Die Pläne für das Liebigquartier sind vielfältig. Doch die Umsetzung könnte noch Jahrzehnte dauern.
Kölns letzte große EntwicklungsflächeStadt präsentiert Pläne für das Liebigquartier – Skepsis bei Bürgern
Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, Verbesserung der Lebensqualität durch mehr Grün, sichere Rad- und Fußwege, Ansiedlung von kleinteiligem Gewerbe und nicht zuletzt bezahlbarer Wohnraum: „Keine Gentrifizierung, keine Verdrängung“, versprach Andree Haack.
Der Beigeordnete für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Digitalisierung war zur Vorstellung des Entwurfs für das „Räumliche Entwicklungskonzept Liebigquartier“ (REK) ins Betriebsrestaurant der Rheinenergie am Parkgürtel gekommen, die 150 Besucher lauschten der Präsentation durchaus mit Wohlwollen. Zweifel indes blieben: „Die Pläne sind ja super, aber passiert auch was?“, meldete sich ein Besucher. Ein anderer wähnte sich in einer „Märchenwelt, in der leider allen die Hände gebunden sind.“
In der Tat gehört der Stadt nur ein Bruchteil der Flächen in dem knapp 130 Hektar großen, sehr heterogenen Areal zwischen Innerer Kanalstraße, Autobahn 57, Parkgürtel und dem Bahndamm entlang der Geldernstraße. Dort befinden sich unter anderem das ehemalige Schlachthof-Gelände, eine frühere Molkerei, der Rheinenergie-Komplex und eine DHL-Zustellbasis, aber auch Wohnquartiere für insgesamt etwa 6500 Menschen.
Liebigquartier: Kölns letzte große innerstädtische Entwicklungsfläche
Überdurchschnittlich viele sind unter 30 Jahre, häufig haben sie eine Zuwanderungsgeschichte. In dem Gebiet stehen Neubauprojekte und Sanierungen an, große Flächen warten auf die Umgestaltung und Umnutzung: Das Liebigquartier, das teils zu Neuehrenfeld, teils zu Bilderstöckchen zählt, gilt beim Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) als „letzte große innerstädtische Entwicklungsfläche“ Kölns.
Aber die ist eben größtenteils in privaten Händen, und die Eigentümer sind nicht an die Vorgaben des REK gebunden. Dennoch: Das übergreifende Konzept stelle eine Selbstverpflichtung der Verwaltung dar, so Haack, und werde bei allen künftigen Bauleitplanungen berücksichtigt: „Damit haben wir ein Mandat, das stärkt uns bei Gesprächen mit Investoren den Rücken.“
SPD-Befürchtungen wegen kommerziell orientierten Wohnungsbauunternehmen
Die SPD-Fraktionen in den zuständigen Bezirksvertretungen Nippes und Ehrenfeld allerdings befürchten vor allem, dass kommerziell orientierte Wohnungsbauunternehmen angesichts der bevorstehenden Attraktivierung schon eifrig nach Objekten für Luxussanierungen suchen und wollen die Verwaltung zu geeigneten Gegenmaßnahmen auffordern.
Henrik Freudenau und Holger Hoffschröer von den Planungsbüros Stadtraumkonzept beziehungsweise Reicher Haase, die seit dem vergangenen Frühjahr Gespräche mit Politikern, Eigentümern und Initiativen vor Ort geführt und eine Online-Beteiligung ausgewertet haben, versicherten allerdings, dass ihre Vorstellungen bei allen Gruppen auf große Zustimmung gestoßen seien. Gewerbe soll demnach weiterhin eine feste Größe bleiben im Bereich auf dem Schlachthofgelände an der Liebigstraße und am Standort der Molkerei in der Geldernstraße. Schon, weil Gewerbeflächen Mangelware sind.
