Eisenbahn im RheinlandAls der erste Zug in Köln einfuhr
Köln – Der Präsident zitierte in seiner Festrede immer wieder den Wahlspruch des preußischen Generals Blücher, der als „Marschall Vorwärts“ zur Legende geworden war: „Vorwärts! bezeichnet in materieller wie in symbolischer Hinsicht den Gegenstand und Zweck unseres großen Werkes, jeder Stillstand ist Rückschritt, und darum kann der Wahlspruch Preußens nur der unsrige sein: Vorwärts!“
Eine riesige Menschenmenge hatte sich an diesem sonnigen 2. August des Jahres 1839 am Thürmchenswall vor der alten Stadtmauer eingefunden, um die erste Fahrt einer Eisenbahn im Kölner Raum zu bestaunen – dort war Kölns erster Bahnhof errichtet worden, eine provisorische Holzkonstruktion, in dessen Räumlichkeiten der Präsident der Rheinischen Eisenbahngesellschaft, der Appellationsgerichtsrat Friedrich von Ammon, dem Eisenbahnwesen eine rosige Zukunft prophezeite: „Die Eisenbahnen sind dazu berufen, als ein starkes Band die Völker immer mehr miteinander zu vereinigen und ihre divergierenden Interessen auszugleichen – man muss aber vorangehen, um nicht von anderen Ländern überflügelt zu werden!“
Dann kam endlich der große Moment: Rund 450 Personen, hohe Staatsbeamte, städtische Honoratioren, Militärs und vor allem die Aktionäre der Eisenbahngesellschaft, hatten die acht Waggons bestiegen – „der von zwei Lokomotiven gezogene Zug bestand aus zwei großen Diligencen (eigentlich Eilpostkutschen, hier geschlossene Waggons, die Red.), drei großen bedeckten und ebenso vielen unbedeckten Wagen zu 48 und 60 Plätzen, und erreichte den Bahnhof Müngersdorf unter dem Donner der dort aufgestellten Kanonen und dem jubelnden Zuruf der Menge in etwa zehn Minuten“, so beschrieb die „Kölnische Zeitung“ das außergewöhnliche Ereignis.
Bahnhof diente als Ausflugslokal
Am nächsten Tag, dem Geburtstag des preußischen Königs, kam das bürgerliche Publikum und auch das „gemeine Volk“ in den Genuss der Eisenbahnfahrt. „Während die Wagen der ersten Klasse elegant und equipagenartig mit Polstersitzen ausgestattet waren, reiste man in der zweiten Klasse in einfachen, glaslosen Wagen“, schreibt der Historiker Jürgen Herres (in seinem Buch „Köln in preußischer Zeit“), „in der dritten Klasse nahm man auf Holzbänken Platz und war in offenen Wagen dem Dampf und Ruß der Lokomotive ausgesetzt.“
Die rund sieben Kilometer lange Strecke nach Müngersdorf – das erste Teilstück der geplanten Verbindung Köln–Antwerpen – diente zunächst als Lehr- und Teststrecke, und der Müngersdorfer Bahnhof mit dem schönen Namen „Belvedere“ war wie ein vornehmes Landhaus in klassizistischen Formen errichtet worden – und, ganz wichtig: Der Bahnhof diente gleichzeitig als Ausflugslokal. Bis Ende Oktober 1839 ließen sich mehr als 50.000 Fahrgäste ins Belvedere „kutschieren“.
Die Eisenbahn gehört zu den umwälzendsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte – mit ihrer Entwicklung wurde nicht nur ein neues Transportmittel geschaffen, sondern ein neues Zeitalter eingeleitet.
Der Ingenieur Richard Trevithik hatte in Wales bereits 1804 eine von ihm konstruierte Dampfmaschine auf ein Gestell montiert und dieses Gefährt auf die Gleise einer Grubenbahn gesetzt – das war sozusagen der Vorläufer aller Lokomotiven überhaupt. Ehe sich diese Idee durchsetzte, sollte es aber noch zwei Jahrzehnte dauern: 1825 eröffnete der englische Ingenieur George Stephenson zwischen Stockton und Darlington die erste öffentliche Eisenbahnstrecke der Welt.
In Deutschland fuhr die erste Eisenbahn am 7. Dezember 1835 auf der Strecke zwischen Nürnberg und Fürth – die Geburtsstunde des deutschen Eisenbahnwesens. Die erste niederrheinische Bahn verkehrte 1838 zwischen Düsseldorf und Erkrath. (cd)
Vorausgegangen waren diesem historischen Tag lange Planungen und Verhandlungen. Die Anregung zum Bau einer Eisenbahnlinie war indessen von außen – aus Belgien – gekommen; der junge belgische Staat, der sich 1830 vom Vereinigten Königreich der Niederlande abgespalten hatte, fühlte sich handelspolitisch weiterhin von den Holländern geknebelt; denn die Niederlande kontrollierten die Scheldemündung und belasteten den Handelsverkehr auf dem Rhein mit außergewöhnlich hohen Zöllen. Belgien suchte daher den Schulterschluss mit dem östlichen Nachbarn Preußen. Schon 1831 schlug der belgische Gesandte de Weyer vor, eine Bahnlinie von Antwerpen nach Köln zu bauen. In Belgien hatte man sich entschlossen, Eisenbahnlinien in staatlicher Regie zu betreiben; in Deutschland wurde der Eisenbahnbau auf pivatwirtschaftlicher Basis betrieben, der preußische Staat engagierte sich zunächst nicht. 1833 wurde unter Vorsitz des Kölner Oberbürgermeisters ein Komitee zur Gründung einer Rheinischen Eisenbahngesellschaft ins Leben gerufen, Initiator war der Großhandelskaufmann Ludolf Camphausen, der die programmatische Schrift „Zur Eisenbahn von Köln nach Antwerpen“ veröffentlichte; Camphausen sah in einem künftigen Eisenbahnnetz die Chance, Kölns Stellung als rheinische Wirtschaftsmetropole zu stärken – so plädierte er für den Bau des „Eisernen Rheins“, mit dem man den holländischen Zwischenhandel umgehen könne. Vor der Gründung der Gesellschaft musste zunächst noch ein Dissens über die endgültige Streckenführung beseitigt werden.
„Mussfall“ 1859 eingeweiht
Nach der Eröffnung des ersten Teilstücks sollte es dann noch zwei Jahre dauern, ehe Aachen an die Strecke angeschlossen war (die Fahrtzeit betrug drei Stunden); im Oktober 1843 war die gesamte Strecke Köln–Antwerpen dann fertiggestellt – es war die erste grenzüberschreitende Eisenbahnstrecke Europas. Die im gleichen Jahr gegründete „Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft“ richtete Bahnlinien von Deutz aus ins Ruhrgebiet und bis nach Hannover und Berlin.
So erkannte man bald die Notwendigkeit, eine feste Eisenbahnbrücke über den Rhein zu errichten, denn bisher mussten Fahrgäste, die etwa von Aachen nach Berlin wollten, am Thürmchenswall aussteigen, den Weg über die alte Schiffsbrücke nehmen, ehe sie am Bahnhof der Köln-Mindener in Deutz den nächsten Zug besteigen konnten. Diese Eisenbahnbrücke wurde nach langen Auseinandersetzungen 1859 eingeweiht – die „Kölnische Zeitung“ feierte sie als „einen Abschnitt vaterländischer Entwicklung, eine Tat im Dienste des nationalen Gedankens, einen Fortschritt Preußens“. Die Kölner dachten nicht so: Sie gaben dem hässlichen Bauwerk den Spitznamen „Muusfall“.