe. Helles Kiefernholz, kupferfarbene Verschlussklappen. Ein schlichter Sarg. „In 80 Minuten ist daraus, und aus dem Menschen darin, Asche geworden“, sagt Paul Dittrich (Name geändert). Er arbeitet seit anderthalb Jahren in der Verwaltung im Kölner Krematorium am Westfriedhof, seinen richtigen Namen will er nicht veröffentlicht wissen.

Mit ruhigen Schritten geht er durch den Betrieb, in dem vor einigen Tagen eine Urne spurlos verschwunden und bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. „Das ist schlimm, ganz schlimm“, sagt Dittrich leise, und bleibt in dem breiten Flur des Gebäudes stehen. „Ich schaue jetzt immer zweimal auf das, was über meinen Tisch geht“, sagt er. Hinter ihm steht der Schrank, in dem bis vor kurzem die Urnen in Kartons lagerten – auch die Urne, die wie vom Erdboden verschluckt ist. Jetzt stapeln sich Akten in dem Schrank.

Die Urnen habe man umgelagert, sagt Dittrich. Die stünden neuerdings im Büroschrank, das Büro sei abschließbar. Zum Flur, und damit auch zu den Urnen, habe bis vor kurzem noch jeder Zugang gehabt. Hier im Krematorium kann sich trotzdem niemand erklären, wie da etwas verschwinden konnte. Wer sowas mache, fragt Dittrich, „wer geht denn einfach so ins Krematorium und nimmt sich eine Urne aus dem Schrank?“

Von irgendwo hört man Rumoren. Der Betrieb muss weitergehen – der peinlichen Geschichte mit der verschwundenen Urne zum Trotz. Das Rumoren wird lauter. „Das sind Rußbläser, die die Verbrennungsöfen reinigen“, erklärt Dittrich. Durch Milchglasfenster fällt Sonnenlicht auf weiße Kacheln, von draußen tönt Vogelgesang. Dittrich steht in dem Raum mit den Öfen, es sind drei Stück. Bis zu 30 Särge werden täglich in die triebwerkgroßen Anlagen hineingeschoben, 5500 im Jahr.

Schamottstein gewährleistet Identifikation

Mitarbeiter des Krematoriums ziehen die Särge zuerst aus dem Kühlraum, schieben sie dann auf Einfuhrschienen vor die Ofenklappen. „Ich weiß nicht, wonach, aber manchmal riecht das hier fürchterlich“, sagt Dittrich. Heute riecht es nur nach frischem Holz. Zehn Särge stehen nebeneinander vor den Öfen, jeder auf einem Rollbrett. Auf jedem befindet sich eine Nummer, mit Kreide geschrieben. In den Särgen liegt ein feuerfester Schamottstein mit eben dieser Nummer. Der Stein gewährleistet ewige Identifikation der Asche, er soll Verwechslungen verhindern. Wie sie im Oktober 2013 aber dann doch passiert ist – damals war ein Sarg verschwunden.

Erst Tage später stellte sich heraus, dass ein Mitarbeiter zwei Särge verwechselt hatte und die falsche Leiche verbrannt worden war. „Für die trauernden Angehörigen ist das eine Katastrophe“, sagte der damals betroffene Bestattungsunternehmer. Er forderte „eine bessere Organisation und Dokumentation“ im Krematorium. Dem ist die Stadt nachgekommen: Teile des Gebäudes sind seit November 2013 videoüberwacht, seit Januar auch der Anlieferungsbereich für Särge sowie der Zugang zum Kühlraum. Ab Anfang April können Bestatter die Anlage nur noch mit Chipkarten betreten.

Paul Dittrich steht vor einem der Computer, mit denen sich die Einäscherungen steuern lassen. Mit einer Gravurmaschine werden hier auch die Urnendeckel beschriftet. Der Sarg mit der Nummer 591 wird jetzt bis unmittelbar vor die Ofentür geschoben und aufgebockt. Der Mechanismus macht kurz Halt. Im Ofen sorgen Ventilatoren dafür, dass die Flammen nicht herausschlagen. Die Tür fährt nach oben. Im Innern glüht die Glut, für Sekunden strömt Hitze heraus. Der Sarg fährt hinein, die Klappe senkt sich. Und dann ist die 591 nicht mehr zu sehen.