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SchwarzarbeitDer Arbeiterstrich von Ehrenfeld

Lesezeit 3 Minuten

Arbeit gesucht: Tagelöhner auf der Venloer Straße.

Köln – Seit sechs Stunden steht Dimitri (Name geändert) mit seiner roten Sporttasche schon vor dem Zeitungskasten an der Venloer Straße. Es ist jetzt zwölf Uhr. Sechs Stunden, in denen der kleine, stämmige Mann sich kaum bewegt hat. Ein paar Zigaretten hat er geraucht, einen Becher Kaffee getrunken, sich mit seinen bulgarischen Landsleuten unterhalten. Und immer wieder Ausschau gehalten nach Handwerkern, die Arbeit für ihn haben. Aber bisher ist niemand gekommen.

Fast täglich treibt Dimitri sich an der Ecke Venloer Straße/Hansemannstraße herum, hundert Meter vom Ehrenfeldgürtel entfernt. Arbeiterstrich nennen einige diese Ecke, Tagelöhnermarkt sagen andere. An manchen Tagen warten zwei oder drei bulgarische Männer vor der Bäckerei, an anderen zehn oder zwanzig. Die ersten kommen um sechs Uhr, die letzten gehen am frühen Abend. Sie sind ungelernte Hilfskräfte, arbeiten schwarz. Sie fliesen Terrassen, streichen Wände, reißen Häuser ab oder legen Laminat. Zu Tagessätzen von selten mehr als 50 Euro.

Aus Leidensgenossen werden Konkurrenten

Ihre Auftraggeber sind Baufirmen oder selbstständige Handwerker. Im Schritttempo fahren die Unternehmer durch das Gewusel der Venloer Straße an den Arbeitern vorbei, mustern sie. „Einmal hupen heißt, sie brauchen einen Arbeiter, zweimal hupen heißt zwei Arbeiter“, erzählt ein Geschäftsinhaber, der das Geschehen vor seinem Schaufenster täglich beobachtet.

Die Bulgaren beugen sich durch die geöffnete Seitenscheibe ins Auto und verhandeln den Preis. Aus Mitstreitern und Leidensgenossen werden plötzlich Konkurrenten. „Einer sagt, er streicht das Bad für 60 Euro, der nächste bietet 50 an, und am Ende fährt einer für 30 Euro mit auf die Baustelle“, beschreibt Aleko (Name geändert).

Aleko ist so etwas wie ein Mentor für die ungelernten Tagelöhner von der Venloer Straße. Er lebt seit 25 Jahren in Köln, hat sich früher selbst mit Schwarzarbeit über Wasser gehalten und jobbt heute legal in der Gastronomie. Anders als seine Landsleute spricht Aleko fließend Deutsch. Er hilft ihnen bei Behördengängen oder vermittelt bei Problemen mit der Polizei. Und davon gibt es reichlich.

Vielen sind die Bulgaren ein Dorn im Auge

Denn vielen Anwohnern und Geschäftsleuten auf der Venloer Straße sind die Bulgaren ein Dorn im Auge. „Mir persönlich haben sie nie etwas getan“, sagt Vincente di Nardo, der einen Geschenkeartikelladen betreibt. „Aber sie stehen in großen Gruppen auf der Straße, das ist ein schlechtes Bild. Ältere Leute trauen sich nicht vorbei.“ In der Eisdiele von Mehmet Sever an der Sömmeringstraße haben die Bulgaren Hausverbot. „Viele sind laut und unverschämt“, sagt Sever. „Ich möchte nicht, dass sie Kontakt zu meinen Kunden haben.“

Ein diesiger Morgen Mitte voriger Woche. Vor der Bäckerei stehen acht bulgarische Männer, auf einem Mäuerchen sitzen fünf Frauen mit Plastiktüten voller Kleidung, eine Frau hat einen Kinderwagen dabei. Sie warten auf einen Kleintransporter, der sie für hundert Euro nach Bulgarien bringt. Aus der Metzgerei gegenüber treten Kunden mit Brötchentüten und Kaffeebechern. Ein Mann kommt aus einem Haus und vertreibt die Frauen: „Haut ab“, brüllt er, „ihr wisst genau, dass ihr hier nicht sitzen sollt.“

Wortlos nehmen die Frauen ihre Tüten und ziehen um auf die andere Straßenseite. Fünf Minuten später werden sie auch dort vertrieben. Jetzt stehen sie auf der Venloer Straße, mitten auf der Fahrbahn, ein Auto hupt, die Frau mit dem Kinderwagen schaut sich um und zieht die Schultern hoch. „Sehen Sie“, sagt Aleko, „sie wissen gar nicht, wo sie hin sollen. Man will sie nicht, sie werden gejagt.“ Eine Anwohnerin habe kürzlich Schuhcreme auf das Mäuerchen geschmiert, damit sie sich nicht hinsetzen, erzählt Verkäufer di Nardo.