VeedelspaziergangMarie-Luise Marjan zeigt uns ihre Lindenstraße

Hier ist sie als Helga Beimer zu Hause: Marie-Luise Marjan vor dem „Lindenstraßen“-Restaurant Akropolis. Im Hintergrund ist ihre Fernseh-Wohnung zu sehen. Die zweite Heimat misst nur 150 Meter.
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Bocklemünd – Die Fernseh-Schuhe legt sie gleich ab. „Helga trägt immer so flache Dinger, fürs Foto möchte ich aber aufrechter wirken“, sagt Marie-Luise Marjan, schlüpft in höher hackige Peeptoes und reckt sich. Seit 30 Jahren spielt sie die Helga Beimer in der „Lindenstraße“, der dienstältesten Fernsehserie Deutschlands.
Angefangen hat Marjan als Mutter Beimer, nun spielt sie die Oma. Sie weiß genau, wie sie sich selbst darstellen möchte, ist Profi bis in die Absätze. Als Veedel hat sie sich die Fernsehkulisse auf dem WDR-Gelände in Bocklemünd ausgesucht. Sie lebt zwar im Kölner Süden, aber die Lindenstraße, „die ist für viele eine Heimat geworden“, sagt Marjan. „Für mich auch. Vor allem, wenn ich wieder viel Sendezeit bekomme.“
Wie nach der Sommerpause: Von August an wird sie zehn Wochen am Stück drehen, sieben bis acht Minuten Serie entstehen pro Tag, montags bis freitags, 9 bis 18 Uhr. Helga rückt wieder in den Mittelpunkt. Wie, wird natürlich nicht verraten. Nicht einmal in Helgas Requisitenkiste ist der Blick erlaubt, „das würde zu viel preisgeben“.
Ahnengalerie an den Wänden
Aber zu sehen ist auch so genug am Set. Im mehr als 2500 Quadratmeter großen Studiokomplex zum Beispiel. Ein zweistöckiges Gebäude, in dem die Wände reine Fotoalben sind. „Schaut mal hier: unsere Ahnengalerie“, führt Marjan an den Bildern vorbei.
„Wer da alles schon dabei war!“ Ein Foto von Til Schweiger in der Rolle als Jo Zenker Anfang der 1990er hängt zum Beispiel im Erdgeschoss. Und hinter den Bildern des kürzlich verstorbenen Harry Rowohlt (Penner Harry) und von Annemarie Wendl (Else Kling) klemmen Rosen. „So ehren wir unsere Toten“, sagt Marjan und seufzt. „So viele sind schon verstorben.“ Sie hält kurz inne, schlendert ein Stückchen weiter – und lächelt wieder: „Guckt mal“, sie deutet auf ein Foto aus den Anfangsjahren von Helga Beimer, „wie jung ich da aussehe!“ Da war sie 45.
Bald wird sie ihren 75. Geburtstag feiern, am 9. August ist es soweit. Wie sie dem entgegensieht? „Aus meinem Alter habe ich noch nie einen Hehl gemacht“, sagt sie. Und – das klingt platt, es ist aber so – das braucht sie auch nicht. Die 75 glaubt ihr eh keiner.
Marjan bewegt sich behände über die Flure, keine Pose für ein Foto, keine Nachfrage ist ihr zu viel. Sie kennt jeden auf den vielen Gängen mit Namen, grüßt alle mit einem freundlichen Wort. Ob die Arbeit sie so aufgeweckt hält? „Na, schauen Sie sich doch mal um“, kontert sie, „das sehen Sie doch.“
Etwa im Restaurant Akropolis, dem Griechen der Lindenstraße. Marjan steht im weißen Sommerkleid im Garten, lässt sich den Strohhut reichen, lehnt sich an den weißen Lattenzaun und stimmt „Akropolis, Adieu“ an, den 1978er Hit von Mireille Mathieu. Marjan könnte gerade auf Korfu singen, auf Rhodos oder am Peloponnes, sie strahlt Urlaub aus, so wie sie da steht. Obgleich es doch nur die 150 Meter lange Kulisse ist, die Lindenstraße eben, die sonntags um 18.50 Uhr etwa 2,7 Millionen Zuschauer im Ersten verfolgen. Bis ins kommende Jahr, dann entscheidet der Sender, ob die Serie noch zwei Jahre laufen wird. Zu Beginn hatten mehr als 14 Millionen Menschen eingeschaltet, die Zahl nimmt ab, der Kult nicht.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt: So laufen die Dreharbeiten in der Lindenstraße.
