Entscheidung per Los40 Prozent der Frauen finden in Köln keine Hebamme für Nachsorge
- Hebammen sind in Köln absolute Mangelware.
- Das merkt auch das Kölner Geburtshaus: Noch nie war der Andrang auf die Plätze so groß.
- Dort sind oft weinende Frauen am Telefon, die schon Absagen von 25 Hebammen bekommen haben.
Köln – Wer hier sein Baby entbindet, der hat das große Los gezogen: Er genießt einen Luxus, der inzwischen nur noch sehr wenigen werdenden Kölnern Müttern zuteil wird: Während der Geburt vertrauensvoll von einer Hebamme begleitet zu werden – mit Zeit und Zuwendung.
Seit genau 30 Jahren gibt es das Kölner Geburtshaus. Knapp 5000 Babys wurden hier in dieser Zeit geboren. Aber nie war der Andrang größer als heute: „Hier sitzen beim Infoabend Frauen, die gerade erst einen positiven Schwangerschaftstest gemacht haben“, erläutert Friederike Hoffmann, 1. Vorsitzende des Geburtshauses. Wer nach der sechsten Woche kommt, ist meist schon zu spät dran und wird nach Hause geschickt. Unter den dann immer noch viel zu vielen Frauen, die so früh kommen, entscheidet das Los.
Dass das Angebot so attraktiv ist, ist zum einen die Bestätigung für die Arbeit: Es gibt noch wie zu Gründungszeiten die Eins-zu-Eins-Betreuung. Es kümmert sich also eine Hebamme während der Geburt um eine einzelne Frau, die sie auch schon in der Schwangerschaft gut kennenlernt. Es sagt zum anderen aber auch viel über die schwierige Situation der Geburtshilfe in Köln: Das einzige Kölner Geburtshaus wurde 1989 gegründet von den Hebammen Monika Plonka und Vera Minnik, dem Gynäkologen Michael Müller und der Erzieherin Gudrun Stentenbach.
Ihr Ziel war es, eine Alternative zur klinischen Geburt anzubieten in einer Zeit, als die Kreißsäle steril gekachelt waren, Geburten standardmäßig eingeleitet wurden und Frauen stundenlang mit angezogenen Beinen im Kreißsaal lagen. „Wir wollten, dass die Geburt keine medizinische Angelegenheit, sondern ein intimes, selbstbestimmtes Ereignis wird“, erläutert Gründungsmitglied Stentenbach.
Jubiläumsfeier
Das Kölner Geburtshaus feiert seinen 30. Geburtstag am Samstag, 7. September, mit einem Tag der offenen Tür. Von 11 bis 15 Uhr gibt es ein Kinderprogramm, Tombola sowie ein Erzählcafé.
Unter der Begleitung der sieben Hebammen des Kölner Geburtshauses kommen pro Jahr durchschnittlich 180 Kinder zur Welt. Davon werden ein Drittel als Hausgeburt und zwei Drittel im Geburtshaus.
Heute sind die Kreißsäle nicht mehr gekachelt, sondern in Pastelltöne getaucht. Aber die Probleme haben sich auf andere Art zugespitzt: In den Kreißsälen gibt es viel zu wenig Hebammen. In Köln sind es nur noch 300 Hebammen für 14000 im Jahr geborene Kinder. Und von diesen arbeitet noch ein großer Teil freiberuflich oder in Teilzeit. „Die Hebammen hetzen von Kreißsaal zu Kreißsaal, um manchmal vier oder fünf Geburten parallel zu betreuen“, erzählt Anja Biemann, die der Arbeit als angestellte Hebamme in der Klinik den Rücken gekehrt hat, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. Da komme es vor, dass eine Frau im Kreißsaal nur ein paar Minuten bevor das Baby da ist, kurz eine Hebamme sieht.
„Die extremen Arbeitsbedingungen sorgen dafür, dass immer mehr Hebammen abspringen, weil sie zu den Bedingungen nicht mehr arbeiten möchten. Wir sind doch mit Idealismus gestartet in diesen Beruf, der ein so wunderbarer ist“, sagt Biemann. Sie ging dann in das Kölner Geburtshaus, weil sie hier anders arbeiten kann.