Nach Möglichkeit sollen dort kleinere Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen angesiedelt werden, vor allem auf dem Schlachthof auch kulturelle oder soziale Einrichtungen, gern Kneipen, Restaurants oder Treffpunkte für Jugendliche. Westlich der Geldernstraße könnten in Höhe der Molkerei Wohnungen entstehen, am liebsten mit begrünten Dächern, „aber keine Eigenheime.“
Begrünt werden sollen auch alle anderen verfügbaren Flächen entlang des Bahndamms, verbessert werden die Verbindungen zum Blücherpark und zum Inneren Grüngürtel. Das verkehrsumtoste Gleisdreieck ist laut REK künftig allein dem Gewerbe, Sporteinrichtungen, vielleicht auch Party-Locations vorbehalten.
Ausbau und Erweiterung des S-Bahn-Haltepunkts „Nippes“ geplant
Große Veränderungen kommen demnach auf die Umgebung des S-Bahn-Haltepunkts „Nippes“ zu: Um die schon ansässigen Supermärkte herum soll ein kleines Nahversorgungszentrum mit Drogeriemärkten, Friseuren und Ärzten entstehen, wie Brigitte Scholz vom Stadtentwicklungsamt erläuterte.
Auf Nachfrage einiger Besucher bestätigten die Mitarbeiter der Planungsbüros und der Verwaltung, dass auch „die schwierige Verkehrssituation“ an der Unterführung des Haltepunkts, wo fünf Straßen zusammenkommen, untersucht wird. Der Sportverein ESV Olympia, der nach Aussage eines Besuchers „aus allen Nähten platzt“, soll nach Möglichkeit zusätzliche Flächen bekommen. „Aber wir haben eigentlich für alles zu wenig Platz“, gab Brigitte Scholz zu.
Erhalten bleiben wohl die beiden „Großbordelle“ in der Hornstraße, die im Konzept höflich verschwiegen werden. „Die wollen nicht weg, und wir können sie ja nicht enteignen“, beantwortete Hoffschröer die Frage eines Anwohners. Der setzte nach und forderte die Stadt auf, kurzfristig Geld in die Hand zu nehmen und „Leuchtturmprojekte“ auf den Weg zu bringen, um bei der Bevölkerung Begeisterung für das noch etwas wolkige Konzept zu wecken: Die übergroßen Parkplätze der Supermärkte einer vernünftigen Freizeitnutzung zuführen etwa, oder das vor sich hin dümpelnde Neubauprojekt „Ehre und Liebig“ auf dem ehemaligen Gelände des Autohauses Levy wieder in Gang zu bringen. Dort hatten bis zum Abriss 2021 im „Wandelwerk“ Veranstaltungen rund um das Thema Stadtentwicklung stattgefunden, dafür sollten neue Räumlichkeiten bereitgestellt werden.
Jan Pehoviak, Geschäftsführer des Vereins „Klug“, früherer Betreiber des „Wandelwerks“, war vor Ort und bemängelte, die Konzeptentwickler hätten sich intensiver um die Beteiligung von Menschen mit Zuwanderungshintergrund bemühen müssen. Auch eine konsequentere Ausrichtung auf eine „Vision“ für die Gestaltung der zukunftsfähigen Stadt wäre wünschenswert gewesen. Themen wie bezahlbares Wohnen oder Klimafreundlichkeit hätte man stärker in den Vordergrund stellen sollen.
Umsetzung des Entwicklungskonzepts: Ein langfristiger Prozess
Auf einer BDA-Veranstaltung im Domforum zwei Tage zuvor, an der Pehoviak beteiligt war, hatten Teilnehmer eine stärkere Orientierung des Konzepts am Gemeinwohl und eine intensivere Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Initiativen wie dem „Klug“ angemahnt.
Spektakulär, mit einem Riesen-Aufschlag, wird die Umsetzung des Entwicklungskonzepts wohl nicht starten. Brigitte Scholz stellte für die nächsten zehn Jahre eine Umgestaltung der für Radfahrer gefährlichen „zentralen Achse“ Liebigstraße in Aussicht, allgemein müsse eher ein Zeithorizont „von 20 bis 30 Jahren“ einkalkuliert werden.
Das „Räumliche Entwicklungskonzept Liebigquartier“ wird nun noch in den Bezirksvertretungen beraten und frühestens im September vom Rat beschlossen.