„Anfangs“, erzählt Marjan und schlendert an der Lindenstraße Nr. 3 vorbei, dem Mietshaus, das sie in der Serie bewohnt, „da haben wir uns gefragt: Wie können wir eine Mutterrolle ein Jahr lang lebendig halten?“ Sie schüttelt den Kopf. „Jetzt bin ich seit 30 Jahren dabei.“ Das Haus sieht aus wie jedes deutsche Durchschnittsmietshaus, eine Sitzgruppe aus Holzbänken steht schräg davor.
Alles wirkt echt, sogar Bushaltestellen gibt es, inklusive Zigarettenkippen und Bonbon-Papierchen in den Mülleimern. Zehn Prozent der Dreharbeiten finden hier statt, fünf Prozent an Original-Schauplätzen und 85 Prozent im Studio.
Wer wann wo zu sein hat, das regeln Holger Kunze und Thomas Menne. „Ganz wichtige Männer“, betont Marjan, als sie das Büro der Aufnahmeleiter betritt. Sie stellt sich zu Menne, legt ihm die Hand auf die Schulter. „Zu ihm kann man immer kommen und fragen: Kann ich dann und dann freihaben?“ Menne runzelt die Stirn. „Das ist nämlich das Ding“, meint er, „die Dreharbeiten legen wir so, dass die Schauspieler ihren Urlaub nehmen und eventuell auch mal ein Theaterengagement wahrnehmen können.“
Bei allein 40 Hauptdarstellern mitunter eine ganz schöne Frickelei. Vor allem, wenn noch Preisverleihungen dazwischen kommen: „Dann plane ich mittlerweile stündlich“, berichtet Menne. „Ich gucke, wann der Flieger meinetwegen aus Berlin in Köln landet, wie lange die Schauspieler ans Set brauchen – und so entsteht der Drehplan.“
Bevor Marjan vor die Kamera tritt, sitzt sie erst einmal eine Stunde lang auf den Stühlen von Katrin Paas, Sandra Parschat und Bettina Heyl. Oder kurz: in der Maske. Wie Marie-Luise Marjan so ist, wenn sie ihr Make-up und die Fernsehfrisur bekommt? „Das ist eine nette Zusammenarbeit“, findet Maskenbildnerin Paas. „Marie-Luise ist eine sehr freundliche Person, sie bringt uns sogar immer mal wieder Süßigkeiten mit.“
Die Welt etwas besser machen
Den Zwei- bis Sechsjährigen im Betriebskindergarten liest sie gleich mal was vor. „Ist das nicht nett eingerichtet hier?“, fragt Marjan, als sie auf dem Sofa neben Bosse Platz nimmt, dem älteren Sohn von Daniela Bette (spielt die intrigante Angelina). „Was ist das denn?“, will sie wissen und deutet auf eine Truhe auf dem Schoß des Sechsjährigen. „Meine Schatzkiste“, antwortet Bosse. Mit Abschiedsgeschenken drin. „Ich gehe bald zur Schule, weißt Du?“
Seit Beginn der Dreharbeiten gibt es den Betriebskindergarten. „Den wollte Produzent Hans W. Geißendörfer unbedingt haben“, weiß Marjan. Zum einen für die Kinderdarsteller, die immer wieder in der Lindenstraße auftreten und in den Drehpausen Betreuung brauchen. Aber auch für die Söhne und Töchter der Mitarbeiter.
Eigenen Nachwuchs hat Adoptivkind Marjan nicht, aber die Bilder ihrer Patenkinder, die hängen in ihrer Garderobe, in Raum 207. Der ist zweckmäßig eingerichtet, ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank, ein Waschbecken, ein Bett. Darüber hängen die Fotos der Patensöhne und -töchter aus Paraguay, Haiti, Indien, Vietnam und Sri Lanka. Marjan hat das Bundesverdienstkreuz bekommen, weil sie sich seit 25 Jahren einsetzt fürs UN-Kinderhilfswerk Unicef und die Organisation Plan International. Warum? „So kann ich helfen, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen.“
Und alles immer noch ein Stückchen besser machen, das möchte sie auch, als sie schließlich in Helga Beimers Wohnzimmer steht, einer der 14 Innendekorationen der Serie. Fürs Foto soll Beimer im Studio so tun, als brate sie ein Spiegelei. Fans wissen: Das macht Helga so.
Aber an den Herd stellt sie sich erst, als der Tisch ordentlich gedeckt ist, das Geschirr hat sie selbst aus den Einbauschränken geholt. Und eine Schürze hat sie sich auch gebastelt: Dafür hat sich Marjan ein Geschirrtuch so in die Kleidung gezwängt, dass es eben aussieht wie eine Schürze. „Jetzt kannste“, gibt sie das Foto frei. Sie weiß eben genau, wie sie sich selbst darstellen möchte, ist Profi bis in die Küchenschürze.