Sechs verschiedene Hebammen unter der Geburt
Die Folgen des akuten Mangels spürt man hier im Geburtshaus nicht nur durch den Andrang am Infoabend. Durch das breite Angebot von Geburtsnachsorge über Eltern-Kind-Kurse bis zu Rückbildungskursen oder Pilates kommen sehr viele Frauen hierher, die in Kölner Krankenhäusern entbunden haben. Viele müssten erstmal reden, um das Geburtserlebnis zu verarbeiten, erzählt Stentenbach. „Das hat sich sehr verändert. Ich höre nur noch selten, dass es ein schönes Erlebnis war.“
Viele seien regelrecht traumatisiert. Es gebe Frauen, die sechs verschiedene Hebammen unter der Geburt hatten. Oder solche, die nach 24 oder 36 Stunden im Kreißsaal ohne große Erklärung in den OP zum Kaiserschnitt gerollt würden. „Es ist das Gefühl, völlig ausgeliefert gewesen zu sein, das schwer zu verarbeiten ist.“
„Hinzu kommt, dass wir hier immer mehr Frauen sehen, die unter Wehen in dem Kölner Krankenhaus, in dem sie angemeldet waren, nicht aufgenommen werden konnten, weil der Kreißsaal wegen Überlastung zeitweilig geschlossen war“, ergänzt Hoffmann. Inzwischen kämen sogar Frauen, die unter vorzeitigen Wehen noch bis nach Bonn geschickt wurden. Christina Hammer-Arkov vom Kölner Hebammennetzwerk erklärt, dass das Netzwerk inzwischen darauf reagiert habe: „Wir raten allen Schwangeren, sich in mehreren Kölner Kliniken parallel für die Entbindung anzumelden, um nicht unter Wehen von einer Klinik weiter ins Ungewisse geschickt zu werden, weil dort gerade Aufnahmestopp ist.“
Diktat der Wirtschaftlichkeit
Am Ende ist es das Problem, dass Kliniken unter dem Diktat der Wirtschaftlichkeit stehen: Geburtsstationen in NRW werden geschlossen, weil sie sich nicht rechnen. Statt besserer Personalschlüssel und mehr Gehalt für die Hebammen ist vielerorts Sparen angesagt. „Wir als Geburtshaus haben den Vorteil, dass wir als Verein lediglich kostendeckend arbeiten und nicht gewinnorientiert“, erklärt Hoffmann. Aber es ist nicht nur die Geburt selbst, bei der viele Frauen die personellen Engpässe spüren. Auch die Nachsorge zuhause – eigentlich eine von der Krankenkasse garantierte Leistung - können in Köln immer weniger Frauen wahrnehmen, weil es keine Hebammen gibt. Konnte 2016 schon knapp 20 Prozent der Frauen, die sich an das Kölner Hebammennetzwerk wandten, keine Hebamme vermittelt werden, waren es 2018 – also nur zwei Jahre später – doppelt so viele: 40 Prozent der Kölner Wöchnerinnen finden laut Hebammen-Netzwerk keine Hebamme, die die Nachsorge macht und müssen ohne Wochenbettbetreuung auskommen. Die Folgen seien oft schlechtere Wundheilung, Brustentzündungen oder Stillprobleme, erklärt Hammer-Arkov.
1000 Euro Belohnung geboten
Auch im Geburtshaus gehen täglich viele Anfragen für Nachsorgen ein. „Oft sind es weinende Frauen, die schon Absagen von 25 Hebammen kassiert haben. Es ist furchtbar, ihnen abzusagen“, sagt Hebamme Biemann. Ihrer Kollegin Friederike Hoffmann, die auch Nachsorgen macht, wurden sogar schon 1000 Euro Belohnung geboten, wenn sie die Nachsorge doch noch annimmt. „Inzwischen nehme ich Anfragen nur noch über ein Online-Formular entgegen, weil das ständige telefonische Absagen zu belastend ist.“
Um künftig mehr Kölner Frauen eine Geburt im Geburtshaus zu ermöglichen, möchte der Verein die Räumlichkeiten um ein weiteres Geburtszimmer ausbauen und sammelt zum Jubiläum über eine Online-Plattform Spenden. Alle zwei Jahre lässt die Einrichtung das medizinisches Qualitätssiegel durch eine aufwendige Prüfung erneuern. Auch mit Steißlagen und Beckenendlagen kennen die sieben Hebammen sich aus. „Das ist bei uns kein Grund für einen Kaiserschnitt. Das Personal in den Kliniken ist nur nicht mehr entsprechend ausgebildet“, sagt Biemann. Die sieben Hebammen sind stolz, dass Geburtshaus-Geburten im Schnitt deutlich kürzer seien als Krankenhausgeburten. „Aber das schönste ist, wenn die Frauen ein paar Stunden nach der Geburt mit dem Baby auf dem Arm hier aufrecht raus nach Hause gehen“, resümiert Stentenbach. „Es ist eine Urkraft, die die Frau bei einer selbstbestimmten Geburt spürt. Es gibt großes Selbstbewusstsein, das geschafft zu haben.“