Eine syrische Familie, die in Köln lebt, ist in großer Not - weil sie durch das Erdbeben Angehörige in Idlib verloren hat, und vom Hochwasser im Sommer 2021 betroffen war.
Kölner Familie aus Idlib„Eine so große Not habe ich selten erlebt“
Saad, ein durchtrainierter Mann mit auffällig vernarbten Armen, sitzt im Gemeinschaftsraum des Vereins Aktion Nachbarschaft in Ossendorf und erzählt, wie er aus der Armee des syrischen Diktators Assad desertierte, weil er sich geweigert habe, Landsleute zu erschießen. Er erzählt von Gefängnis und Folter, von seiner Entscheidung, gegen Assads Armee zu kämpfen, und seinem Entschluss, über die Balkanroute mit Frau und zwei Kindern nach Deutschland zu fliehen, weil sein Leben in großer Gefahr war.
Seit November 2015 lebt der 31-Jährige in Köln. Die Familie hat jetzt fünf Kinder, sie ist in Sicherheit, aber es gibt viele neue Probleme. Am 14. Juli 2021 ist ihre Erdgeschosswohnung überschwemmt worden, am 6. Februar 2023 hat das Erdbeben in der Türkei und Syrien Saads frühere Heimatstadt Idlib schwer getroffen, einige seiner Verwandten seien gestorben, erzählt er und zeigt ein Bild eines völlig zerstörten Hauses, vor dem ein Mann steht: „Das ist mein Vater.“
Die Hälfte der Hilfsgüter wird an der Grenze zu Syrien vom Regime kassiert
Im Gefängnis, sagt Saad, habe er sich umbringen wollen, die dutzenden Schnitte, auf Brust und Armen, habe er sich zugefügt, um zu sterben. Jetzt fühle er sich hilflos, weil er den Verwandten in Idlib nicht helfen könne. „Jeder weiß, dass dort kaum Hilfe angekommen ist. Der syrische Staat hat viele der Hilfsgüter an der Grenze einkassiert, das meiste ist in Idlib und anderen betroffenen Regionen in Syrien nicht angekommen.“
Fee Baumann, eine deutsche Mitarbeiterin der kurdischen Hilfsorganisation Roter Halbmond, hatte diese Einschätzung kurz nach dem Erdbeben bestätigt: Sämtliche NGOs, die von kurdischem Gebiet aus nach Syrien wollten, müssten mindestens die Hälfte ihrer Hilfsgüter bei er Einreise abgeben.
Für Sozialarbeiter Christian Baack, verantwortlich für das Projekt Aktion Nachbarschaft mit Büro am Ossendorfer Weg, sind Probleme von Geflüchteten Alltag – sein Team betreibt im Kölner Westend einen Familientreff, ein Fahrradbüdchen und eine Fahrradwerkstatt, es hilft Geflüchteten auch aus dem Görlinger Zentrum bei Behördengängen und anderen Hürden bei der Bewältigung des täglichen Lebens in der Fremde. Immer unter der Prämisse Hilfe zur Selbsthilfe: „Ich mache nichts nur für die Menschen, sondern mit ihnen.“ Manchmal stoße dieses Prinzip indes an Grenzen.
„Eine so große Not wie bei Saad und seiner Familie habe ich selten erlebt“, sagt Baack. Spätestens mit der Erdbebenkatastrophe und dem Tod von Verwandten in Idlib „haben die Sorgen der Familie ein Maß erreicht, das seinesgleichen sucht“. Baack entschied sich daher zu einem Schritt, den er bislang noch nicht gegangen war: Er initiierte eine Spendenaktion für die Familie auf der Plattform betterplace.org. Weil nur wenig internationale Hilfe die Stadt Idlib erreiche, sei es einfacher, über ein privates Spendenprojekt zu helfen, sagt er: „Ich kenne die Familie schon lange und garantiere dafür, dass jeder Euro in Idlib ankommt.“ Jede syrische Familie, die Geld bekomme, werde mit einem Foto den Eingang dokumentieren.
Mit 100 Euro kann einer Familie einen ganzen Monat geholfen werden
Saad sagt, dass die 5000 Euro, die als Spendenziel ausgegeben sind, „vor Ort für mindestens 30 bis 40 Familien verwendet werden“. Schon 100 Euro hülfen einer Familie im syrischen Erdbebengebiet einen ganzen Monat lang. „Es geht darum, das Nötigste an Medikamenten und Nahrungsmitteln für sehr viele Menschen zu organisieren“, sagt Saad.
Wer spenden will, kann das auf der Internet-Plattform betterplace tun, als Ort muss „Köln“ in die Suchmaske eingegeben werden, Stichwort: „Aktion Nachbarschaft“.